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14.

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An einem Augustmorgen, wie nun schon vorzeitig das Laub von den Bäumen fiel, schritt der kleine Prophet hinter seiner weissen Ziege zu Berg und schritt den schmalen Steilpfad beim Haus am Stein vorüber.

Wie das Mägdlein des Pechschabers das Glöcklein draussen vorbeiläuten hörte, band es sich das kattunene Kopftuch um und trieb seine graue Ziege aus dem Schupfen und trieb sie der andern hinterdrein.

Bald hatte die Annemarie den Jungen aus dem Kreuzhaus eingeholt.

„Du,“ sagte der kleine Prophet, „bei den drei Brunnen möcht’ auch in dieser dürren Zeit noch saftiges Waldgras wachsen.“

„Freilich wohl,“ gab das Mädchen zurück, „aber es ist sehr weit bis dorthin.“

„Und ist eine halbverfallene Köhlerhütte dabei, so hoch, dass ich beinahe darin stehen kann. Wenn wir reichlich Gras fänden oder gar Schwämme und Beeren, dann wüsst’ ich, was ich tät’. Aber du müsstest schon mitmachen, du!“

Also lockte der kleine Prophet das Steinhofmägdlein. Die Annemirl schaute ihn erwartungsvoll an:

„Was tätest du denn? Du wirst dir da wieder etwas Wunderliches ausgesonnen haben.“

„Wenn bei den drei Brunnen Schwämme und Beeren sind, so sammeln wir; ich hab’ zwei grosse Tücher mitgebracht, hier, siehst du? Und was wir finden, teilen wir.“

Aber das Mägdlein zauderte: „Da hätten wir aber schon um drei Uhr früh von Hause gehen müssen; denn nun sind wir erst nach Mittag an den Quellen, wenn wir eigentlich schon an ein Heimkehren den en sollten.“

„Ich hab dir ja gesagt, dass die Köhlerhütte dort ist. Die Nächte sind warm, und wenn wir einen Arm voll Reisig schneiden, so wird das Dach wieder ganz und wir haben ein feines Haus; ein Moosbett ist auch rasch zurechtgemacht und ist fein trocken in diesen Tagen.“

Über diese Rede wunderte sich das Mägdlein.

„Ja, fürchtest du dich denn gar nicht, Bub? So allein in der Nacht, wenn die Käuze schreien? Und beim Propheten und im Haus am Stein ängstigten sie sich ja zu Tode, wenn wir nicht heim kämen.“

Da machte der kleine Prophet ein pfiffiges Gesicht:

„Nein, du, dagegen hab’ ich schon gesorgt; wenn’s Nacht ist, und die Ziegen sind nicht in den Ställen, so wird meine Mutter den Pechschaberleuten sagen: Die Annemirl und unser Bub sind miteinander in der Drei-Brünneleinhütt’. Ein Brot hat der Bub mitgenommen, das für zwei langt, und wenn sie nicht gekommen sind, haben sie auch Schwämme und Beeren gefunden und tragen morgen davon herein. Damit werden die Pechschaber zufrieden sein.“

„Freilich wohl,“ sagte die Annemirl, war aber doch noch ein wenig nachdenklich. „Weisst du, vor Menschen ist mir nicht bange, es gehen keine bei den drei Brunnen hinauf. Aber die Schlangen und Molche, wenn sie einem des Nachts kellerkalt über die Hände laufen ...!“

So redeten sie miteinander. Wenn das Mägdlein etwas dagegen sagte, wusste der kleine Prophet etwas dafür. Sie gingen über Schläge, gingen im Schatten des Hochwaldes und gingen auf feuerheissen Bergsteigen. Sie kamen an einen Waldstein, der von stachlichtem Brombeergebüsch umrankt war, und pflückten sich die reifen Beeren; die waren aber in diesem Jahre klein wie die Blaubeeren; denn der Grund, auf dem sie wuchsen, sperrte das Maul auf und wollte trinken. Die Bäume, die in den Runsen des Gesteins Wurzel geschlagen und in der kargen Krume jahrelang Nahrung gefunden hatten, waren verdorrt.

Immer weiter schritten die Kinder. Die Ziegen hoben zeitweilig verwundert die Köpfe und trotteten träge hinterdrein.

„Es ist ein gar zu weiter Weg bis zu den drei Brunnen,“ klagte die Annemirl.

Der Junge tat sein Brot aus der Tasche und gab dem Mädchen davon.

