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Die deutsche Frage III
ОглавлениеEin anderes Thema aber erregt die Gemüter der Frankfurter Abgeordneten sehr viel mehr, denn die leidige „deutsche Frage“, wer denn nun zu einem deutschen Nationalstaat gehören müsse, wartet immer noch auf eine befriedigende Antwort. Soll Preußen dabei sein und was geschieht dann mit dem Teil Preußens, der außerhalb der Grenzen des Deutschen Bundes liegt? Soll auch Österreich in den Bund hinein und damit die gleiche Frage aufwerfen, was mit dem außerhalb der neuen deutschen Grenzen liegenden Teils Österreichs werden soll. Oder soll man sich auf den Deutschen Bund allein beschränken und Preußen und Österreich nicht aufnehmen? Die Grenzen des zu gründenden neuen Staates sind von einer so überragenden Bedeutung, dass eine Auseinandersetzung darüber eigentlich am Anfang aller Debatten hätte stehen müssen. So aber ist wertvolle Zeit verloren gegangen, in der sich die konservativen Gegenkräfte vom Schock der revolutionären Ereignisse des Vormärz erholt haben.
Ungeachtet dessen streiten die Abgeordneten in Frankfurt hingebungsvoll über die Grenzlinien des neuen Staates in der Mitte des Kontinents. Die einen plädieren für einen großdeutschen Staat mit Österreich und Preußen. Die Befürworter dieser Idee träumen von einem Großdeutschland unter habsburgischer Kaiserkrone, sie schwärmen von dem wieder erwachten alten Kaiserreich des Mittelalters und ummanteln es mit ein wenig liberalem Zeitgeist. Dabei merken sie kaum, dass sie sich selbst ein Bein stellen, weil sie die Frage nicht beantworten können, wie mit den vielen Millionen Nichtdeutschen umzugehen sei, die im österreichischen Vielvölkerstaat leben. Zudem ist Österreich nur mit einem Teil seines Staatsgebietes im Deutschen Bund. Dann – so ihre Antwort – soll eben nur der „deutsche“ Teil Österreichs dem neuen Staat angehören. Was aber soll mit dem Rest Österreichs geschehen? Das kategorische „Nein“ des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. (1830 – 1916) auf diesen waghalsigen Plan ist weder erstaunlich noch lässt es lange auf sich warten. Die Annahme dieses Plans würde unweigerlich die Teilung Österreichs nach sich ziehen, weil sich die nicht zum neuen deutschen Reich gehörenden Länder abspalten würden. Die „Großdeutschen“ übersehen auch den Rest der Nationalitäten, die in den Grenzen des von ihnen erdachten Reiches leben: Italiener in Istrien und Tirol, Slowenen in Krain, Tschechen und Polen in Schlesien. Zudem gibt es Länder, in denen die Deutschen eindeutig in der Minderheit sind: in Böhmen und Mähren.
