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9.

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Wie der Herbst gekommen war, hatten die Pechschaberleut im Walddorf sich heimisch gemacht.

Nun brach der Spätwind die Stämme im Forst und riss die korallenroten Vogelbeeren aus dem Gezweig. Die Ziemer flogen in Scharen und fielen in die Netze. Und dann trieb das wilde Spiel der Flocken über das Gebirg. Da waren keine Menschen draussen im Wald, wenn sie nicht schmuggelten; denn der Sturm warf mit hundertjährigen Stämmen nach ihnen. Sie hatten die Hütten bis an die Fensterstöcke mit einer Wand aus Reisig und Astholz versetzt; sie hatten die Schneefänge vor ihren Türen dick mit Tannengrün bekleidet. Der Wind sprang über die Dächer, riss den Rauch der Schornsteine in Fetzen und spielte sein klapperndes Spiel mit den Schindeln.

Es war kein Mensch draussen in diesem wilden aufgehenden Tag; aber die Sorge lief ihren Weg und fand sich in die Hütten.

Und war noch nicht einmal ganz hell. Da kam ein junges Weib mit einem wimmernden Kind auf dem Arm, das sie in ein schützendes Wolltuch gehüllt hatte, vom Dorf her nach dem Steinhofhause herauf. Die Steinhöferin wärmte sich schon am Kachelofen bei den Pechschaberleuten; deshalb kam die Bärbel mit dem Kleinen daherein. Die Frau war das Tochterkind der Alten und hatte vor einem Jahre mit dem Johann Bratel, dem Sohne der runden Frau Dorothea aus dem schwarzen Kreuzhause, Hochzeit gemacht. Den Mann hiessen sie im Walddorf den „Schani“.

„Ich mein’ gar, du weinetest?“ fragte die Steinhöferin erschreckt.

„Das wohl,“ schluchzte die Bärbel so grausam wehleidig, dass einer ihre haselnussbraunen Augen nicht mehr sehen konnte, in denen immer ein seltsamer Glanz war, und die so geheimnisvoll sein konnten wie ein Waldbrunnen.

Weil sie die Herzensnot der Frau sahen, nahm ihr die Pechschaberin das Kind ab und herzte es und sagte der Bärbel rasch ins Ohr, dass sie wohl übers Jahr auch so ein feines haben werde.

Wie die Frau das vernahm, rieb sie sich mit dem Schürzenzipfel die Augen aus; aber es perlten schon wieder neue Tränen hervor. Da trat der Pechschaber vor sie hin und legte ihr die Hände auf die Hüften.

„So red’ ein Wort, Bärbel! Ist dir was geschehen?“

Die Pechschaberin schaukelte das Kind auf ihrem Knie, und die Bärbel sank neben der Steinhöferin auf die Ofenbank:

„Denkt’s an, der Schani ist mir nicht heimgekommen in dieser Nacht!“

Wie der Girgl das hörte, wurde er einen halben Kopf länger und machte wilde Augen:

„Das hat der neue Grenzwächter getan; konterband hat er ihn gemacht, wie er mit seinem Sack voll Armut den Grenzwald hereingekommen ist! Und in solch einer Nacht geht der Wächter aus, einen in den Kotter zu bringen?“

Während sie noch redeten und der Pechschaber sich den Steig beschreiben liess, auf dem der Johann Bratel sein Säcklein hatte heimschmuggeln wollen, fuhr er in die Stiefel und tat sich die Joppe an. Auch ein Zündzeug nahm er mit auf den Weg. Erst ging er auf eine halbe Pfeife Tabak ins Haus beim schwarzen Kreuz und fand den Gemeindevorsteher und sein Weib, schweigsam und voll Angst um den Sohn, am Ofen. Wie sie sich miteinander über den Fall beredet hatten, nahm der Pechschaber beim Wildschützen Veit Einstand; die beiden gingen ein Haus weiter, und eine Stunde später waren sie ihrer vier und verschwanden im Forst. Der Schnee fiel und der Sturm jagte.