„Du,“ sagte er, wie sie wieder über den trockenen Nadelgrund des Hochwalds schritten, „die alt’ Steinhöferin hat meiner Mutter, wie die noch ein Kind gewesen ist, von den drei Brunnen eine Geschichte erzählt; dort läg’ ein Tor, und wer sich hindurchfindet, der kommt in die silbernen Tiefen der Berge, in denen die Unterirdischen des Nachts die Schätze schürfen.“

„Ach, Bub, wenn’s wahr wär’! Aber die Steinhöferin hat allerhand Dinge gewusst und für wahrhaftig gehalten. Es hat zuletzt kein Mensch klug aus ihr werden können und — zuerst auch nicht,“ setzte die Annemirl halblaut hinzu. „Es ist schad, dass alles, was sie gewusst hat, nur Märchen gewesen sind.“

Darauf der kleine Prophet: „Dass sich die alt’ Steinhöferin das alles ausgedacht haben soll, das glaub’ ich nicht. Mein Vater sagt, etwas Wahres wär’ wohl an allem; selbst das wunderlichste Märchen wüchse auf etwas Wahrem. Freilich, wenn eine Zeit der Not im Waldland ist wie heute, da haben die Leute für derlei Dinge keine Zeit und haben keine Freude daran.“

Da blieb er auf einmal stehen und schaute ringsum:

„Du, jetzt, bei den drei Brunnen sind wir!“

Sie standen in einer Schlucht, in die kalte Felswände herniederfielen. Hundertjährige Bergfichten ragten ringsum; die hatten graue Flechtenbärte. Durch das dichte Geäst spannte sich nur da und dort das feine Goldband eines Sonnenstrahles. Der Grund war von schwellendem Moos überzogen.

Die Kinder gingen langsam durch das geheimnisvolle Dämmerlicht, das kühl um ihre Stirnen wehte und gingen langsam auf ihren blossen heissen Füssen über das feuchte Moos. Die Ziegen hatten sich, von dem langen mühsamen Wege matt, schon niedergelegt und pflückten die süssen Gräser, die spärlich die dicke Moosdecke durchstochen hatten.

„Es ist so dämmerig hier, als wollte die Nacht kommen,“ sagte das Mädchen.

Da nahm sie der kleine Prophet am Arm: „Du musst nun nicht furchtsam sein, Annemirl! Guck!“

Er deutete auf eines der glänzenden Strahlenbündel, das von oben her durch das Nadeldach rann. Das stand wie ein blankes Säulchen und stand fast so aufrecht, wie die Stämme des Waldes.

„Das ist der goldene Zeiger, den wir nach der Zeit fragen wollen. In der Nacht ist es ein silberner. Je schiefer er steht, desto tiefer sinkt die Sonne, desto tiefer schwimmt der Mond. Aber komm, wir gehen die drei Brunnen suchen!“

Sie waren noch nicht weit in der Schlucht gegangen, da weitete sich die zu einem ansehnlichen Talkessel. Zwischen den Stämmen stand auch richtig noch die alte Köhlerhütte, deren Dach mit den Breitseiten auf dem Moose ruhte und von Verfall redete. Der Junge schaute zu dem Loch im Dach hinein, und das Mädchen lugte mit Augen, die auf etwas Wunderbares warteten, durch die kleine Tür im Giebel. Eine Angel hatte der Rost zerfressen, darum hing das Türlein schief.

„Bub, ein Moosbett ist auch noch da; das hat sich einer vor zehn Jahren zusammengetragen oder noch früher, ist älter wie du und ist nun ganz neu überwachsen!“

Nicht weit davon hatten drei Steinpilze die dicken Köpfe durch Nadeln und Waldmoos geschoben. Mit einem Schrei fielen die Kinder darüber her; es waren die ersten im Jahr. Da leuchteten die Augen des Jungen:

„Siehst du! Zwar, viel werden hier auch nicht wachsen, aber wenn wir die Tücher voll heimtragen, so will ich mir die Füsse gerne wund gelaufen haben.“

Sie setzten sich auf den schattigen Grund, und die Annemirl säuberte die Stiele der Pilze von der feuchten Walderde. Immer mehr empfanden sie nun an ihren Füssen die wohltätige Kühle und sassen mit angezogenen Knien, damit ihre brennenden Sohlen flach auf dem Moose ruhen konnten. Auch merkten sie jetzt erst, wie müd’ sie geworden waren. Sie assen von dem schwarzen Brot und verzehrten den Rest der Brombeeren. Aber der Durst war noch nicht gelöscht.

