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Alltag in Deutschland

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Zumal viele Deutsche 1816 und 1817 durch Hungersnöte und Wirtschaftskrisen in eine existenzielle Krise gedrängt werden. Der tägliche Überlebenskampf lässt bei vielen Menschen wenig Zeit übrig, sich über die zukünftige Gestaltung ihres Staates Gedanken zu machen. Aber die andauernde Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die unübersehbare Präsenz von Polizei und Staat, die für jeden sichtbare Verfolgung von so genannten „Demagogen“ sorgen für eine unheimliche Stille im Land. Mitglieder der studentischen Burschenschaften, Angehörige von verdächtigen Turnvereinen und Universitäten werden verfolgt, verhaftet oder amtsenthoben. Ernst Moritz Arndt, Turnvater Jahn und viele andere lernen preußische Gefängnisse von innen kennen

oder müssen das Land verlassen. Während die staatliche Rasterfahndung auf vollen Touren läuft, ziehen sich viele Menschen ins Private zurück, verzichten auf jede Form der politischen Betätigung. Es zählt das Eigene, der Rückzug ins Private wird zum Programm.

Zwischen 1815 und 1850 ist die Zeit des Biedermeier in Deutschland ein Reflex auf die von vielen Menschen empfundene Entfremdung und Sinnentleerung. Sie sehnen sich nach einem idyllischen, harmonischen Leben, das sie vor Urbanisierung und Industrialisierung schützt und besinnen sich auf die Natur und elementare Werte, die ihnen Schutz in turbulenten Zeiten gewähren sollen. Im Mittelpunkt dieser Kultur steht die bürgerliche Familie, die sich keine großen Sprünge erlauben kann, dazu sind die meisten zu arm. Das Land leidet unter den wirtschaftlichen Schäden der Kriege gegen Napoleon, die das Land ausgezehrt haben. Und gleichzeitig stehen sie am Beginn einer längeren Friedenszeit mit arbeitslosen Soldaten, die die einzigen sind, die sich über diesen Zustand beklagen. Unter den Augen des Polizeistaats macht sich dennoch eine oberflächliche Heiterkeit breit, die den beschaulich gekleideten Familienvater nebst Gattin und einer größer werdenden Kinderschar beim Sonntagsspaziergang hervorbringt. Die Zahl der Kinder steigt rapide, als habe es einen Knopfdruck gegeben, der den biologischen Ausgleich für die hohen Verluste der vorangegangenen Kriege in die Wege leitet. Bis zum Jahr 1848 erhöht sich die Bevölkerungszahl des Deutschen Bundes um ein Drittel, was die Landwirtschaft vor Probleme stellt, denn so viele Mäuler kann sie nicht stopfen. Die Armut ist in manchen Gegenden so groß, dass die örtlichen Verwaltungen regelrechte Bettelzüge zusammen stellen, die nach einem festgelegten Turnus durch die umliegenden Dörfer ziehen, um Lebensmittel zu erbetteln. In den Städten geht es nicht viel besser, das Heer der Gelegenheitsarbeiter steigt mit dem täglich größer werdenden Elend.

Die Genese Europas III

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