Kaum waren sie ein Stück den Hang emporgestiegen, so schlugen sie im Dickicht ein Feuer, schwärzten ihre Gesichter mit Kienruss und rissen den Bergfichten die Bärte ab. Die klebten sie sich mit flüssigem Harz in die Gesichter. Die hingen sie in langen Zotteln über ihre Haare und drückten die Hüte darauf. Nun leuchteten nur die Augen wild aus den Flechten hervor. Sie redeten heimlich miteinander, jeder nahm noch einen Ast auf, und dann legten sie sich auf die Lauer. Der Sturm raste durch den Wald, und nahe donnerte das Waldwasser. Sie waren aber gar nicht weit den Hang emporgestiegen; denn der Grenzwächter wusste: in der Nähe der Waldhäuser liess sich niemals einer von ihm ertappen; darum trug der dort sein Gewehr in Ruhe über dem Rücken und war sorglos; am Tage ging er übrigens allein; des Nachts aber gingen sie zwei und zwei.

Nicht lange, so kam der Wächter den pfadlosen Hang im Holze daher; er ging so dicht an den Jungfichten, in denen die Männer auf der Lauer lagen, dass die Bäume ihn mit den Zweigen schlugen.

Plötzlich brach’s hinter ihm im Busch; aber eh er sich wendete und das Gewehr von der Schulter riss, sprang ihm der Veit schon mit einem wilden Schrei auf den Rücken und warf ihn zu Boden.

Wie der Sturm den Ruf noch nicht einmal verschlungen hatte, waren auch die anderen drei über ihm, und wie eiserne Fesseln hielten ihn sehnige Arme umschlungen. Sie drehten ihm einen Knebel in den Mund; sie schnürten ihm die Arme auf den Rücken; sie warfen ihm eine Schlinge um die Füsse. Nur Stampfen und Stöhnen und das Rasen des Sturmes war zu hören und das Bersten und Ächzen der Stämme. Dann nahmen sie den machtlosen, geknebelten Mann, stellten ihn an dem Stamm einer Bergfichte auf und fesselten ihn mit verbundenen Augen an den Baum. Sie wandten sich ab und richteten sich die Moosbärte in ihren Gesichtern erst wieder zurecht. Dann lösten sie dem Gefesselten die Binde von den Augen, traten an ihn heran, und der Pechschaber redete mit tiefer, verstellter Stimme, indem er ihm das geladene Gewehr auf die Brust setzte:

„Jetzt passt auf, Mann! Wenn ich dir deine eigene Kugel in das Herz jagte, so wären wir dich los. Du, wenn du an unserer Stelle wärst, du besännst dich nicht! Und es mag nicht fern sein, dass sie einen der Waldleute heimtragen, dem dein Blei das Herz zerbissen hat.“

Der Pechschaber drückte ihm die Laufmündung fester auf die Brust. Der Gefesselte stiess wehe Laute hinter dem Knebel seines Mundes hervor und flehte mit qualvoll verängstigten Augen um Gnade.

„Du brauchst nicht um dein armselig Leben zu jammern; Mörder sind wir nicht. Wir schwärzen und schleichen auf die Wildbahn, weil unsere Weiber und Kinder hungern. Wem verschlägt das etwas? Nicht aus Lust am Gewerb’ und nicht aus Scheu vor der Arbeit, nein, die elendige Armut jagt uns hinaus in Nacht und Not. Und nun kommt so einer und will uns den Weg verlegen? Jetzt pass auf, Mann!“ — Der Pechschaber hing das Gewehr des Gefangenen an einen Aststumpf des nächsten Baumes. — „Wir haben dich nicht ins Dickicht geschleift, dass du dort verhungerst; du stehst hier ganz nah da am Wege, und diesen Weg herab geht schon noch einer, solang es Tag ist. Wer dich so sieht, wird dich lösen, wenn du auch aller Feind bist. Und wenn du frei bist, dann geh’ hin und sag: Das ist mir geschehen, weil ich den Johann Bratel einsperren liess, einsperren lumpiger Kreuzer wegen, um die er in Sturm und Nacht übers Gebirg gelaufen ist!“

Der Grenzwächter rührte den Kopf nicht, aber er schlug die Augen nieder. Da erkannten sie, dass sie den Richtigen gefangen hatten, und verschwanden im Jungholz.

Die Musikantenstadt

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