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Die Musikantenstadt ist noch ein Dorf, ein Dorf in einem Tal im Waldgebirg. Darum muss zuerst von Schmugglern, Wildschützen und Erzgräbern und dann von fahrenden Spielleuten erzählt werden.

Ganz früh an einem Sommermorgen, wie der Bergwald noch im Tau stand und die Tale rauchten, kamen schon zwei Menschen im Stangenholze daher.

Es lief dort kein Pfad. Fichtennadeln lagen am Grund, und Wurzelschlangen ringelten sich hindurch; denn es waren zwischen den schlanken jungen Bergfichten noch etliche fusshohe Wurzelstöcke zu sehen, auf denen nun das Geschlecht der Schwämme schmarotzte. Namentlich die goldenen Bäumlein des Ziegenbartes wohnten auf dem Morschholze, die so fein sind, als hätten sie die Zwerge in der Mittsommernacht beim Erzschürfen verloren. Warum denn nicht? In der Mittsommernacht ist der Bergwald voll Wunder. Die Waldleute wissen das, denn ihre Augen sehen den Reichtum der Erde; sie hören das Rauschen der Stürme im dunkelgrünen Forst und gehen im dämmerigen Licht ihrer Wälder. Da werden die Herzen träumerisch; da wächst viel wunderlicher Glaube; da schiessen die Märchen wie die Pilze.

Und die beiden, die im blitzenden Morgentau durch das pfadlose Stangenholz schritten, waren nun doch fahrende Musikanten!

Der Mann hatte eine Flöte unter dem Arm, und die Frau trug eine Geige in schäbiger Wachstuchhülle am verschossenen grünen Band auf dem Rücken. In den Armen hatte sie ein mässiges Säcklein; Kaffee, Mehl und Zucker waren hineingepackt, und damit waren die beiden Musikanten im Schutze der Nacht über die Landgrenze geschlichen und am Zollhause ‚versehentlich‘ vorbeigelaufen. Die Musikanten waren also nebenbei Schmuggler, wenngleich sie aus der Schmuggelei kein Gewerbe machten wie so viele, die ihre Hütten an die Landgrenze gebaut haben.

„Annemirl,“ sagte der Mann halblaut zu der Frau, vielleicht weil er von dem Frühkonzerte der Vögel feierlich gestimmt war, und blieb aufhorchend stehen, „Annemirl, mir ist, es steigt da einer in den Fichten daher! Hörst nix?“

Da lauschte die Frau:

„Nein, hören tu ich nix als ein wunderliebes Singen und ein tiefes fernes Brausen des Wildwassers. Du, Girgl, eine solche Musik — wenn einer machen könnt, hernach, was meinst? Da täten sie lauschen und in die Hände klopfen, die Stadtleut! Gelt, du? Und die Zeitungen täten es ausschreien: ‚Der Pechschabergirgl und die Singerannemirl sind wieder hiesig und werden sich die Ehr geben, am Sonntag ein Monsterkonzert aufzuführen‘ — und so weiter. Hab ich etwa nicht recht, Mann?“

Der Pechschaber knallte mit Daumen und Zeigefinger, als wollte er sagen: „Du, das — wenn es wäre — —“

Aber da sprang er auch schon wie ein geschreckter Rehbock ins Dickicht. Die Frau sah ihm erschreckt nach.

„Du,“ rief der Pechschaber alsbald aus dem Kleinholz heraus, „jetzt — sei schlau und mach’s gut! Weisst du noch, was wir miteinander verabredet haben? Ein Mannsbild taugt zu solchem Geschäft nicht. Annemirl, der Grenzwächter — er ist keine hundert Schritt weit in den Stangen!“

Die Annemirl, wie sie das hörte, warf ihr Säcklein an den Boden, hockte sich drüber, dass es ihr unter dem Rock über die Knie zu liegen kam, und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Fichtenstamm.

Jetzt, wie der Wächter die verhallenden Schritte des Pechschabers und das Brechen im Kleinholz vernahm, kam er eilig näher, hob sein Gewehr von der Schulter und spähte wie ein Hirsch in die Runde.

Da schaute er auf und sah das Weib am Nadelgrunde hocken, keine hundert Schritt in die Stangen hinein. Nun wusste er auch, woher der Klang der Tritte gekommen war.

Das Gewehr im Arme ging der Wächter auf die Musikantenfrau zu. Aber schon von weitem sah er: Schwärzen tut die nicht, die macht ein wehleidiges Gesicht. Und klagen und jammern hörte er sie auch. Wie er vollends herangekommen war, fragte er sie:

„Was hockt sie denn da im Forst, Frau? Und wie ist sie eigentlich hergekommen?“

„Hergekommen bin ich auf meinen zwei Füssen, Herr Finanzer! Ach, wenn ich das gewusst hätte!“ wimmerte sie. Da schloss ihr schon der Schmerz den Mund, und sie krümmte sich ganz erbärmlich. Der Grenzwächter fasste sie am Arm. Aber die Annemirl verzog das Gesicht und tat elendig:

„Geduld, ich bitt schön, Herr Grenzwächter, ich erzähl’ gleich weiter! Nur ein klein wenig mag’s vorbeigehen. Dass mir das nun geschehen muss! Und hier mitten im Wald! Herr Finanzer, das ist mein End! Die schwere Stund, — nun überrascht sie mich hier auf dem Berg, — o je, o je!“

Dabei stürzten der Musikantenfrau zwei Tränenbächlein über die Wangen. Sie hatte die Hände gekreuzt, vorn, über dem Säcklein unter ihrem Rock, krümmte sich in ihrem Weh und spielte ihr Spiel so gut, dass den Mann mit der Flinte das Mitleid ankam. Des zum Zeichen kraute er sich hinter den Ohren, rückte die Mütze aus der Stirn und machte hilflose Augen.