Deshalb fragte das Mädchen, indem es Umschau hielt:

„Die drei Brunnen heissen sie’s hier? Wo sind sie denn? Du wolltest sie doch suchen.“

„Dort unter dem Gebüsch, glaub’ ich,“ sagte der kleine Prophet und erhob sich.

„Du bist aber sehr müde, Bub! Ich auch. Sieh’ einmal, ob du sie findest! Ich ruh’ mich inzwischen noch ein wenig aus.“

Die Ziegen lagen käuend im Moos und regten sich nicht. Da ging der Junge ein Stück zwischen den Stämmen dahin, und bald verkündete sein Ruf dem Mädchen, dass er die Brunnen gefunden habe. Das sprang auf und lief ihm nach.

„Zwei rinnen nicht mehr,“ sagte er, „aber der dritte, — schau!“

Aus einem Spalt im Gestein klang ein fadendünnes silbernes Wässerlein und fiel auf goldenen Sand, der war wie eine Schale aus Sonnenschein. Als die Kinder getrunken hatten, besahen sie auch die Stellen, an denen in anderer Zeit die Brunnen ans Licht getreten waren. Ringsum träumte schattenstiller Bergforst, und in dem Moose war deutlich ein Wildwechsel zu erkennen, der von den Tieren des Waldes wohl erst in der Dürre des Sommers getreten war, weil weitum nur noch die eine Quelle rann.

Nun gingen sie wieder zurück und durchsuchten die Hütte. Hinter den Sparren, die das Moosdach trugen, zog das Mädchen einen tönernen Stieltopf hervor.

„Ei,“ freute sich der Bub, „wenn wir nun doch über Nacht hier bleiben, so werden wir uns jetzt Schwämme braten! Bist du noch hungrig?“

Aber die Annemirl sah ihn mit unsicheren Blicken an: „Nun doch hier bleiben? Möchten wir nicht lieber heim?“

„Wir wollen Schwämme suchen und ein Feuer zünden. Was ist denn weiter dabei? Daheim sässen wir träg auf der heissen Bergweide.“ Er schaute nach dem goldenen Weiser der Himmelsuhr: „Es ist jetzt die Mitte des Nachmittags; vor dem späten Abende kommen wir gar nicht heim, und wir laufen uns auf dem sengenden Grunde die Füsse blutig.“

Dabei waren seine Augen so tief und leuchtend geworden, dass ihn das Mädchen lange verwundert ansah.

„Du, mir ist, du hast noch ein Geheimnis! Warum sagst du mir das nicht?“

Der kleine Prophet schnitt mit seinem Taschenmesser Fichtenreiser zur Deckung des Hüttendaches. Wie er dem Mädchen einen Teil der Zweige in den Arm gelegt hatte und selber mit einer grossen Last hinter ihm drein zur Köhlerhütte geschritten war, und wie sie das Dach geflickt hatten, sagte er endlich: „Ja, ich hab’ ein Geheimnis, und ich will mit dir hernach darüber reden. Erst wollen wir aber den Topf waschen und wollen auf dem Wege zu dem Brunnen noch mehr Schwämme suchen, damit wir ein Nachtmahl haben.“

Da gingen sie miteinander, und er verfiel alsbald wieder in sein schweigsames Sinnen.

Während sie nach den braunen Köpfen der Pilze spähten, begann das Pechschaberkind zu singen, erst leise und tastend, dann lauter. Da wusste der kleine Prophet, dass die Annemirl nun alle Furcht vergessen habe. Darüber ward er froh; denn er dachte, dass ihr Mut aus dem Vertrauen zu ihm wüchse. Sie hatte eine reine, klare Kinderstimme von wunderbarem Wohllaut; vielleicht wollte sie ihn auch erfreuen, weil er ihr wieder zu nachdenklich war; denn sie wusste: Sein verträumtes, besinnliches Wesen gab sich ihren Liedern hin wie Liebkosungen.

Weil der tiefe, geheimnisvolle Zauber eines ihnen fremden Waldstriches um sie war, und weil auch die feuchte Kühle des Quellgebietes um ihre Stirnen floss, die der Hochwald um das Dorf seit langen Wochen ihnen versagt hatte, oder auch, weil das ‚Geheimnis‘ sein Herz erfüllte, dachte er, sie habe noch nie so schön gesungen wie jetzt. Und doch lauschten des Abends die Leute vor den Hütten, wenn vom Steinhofhause her die Lieder der Pechschaberleute über das Dorf tönten. Sie sagten: „Die Alten haben noch die vorige Zeit in sich, in der sie landfahrend gewesen sind. Aber die kleine Annemirl kann’s doch besser wie sie alle.“

Wie der goldene Zeiger der Himmelsuhr nun schon ganz schräg im dämmerigen Grün unter dem Nadeldache stand und das goldene Gespinst der untergehenden Sonne die Luft erfüllte, sassen die Kinder vor einem Feuer, das um den Topf mit den siedenden Pilzen loderte.