Den „Großdeutschen“ halten die „Kleindeutschen“ ihren Plan entgegen: Dem neuen deutschen Staat sollen der Deutschen Bund und Preußen angehören. Auch dieser Plan erwirkt den Widerspruch von Franz Joseph I., der Österreich als deutsche Bundesmacht erhalten will. Die Rede des Dichters Ludwig Uhland vom 22. Januar 1849 fasst die Bedenken gegen diese „kleindeutsche“ Lösung zusammen:
„Die deutsche Einheit soll geschaffen werden; diese Einheit ist aber nicht eine Ziffer; sonst könnte man fort und fort den Reichsapfel abschälen, bis zuletzt Deutschland in Lichtenstein aufginge. Eine wahre Einigung muss alle deutschen Ländergebiete zusammenfassen. Das ist eine stümperhafte Einheit, die ein Drittel der deutschen Länder außerhalb der Einigung lässt. Dass es schwierig ist, Österreich mit dem übrigen Deutschland zu vereinigen, wissen wir alle; aber es scheint, manche nehmen es auch zu leicht, auf Österreich zu verzichten. (…) Wie verengt ist unser Gesichtskreis, wenn Österreich von uns ausgeschieden ist!“
Dem Beifall von der einen Seite stehen Buh-Rufe der anderen Seite gegenüber. Die Nationalversammlung ist gespalten genau wie in einer anderen, ebenfalls entscheidenden Frage. Soll der neue Staat eine Republik oder eine konstitutionelle Monarchie werden, in der die Macht des Königs durch Parlament und Gesetze eingeschränkt ist? Der bayrische Abgeordnete Marquard Barth (1809 – 1885) ist ein glühender Verfechter der erblichen Monarchie, was er in seiner Rede vor den Abgeordneten der Nationalversammlung am 18. Januar 1949 in folgende Worte kleidet:
„Macht ist es, meine Herren, was die Nation von uns verlangt, und als Mittel zur Macht die Einheit, aber nicht jene ideale Einheit, welche sich als loses Band um eine große Ländermasse schlingt, sondern eine praktische Einheit. Nur wenn es klar hervortritt, dass Deutschland aufgehört hat, ein Durcheinander zu sein, und ein Bundesstaat geworden ist, nur dann wenn klar hervortritt, dass das Reich wirklich eine Bedeutung und dass die Reichsgewalt wirklich eine Gewalt (ist), nur dann werden wir Ansehen haben und Kredit. (…) Darum lassen Sie uns nicht zurückschrecken vor dem letzten entscheidenden Schritte, lassen Sie uns nicht stehen bleiben vor dem Throne, den wir nicht vernichten, sondern errichten wollen. (…) Wenn Sie wollen, dass das künftige Oberhaupt des Reiches seine Interessen mit denen des Staates amalgiere, sein eigenes Bestes und das seines Hauses nur wiederfinde in dem allgemeinen Besten des Vaterlandes, dann müssen Sie nicht ein vertragsmäßiges Verhältnis eingehen, dazu bedarf es mehr, dazu bedarf es einer Ehe.“
Und diese Ehe soll am 27. März 1849 geschlossen werden, als nach langem Hin und Her die deutsche Reichsverfassung verabschiedet wird. Deutschland soll eine konstitutionelle Monarchie werden mit dem preußischen König als deutschem Kaiser an der Spitze. Er soll den Oberbefehl über das Heer erhalten, das Land nach außen vertreten, Minister ernennen und entlassen. In seinem Handeln ist er allerdings an die schriftliche Zustimmung von Parlament und Minister gebunden. Kaiser und Minister haben Einfluss auf die Gesetzgebung, weil sie beide ein Veto einlegen können, der Kaiser kann zudem auch eigene Gesetzesinitiativen starten.
Die eigentliche Gesetzgebungskompetenz liegt aber beim Reichstag, der aus zwei Kammern besteht. Seine Beschlüsse müssen von beiden Kammern getragen und gebilligt werden. Das „Volkshaus“ (vielleicht vergleichbar mit dem Bundestag) besteht aus je einem Vertreter für 50.000 Einwohner. Das „Staatenhaus“ – also der Bundesrat – wird zur Hälfte von den Landesregierungen, die ihre Delegierten wählen, beschickt und zur anderen Hälfte von den Landtagen, die ihre Vertreter ernennen. Die Minister sind dem Reichstag Rechenschaft schuldig. Das Reichsgericht ist von der Politik unabhängig, über seine Besetzung soll ein eigenes Gesetz entscheiden und wählen dürfen alle Männer über 25 Jahren in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Abstimmungen. Frauen haben kein Wahlrecht. Einen Tag nach der Verabschiedung der neuen Verfassung wählt die Nationalversammlung mit knapper Mehrheit den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser.
Schaubild 2
[Verfassungsentwurf der deutschen Nationalversammlung vom 27. 3. 1849]