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7.

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Wie der Pechschaber draussen im Mondscheine stand, sah er nach der Waldecke hin und den Hang hinauf die breite Fährte der Wilderer im Tau; und ein Stück droben bemerkte er einen Mann, der gerade Deckung suchte. Er schritt nun eilig bergan und schritt über den weichen Nadelgrund zwischen den Stämmen, in dem jeder Tritt lautlos versank. Wie er an die Stelle kam, an der vorhin einer gestanden hatte, fand er aber nicht den Mann, der neulich mit einem Gebund Astholz im Walde zu ihm getreten war. Es standen vielmehr drei fürchterliche Gesellen mit russgeschwärzten Gesichtern und wilden Bärten vor ihm: drei richtige Bärenhäuter. Das Weisse ihrer Augen leuchtete den Pechschaber an, dass er zurückprallte. Erst an der Stimme erkannte er: der wildeste dieser drei, das war der Veit.

Sie gingen nun lautlos ihre Bahn durch das Stangenholz, wo sie von der einen Seite hinter buschigen Jungfichten Deckung hatten. Sie schritten hintereinander und leise wie wechselndes Wild. Sie suchten die Schatten des Waldes, denn der Mond schien taghell. Der Pechschaber ging zuletzt und dachte, dass er sich nicht auch unkenntlich gemacht habe, sei recht töricht.

Da schlug sich der eine seitwärts in das Holz, ein paar Rehsprünge weiter der andere. „Die Flinten holen sie,“ erklärte der Veit dem Girgl, als er seine fragenden Augen sah. „Die haben sie im Bergwald versteckt.“ Dann verschwand Veit auch, und der Pechschaber ging, wie ihm geheissen war, auf dem Wildwechsel weiter zu Berg und hockte sich an einer ihm von Veit beschriebenen Stelle ins Dickicht.

Nicht lange, so pirschten sich die drei Gesellen heran.

Der Bergwind erwachte, und die Wipfel begannen sich zu regen. Die Scheibe des Mondes bekam ein mattes, rotes Licht und hing nun über dem zackigen Saume des Waldes. Fern balzte ein Spielhahn. Der Mond versank; ein sanftes Gewebe von Licht lag über den fernen Bergkuppen.

Wie sie wieder eine Weile gegangen waren, tat sich Veit plötzlich nieder; und auch die hinter ihm sanken in das tauige Waldgras. Der Wildschütz hatte das Gewehr in Anschlag gebracht und spähte zwischen den Stämmen des Hochwalds hindurch. Wie der Pechschaber auch die anderen mit angelegtem Gewehr in der Deckung hocken sah, schlug ihm das Herz bis in die Kehle; er hatte einen dürren Ast aufgegriffen; denn eine Waffe musste er haben, um ihnen helfen zu können. Er bohrte seine Blicke in das dämmerige Blau der Nacht, fühlte seine Pulse fliegen und den Atem über seine Lippen zittern.

Da! Jetzt erst erkannte er: drüben zog der Bock mit drei Tieren durch das Holz und zog langsam heran, äsend, lauschend, während die Tiere sorgloser waren. Sie schritten näher, ruhig und langsam wie der Tag.

Da spie das Eisenrohr des Veit auf einmal Feuer und Blei in den verträumten Wald und brüllte in die Stille und weckte das Echo auf. Das sprang durch die Schluchten, stiess gegen den Berg, prallte zurück und rannte weiter.

Dem Pechschaber war, als wären alle Stämme lebendig geworden. Er sah die weissen Spiegel der drei Tiere durchs Holz fliegen; er hörte das dumpfe, angstvolle Schlagen ihrer flüchtigen Hufe.

Aber nur Veit hatte sein Gewehr aus dem Anschlag, um eine neue Patrone in den Lauf zu schieben. Die anderen knieten, ohne sich zu regen, im Moos.

Und der Wald war nun doch wieder still geworden; der Pechschaber hatte gedacht: So ein wildes Donnern kann gar nicht mehr einschlafen, das muss rollen bis in den Tag, muss in alle Hütten laufen und alle Förster und Heger rufen.