Während das Mädchen hernach mit einem Stöcklein rührte, suchte der kleine Prophet in der Köhlerhütte, ob etwa ein Waldgetier unter dem verlassenen Dache sich heimisch gemacht habe. War aber nichts da als das trockene, weiche Moosbett; nicht einmal ein Duft von Moder und Walderde schwamm in dem Häuslein, über das nun länger als drei Monate kein Regen geronnen war.

Dann erstickten sie das Feuer mit feuchtem Moos, tauchten die Würfel des Schwarzbrots, die sie sich geschnitten hatten, in das Schwammgericht und assen.

Der Sonnenzeiger war nun nicht mehr da.

Darum banden sie die Ziegen an einen Stamm vor der Hütte, gingen hinein und legten sich auf das weiche Moosbett. Sie wollten aber noch nicht schlafen, sondern nur ausruhen und ihre Füsse schonen. Das Mägdlein lag auf dem Rücken, hatte die Hände über der Brust gefaltet und sagte: „Ich denke, wir gehen ganz früh vor der Sonne fort.“

Aber der kleine Prophet stützte den Kopf auf seinen Arm und neigte sein Gesicht über das ihre:

„Annemirl, nun will ich dir mein Geheimnis verraten! Ich habe immer, wenn ich mit der Ziege auf der Bergwiese gewesen bin, an die Rede der Steinhöferin denken müssen; denn ich glaube, sie hat sich ihre Geschichte nicht ersonnen. Es wird schon etwas Wahres daran sein. Manchmal, wenn ich an einer Runse im Gestein vorübergehe oder die goldenen Flechten hoch an den Felsen leuchten sehe, so ist mir, es müsse irgendwo das Tor sein, durch das die Menschen hingehen können in die Tiefen der Erde, in denen die grossen Schätze liegen, von denen die Steinhöferin meiner Mutter erzählt hat.“

„Freilich wohl,“ entgegnete das Mädchen. „Aber diese Türen — hat uns der Lehrer doch gesagt — müssen sich die Leute erst schlagen und tun das auch. Du weisst ja, sie graben Schächte und Stollen durch das Gestein und schürfen als Bergleute Erze, woraus dann das kupferne, silberne und goldene Geld geschlagen wird; oder sie graben Eisen und machen die Flinten und Hämmer und Axte daraus.“

Darauf schwieg der kleine Prophet und legte sich auch auf den Rücken.

„Ich dachte mir das anders,“ sagte er still und konnte die Enttäuschung nicht verbergen, die ihm ihre Worte bereitet hatten. „Ich dachte, es müsste ein Ort sein, an dem man in den Berg gehen und dann in den Gewölben mit silbernen Wänden und Decken wandeln könnte.“

„Ach nein, das ist wohl nicht!“ entgegnete das Mädchen.

Nun, da sie lagen, war die Müdigkeit Herr über sie geworden und legte ihre weichen, schweren Schleier um sie. Da schliefen sie ein.

Aber der Traum von den silbernen Wänden und goldenen Stiegen im Stein stand auch im Schlaf neben dem Knaben, und seine Lider zuckten, als wollten sie sich weit öffnen, damit aller Glanz in seine Augen gehen könne; und seine wunden Füsse bewegten sich, als wollten sie die klingenden Stufen beschreiten. Aber das blendende Leuchten war seinen Augen fremd; da legte er die Hände wie zum Schutze über die Lider ...

Die Ziegen vor der Hütte liessen ein kurzes, verschlafenes Meckern hören, wie es der Schlummernde von daheim kannte, wenn jemand in der Nacht an dem Stalle vorüberging. Darum erwachte er vollends: aber das Leuchten der Schätze des Berges war nicht um ihn, sondern ein tiefes Dunkel, in das nur eine einzige silberne Saite Mondschein gespannt war. Die fiel durch eine winzige Lücke im Reisig des Daches. Und es war auch ein dumpfes, schweres Schreiten draussen auf dem Moose.