„Die Frau ist fremd hier?“ fragte er und wartete auf einen Einfall. Der Bergwald ist voll Wunder; aber was sich da vor ihm ereignen sollte, war ihm neu. Er strich sich den Schnurrbart:

„So will ich die Frau auf die Arme nehmen und in das Haus beim schwarzen Kreuz tragen.“

Da neigte die Annemirl den Kopf und lispelte:

„So oder so, — mein Tod ist’s ja doch ...“

Wie der Wächter daran dachte, dass er eine Tote ins Tal tragen könne oder gar zwei, fror ihn ins Herz. Und dann hätten sie ihn angeschrien; und dann würden sie ihn verhören; und der Mann der Musikantenfrau — wenn sie einen hat — würde aufstehen und sagen: ‚Wächter, du hast mir mein Weib umgebracht!‘ Es ist nicht zum ausdenken, was so eine Mildtätigkeit einem für Qual machen kann. — Er stampfte mit dem Fusse:

„Aber auf so was wartet man doch nicht im Walde, Frau!“

„Ach Gott, gewartet hätt’ ich schon nicht drauf, Herr! Überlaufen hat’s mich. Hat’s halt ein bissel eilig gehabt, das Kleine — und der weite Gang übers Gebirg!“

Der Grenzwächter hing sein Gewehr wieder über die Schulter:

„Ich lauf rasch einmal bergein und schick die Kreuzfrau herauf. Hört sie?“

„Ja, Herr Finanzer, wenn’s sein kann, das wär schon gut!“

„Aber eine Stunde vergeht, bis sie Hilfe hat!“

„Vergelt’s Gott, Herr! Ein Stündl, — o je, o je! Na, am End verzieht’s noch so lang. Aber Eile tät schon not.“

Wie der Mann mit grossen Sätzen und seinem Mitleide den Hang hinabsprang, rief sie ihm noch ein dankbares ‚Vergelt’s Gott‘ nach, und dann verschwand die Annemirl im Gebüsch.

Sie lief quer durch das Unterholz. Sie lief dem Pechschaber nach. Das Säcklein mit den Schmuggelwaren hatte sie nun aber unter dem Rock hervorgetan. Und weil der Pechschaber auf dem Blatte pfiff, wie um diese Zeit der Rehbock die Ricke lockt, so fanden sie sich alsbald wieder zueinander: die Frau noch ein wenig in Angst, der Pechschaber vergnügt wie ein Eichhorn. Machte ein paar Hopser und kroch mit seinem Weib ins Dickicht.

Dort war vom Sommer ein sammetweicher Moosteppich hingebreitet, als sollte der Bergkönig darauf sich niederlegen, wenn er einen Spaziergang durch den Hochwald macht. Es floss auch ein goldener Strom Sonne von oben herein. Den liess sich der Pechschaber über seinen Rücken laufen, damit der Frühtau verdampfe, der waldfrisch und klar daraufgeronnen war, stützte das Kinn in die Hände und zwickte die Augen listig zu:

„Ein gescheit’s Weib muss der Mensch haben. Das ist die Hauptsache; dann kann ihm nix geschehen.“

Die Annemirl lachte so in sich hinein und machte sich’s ebenfalls bequem im Moos; sie liess sich liegend auch den Goldstrom über den Rücken rinnen.

„Es muss einer sich erholen,“ sagte sie, „von dem, was er ausgestanden hat. Ist das etwa gelogen gewesen, wenn ich hab zu dem Grünen gesagt, eine schwere Stund ist das?“

Der Pechschaber lachte: „Ich sag’s ja: ein gescheit’s Weib —“

„Pechschaber, dir ist das eingefallen, dir! Gut ist’s gewesen. Darum: wenn der Mann auch ein bissel gescheit ist, so ist’s kein Schad.“

So stritten sie sich eine Weile leis und vergnügt, und jeder Teil wollte, dass der andere der klügere sei. Dann sagte der Pechschaber:

„Annemirl, weisst du was?“

„Nix weiss ich.“

„Unsere Gescheitheit kommt auf eins hinaus; denn dass wir das Landfahren mit heut aufstecken, das ist uns beiden zugleich eingefallen, — und das ist das beste! Ich bin so lustig darüber, dass ich dem Bergwald gleich mein löchernes Blasholz schenken tät, wenn er eins brauchete. Macht aber selber eine Musik, der Wald, und eine gottlos feine, Annemirl! Weisst du, wenn unsereiner landfahren und mit seinem Musikantentum sich ein Geld verdienen will, so muss er noch viel gescheiter sein als wir zwei.“

Die Frau sah den Pechschaber verwundert an:

„Noch gescheiter? Wie meinst du denn das?“

„Na, der Mann muss sich halt eine Weibsperson mit mindestens einem Holzbein heiraten. Noch besser sind zwei Holzbeine. Denn je lahmer sie ist, desto mehr bringt sie Geld. Für unsere arme Kunst, weisst du, da sind die Leut in dieser hellen Zeit zu aufgeklärt. Darum — nutzt alles nix: der Pechschaber und die Annemirl werden von heut an sesshaft.“

Die Musikantenstadt

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