Der Bock lag kaum drei Sprünge vom Kleinholz, das sich drüben, zwei Steinwürfe weiter, durch die Stämme zog. An dieses Holz pirschten sich die Wildschützen in Deckung heran. Die Schleier der Nacht hingen noch überall, und die Gewebe der Frühnebel sanken heimlich hinein. Aber wie die Männer hinausgetreten waren und das Stück Wild erfassten, um es in das Dickicht zu schleifen, kamen auf einmal Stimmen und Tritte von drüben.

„Halt!“

Das war ein Ruf, der hätte den geschwärzten Gesellen das Blut in den Adern erstarren machen müssen.

Aber nur der Pechschaber schrie wild auf; war’s der Schreck, der ihm den Schrei entrang? War’s die List, die er sich vorhin ausgesonnen hatte, wie er hinter den drei zur Unkenntlichkeit entstellten Wilderern den Steilhang emporschritt, er, der einzige, der erkannt werden musste, wenn sie in dieser Nacht umstellt wurden?

Während die drei den Bock an den Läufen in das Dickicht schleiften und in hastiger Flucht davonstoben, schlug der Pechschaber mit seinem dürren Aste wild um sich, hieb auf den Waldgrund, stürzte sich hin und sprang wieder empor und lief den drei Hegern entgegen, die mit den zum Anschlag fertigen Gewehren der Stelle zuschreiten wollten, an der die anderen verschwunden waren.

So stand er nun allein den Waldhütern gegenüber, keuchend, mit wilden Augen, mit zerwühlten Haaren und sah, dass der eine sein Gewehr auf ihn in Anschlag gebracht hatte. Da warf er sich zum Tode matt an den Waldgrund.

„Das wär mein Ende gewesen!“ stöhnte er.

Aber die Heger traten an ihn heran, rissen ihn empor und durchsuchten ihn nach Waffen. Darüber verschnaufte sich der Pechschaber vollends und sagt:

„Das wär mein Ende gewesen! Sie, fassen S’ mich nicht so hart da hinten am Genick! Meine Papiere will ich Ihnen suchen, — ich hab’ doch meine Papiere bei mir, sackerment! Schaut denn so wie ich ein Wildschütz aus? Da sind sie, und da lesen S’: Der Musikmann Georg Zeitel bin ich, und hören tu ich auf den Namen Pechschaber. Sie kennen mich nicht, gelt? Ich bin erst seit kurzem hiesig. Aber nun, bitt schön, mein Blasholz lassen S’ mich suchen und mein grünes Spitzhütlein! Ist mir beides beim Uberfall abhanden gekommen. Ich hab Ihnen nämlich um die Früh schon beim ‚Neuen Hammer‘ sein wollen, eine Morgenmusik blasen. Jesses, unsereiner muss sehen, wo sich was verdienen lässt.“

Wie der Pechschaber sein Märlein erzählte, schauten sich die drei an.

„Heger,“ sagte er, „meinen Spitzhut und meine Flöte geh’ ich suchen. Wenn ihr einem armen Musikanten wieder zu dem Seinigen verhelfen tätet, wär’s gut; denn das muss ich schon sagen: Alle Glieder schlagen mir, und eine Furcht hab ich, sie könnten noch einmal kommen.“

Dabei ging er der Stelle zu, an der sich der Kampf mit den Räubern abgespielt hatte. Der Pechschaber merkte, dass er ja noch gar nicht berichtet habe, was ihm eigentlich geschehen sei. Darum begann er:

„Was soll ich noch sagen? Rein die Sinne sind mir vergangen. Sehen S’, so bin ich daher geschritten: das Blasrohr unterm Arm, die Hände in den Säcken und den Rockkragen hoch; denn ein wenig gefröstelt hat mich, wie der Frühwind angefangen hat, lebendig zu werden. Da sind sie über mich gekommen; gekannt hab’ ich keinen; denn warum? Ich kenn’ mich in der Gegend noch nicht aus, und dann: Pechschwarz haben sie ausgesehen wie die Kohlenbrenner, und struppige Bärte haben sie gehabt.“