Darum stockte der Atem des Knaben, und sein Herz wollte nicht mehr schlagen. Er fürchtete sich; er lauschte, ob die Tritte vorübergingen. Wie sie wirklich ferner zu sein schienen, drückte er einen Zweig des Daches lautlos zur Seite und lugte hindurch. Da sah er ein Rudel Hirsche auf dem nahen Wechsel schreiten, das zu dem fliessenden Brunnen zog. Und eine fromme Dankbarkeit kam in sein Herz, dass es keine Gefahr gewesen sei, aber auch die Sorge, das Mädchen möchte erwachen, wenn das Wild wieder von dannen ziehe, und es möchte eine noch tiefere Verzagtheit über sie kommen, als er sie jetzt gelitten habe.

Darum rückte er ein wenig auf dem Mooslager hinab, bis er mit dem Fusse die spannenweit geöffnete Tür zudrücken konnte.

Nach einer Zeit vernahm er wieder das Wandern.

Wie er dachte, dass nun alles Wild fortgezogen sei, und wie er nun schon recht lange mit unter dem Kopfe verschränkten Armen wach gelegen hatte, fiel ihm ein, dass es kurz vor Tag sein werde. Die Zeit seines Traumes, in der er soviel Reichtümer gesehen hatte, schätzte er auf Stunden. Weil er aber das tiefe, ruhevolle Atmen des Mädchens hörte, verliess er das Lager allein, schritt lautlos und biss sich auf die Lippen, als die Knöchel seiner Füsse knackten; denn er dachte, die Schläferin könne davon erwachen. Dann zog er die Türe hinter sich zu.

Nun sah er: Es war wirklich der Tag, der auf dem Wege war, wiewohl der halbe Mond noch seine blitzenden Bänder durch die Gezweige der Bergfichten flocht. Es war das kalte Licht der ersten Frühe, und ganz ferne erscholl der kollernde Ruf des Auerhahns.

So schritt der Knabe lautlos über das weiche Moos, um an dem rinnenden Quell die letzte Müdigkeit sich aus den Augen zu spülen und die Füsse für den langen Heimweg zu kühlen. Da erhob sich plötzlich dicht vor ihm ein dröhnendes Schlagen.

Der Schreck warf ihn zurück; er taumelte gegen einen Stamm.

Ein Hirsch, ein ‚Abgeschlagener‘, der als der Schwächere den Kampf gegen den Platzhirsch verloren hatte und nun das Reich seines königlichen Vetters mied, hatte noch allein an der Tränke gestanden und stob nun — weil er den einzigen Weg aus dem Talkessel versperrt fand — in wilder Flucht den steilen Berghang empor. Geröll löste sich unter seinen schlagenden Hufen und rollte krachend hernieder.

Der Knabe fühlte sein Herz noch zittern und suchte mit den Augen in dem zwitterigen Lichte. Aber nur der silberne Fall des Quells klang in die goldene Schale.

Er trat hinzu und stellte seine Füsse in die Klarheit des Wassers, aus dem das feine Gewebe eines Nebels stieg. Da war drüben, wo der Hirsch die Flucht gesucht hatte, ein Glänzen im zerwühlten Erdreich um den versiechten Bronnen. Das war leuchtend wie der Schein, den er in seinem Traume gesehen hatte. Und es kam ein Glück über ihn, so gross, dass es ihn bange machte wie die Furcht, in der er vorhin gezittert hatte.

Endlich ging er dem Ort entgegen. In das Licht zwischen den Stämmen brach ein heimlicher goldener Glanz; denn der strahlende Rand der Sonne stieg irgendwo über den Wald.

Wie der Knabe mit den Händen das gelockerte Erdreich zur Seite geschoben hatte, sah er: Das ist die Stelle, an der sonst der Brunnen aus dem Riss im Gestein gefallen ist. Nun war der Hirsch mit schlagenden Hufen darübergesetzt, nun lag das blendende Erz zu Tage, und nun stand der arme Hütejunge aus dem Walddorfe vor den silbernen Toren der Tiefe!

Und der lange verhaltene jauchzende Ruf rang sich aus seiner Brust und flog in den erwachenden Forst. Die Ziegen vor der Hütte sprangen empor; das Mädchen auf dem Moosbette schlug die Augen auf und erschrak, denn der Knabe war nicht mehr da. Aber da sprang auch schon die Türe auf, und es brach ein Strom Taglicht und überquellende Freude in die Dunkelheit unter dem armen Dache —

„Pechschabermirl, das silberne Tor, das silberne Tor!“

Die Musikantenstadt

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