Das erzählte der Pechschaber wieder mit fliegendem Atem und zitterte am ganzen Leibe. Dann bückte er sich, nahm seinen Spitzhut auf und putzte ihn von Erde und Nadeln rein. Hernach schaute er die drei an und sagte vorwurfsvoll: „Sie lassen mich da immer erzählen und sagen nichts, und Sie drängen sich um mich, als wollt’ ich entwischen. So reden S’ doch was und tun S’ nit so! Es wird einem ja angst und bang dabei. Was haben S’ denn mit mir vor?“

Da trat der eine der Hüter dicht vor ihn hin und fasste ihn am Joppenzipfel:

„Pechschaber, dass du ein so neunmal verschlagener Spitzbub bist und uns deine Geschichte vorlügst, das ist kaum zu glauben!“

Es war Tag geworden; wo die Sonne über den Berg heraufsteigen wollte, war schon wirbelndes, goldenes Feuer. Die Tale rauchten, und die Wipfel klangen.

„Bitt schön,“ sagte der Pechschaber, „einen Augenblick müssen wir schon noch verziehen. Mein Blasholz hab’ ich noch nicht gefunden.“

Dann suchte er den Waldgrund in der Runde ab und suchte im Dickicht. Mit einem wehleidigen Gesicht trat er wieder zu den halblaut miteinander redenden Hegern. Er hatte beim Suchen auch nicht vergessen, den wenigen Schweiss des Bockes, der rot auf den Nadeln lag, mit den Nagelschuhen zu verwischen. Nun wollten die Heger wissen, ob der Pechschaber den Schuss auch fallen gehört hätte. Da stellte der sich breit und mit wichtigem Gesicht vor sie hin.

„Na,“ sagte er, „das glaub’ ich; denn dicht vor meinem Ohre ist er losgegangen. Aber wissen S’, was ich denk’? Ich denk, es hat sich über dem Kampf ein Gewehr entladen; denn sie werden mich wohl nicht haben totschiessen wollen. Und ein Wildbret, auf das sie hätten anschlagen können, das hätt’ wohl auch nicht gewartet. Freilich wohl, davon versteh’ ich nichts. Aber um mein Blasrohr bin ich nun richtig gekommen!“

Wie sich die Waldhüter darüber einig waren, dass ein solcher wie der Pechschaber nicht auf der Wildbahn gewesen sein könne, gingen sie mit ihm durch den Wald und sahen, wie er sich unter ihrer Begleitung erholte. Nun gelangten sie auf den Hang, auf dem der Weg zum Steinhof herniederführte. Da stand der Veit im grünen Spitzhütlein mit dem keckgebogenen Spielhahnstoss und einem sauberen, morgenfröhlichen Gesicht schon wieder neben der jungen Pechschaberin im rauchenden Golde der Frühe. Die Annemirl hielt sich am Joppenärmel des Wildschützen fest, wie sie aufwärts blickte:

„Jessmarie, gefangen haben sie ihn!“

Aber der Pechschaber hatte ihre Angst schon wahrgenommen, wie sie aus dem Holz auf die Blösse traten. Deshalb tat er vergnügt, schlug dem einen seiner Begleiter auf die Schulter und stieg, während die Waldhüter herniederschritten, auf einen Fichtenstumpf. Von dort warf er einen Juchezer in die Welt, der der Annemirl das Herz froh machte. Bald darauf standen sie in einem Trupp vor dem Haus, und der Pechschaber reichte den Grünröcken die Hände:

„Brave Leut seid’s miteinander, das Leben habt ihr mir gerettet! Nur die Flöte, Annemirl, und die Morgenmusik, die sind zum Teufel!“

Da machten der Veit und die Annemirl erschreckte Gesichter. „Jessmarie, Pechschaber!“ erschrak die Frau.

„B’hüt Gott miteinander die Herren!“ rief der Girgl. Und: „Jetzt, einen Kaffee, Weibl! Was dem Blaser Pechschaber in dieser Nacht widerfahren ist, das muss ich dir erzählen.“

Die Musikantenstadt

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