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Bald darauf ist der Johann Bratel aus dem Kotter wieder ins Waldhaus heimgekehrt. Da hat er alles erfahren, was sie dem Grenzwächter seinetwegen angetan hatten. Er hat lange versonnen auf der Ofenbank gesessen — es waren ihrer viele in sein Haus gekommen — und hat nachgedacht. Dann hat er den Mund aufgetan:

„Leut, es ist nicht gut, es ist aber auch nicht schlecht in jetziger Zeit!“

„Schlecht genug, wenn einer unschuldig acht Tage eingesperrt wird!“

„Hätt’ ich mich nicht fangen lassen, hätten sie mich nicht gehängt,“ gab der Heimgekehrte zurück. „Aber jetzt passt auf, jetzt sag ich euch eins: Wenn erst die Weiberleut im Waldgebirg sich behaben wie die Männerleut, und wenn auf sein ehrliches Wort keiner mehr ein Geld zu leihen kriegt, hernach, Leute, dann sind die schlechten Zeiten!“

Er sagte das mit weiten, geheimnisvollen Augen und einer klaren, lauten Stimme. Da wurden sie alle still im Haus; denn sie sahen in sein bleiches Gesicht und dachten über das Wort nach. Und sie dachten, das geheimnisvolle, fernschauende Wesen habe er von dem schwarzen Kreuzmann geerbt, dem über dem Schachtelmachen auch allerhand wundersame Einfälle kämen. Deshalb hatten sie den Alten vor vielen Jahren zum Gemeindevorsteher gewählt. —

Seit dem Tag, an dem der Johann Bratel den wunderlichen Ausspruch von den schlechten Zeiten getan hatte, vergassen sie seinen Namen und nannten ihn den ‚Propheten‘; das Büblein der Frau Bärbel aber, das die Pechschaberin vor einer Woche in süsser Ahnung künftiger Freuden geherzt hatte, war fortan ‚der kleine Prophet‘.

Wie die Leute aus dem Gemeindevorsteherhaus dann hinausgingen in die wüste Spätherbstnacht, dachten sie der Prophezeiung nach und sagten zueinander: „Das müsste eine elende Zeit für das Waldland sein, wenn sich die Weiberleut wie die Männer gebärdeten, und wenn einer auf sein ehrlich Wort hin kein Stück Geld sich leihen könnte. Gott mag uns behüten, dass das kommt!“

Die alte Steinhöferin aber, wie ihr die Pechschaberfrau an diesem Abend erzählte, was der Bärbel ihr Mann prophezeit habe, kreuzte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. So lehnte sie eine Weile gegen die Kacheln. Dann sagte sie: „Leut, und ihr glaubt, dass der Schani das aus sich selber hätt’? Gott bewahr’ mich!“

Und dann begann sie zu erzählen, wie sie einst als blutjunges Dirnlein mit anderen auf der Waldwiese im Reigen gesprungen sei, und wie da auf einmal drei kniehohe Menschlein zwischen ihnen gewesen seien. Das hätten ihr die Leute hundertmal ausreden wollen. Aber die alte Steinhöferin war deswegen hundertmal zornig geworden und dabei geblieben. Auch einmal, so erzählte sie, wie der Schani Bratel noch ein kleiner Bub gewesen ist, ist er daheim fortgelaufen. Wie die Nacht kam, haben ihn die Kreuzleut gesucht. Er blieb aber fort. Darüber hat sich die Steinhöferin besonnen: ‚Es ist ja heut Mittsommernacht, und in der Nacht steigen die Zwerge herauf wie damals auf der Waldwiese.‘ Da ist sie auf jene Au im Forst gelaufen, und richtig, auf einem Baumstumpf hat der Junge mit erstaunten, weltfremden Augen gesessen und hat ihr erzählt, er sei in einer schönen, glänzenden Zwergenstube gewesen. Darin war ein Licht wie untergehende Sonne, und ein fremder Mann, der hat ihm seinen Prophetenspruch damals schon gesagt. „Und nun,“ meinte die Steinhöferin, „nun ist ihm jene Weisheit wieder eingefallen. Aber aus sich selber hat er sie nicht. Wie kann denn ein Mensch so gescheit sein?“

So ist der Prophet schon ein Sonderlicher gewesen, wie ihm noch das Hemdlein zu den Hosen herausgeschaut hat. Zu den anderen, die die muntere Keckheit und den fröhlichen Übermut vor ihren Lebenswagen gespannt hatten, damit diese beiden auf der steinichten Strasse sie leidlich durchs Leben führen, war dem Propheten der Weg seintag fremd geblieben. Dagegen hatte er gern einsam auf der sonnenheissen Waldlichtung gelegen und hatte zugeschaut, wie sich dort die bunten Nattern wandten und wie die schillernden Eidechsen spielten.

Die Waldleute erklärten sich daher den tiefen, feuchten Glanz in seinen Augen und sein verträumtes Wesen. Aber die Steinhöferin kniff die Lippen zusammen, wenn sie das hörte; denn sie wusste es besser: Das ist der Widerschein des Lichtes, das wie Sonnenuntergang in jener fernen Mittsommernacht die Felsenstube der Zwerge hell gemacht hatte.

Vordem, da hatte die alte Steinhöferin ein fixes Mundwerk und hatte — insonderheit, wenn draussen der Schneewind mit den Flügeln schlug — ihren wunderlichen Glauben in hundert Geschichten durch das Walddorf getragen. Aber seit sie sich über die Schwelle getastet hatte, die vor dem zehnten Jahrzehnt ihres Lebens lag, da schritt sie in einem noch seltsameren Lichte; das war so dämmerig, dass sie Traum und Leben, Gesicht und Wahrheit nicht mehr unterscheiden konnte. Sie sagte: „Ich habe alles erlebt und mit diesen Augen gesehen.“ Aber die Leute meinten: „Sie hat alles erdichtet und weiss nicht mehr was Gesicht und was Wahrheit ist.“

In das Herz der Bärbeli, die die alte Steinhöferin in dem Haus am Hang grossgezogen, hatte die greise Frau den ganzen Reichtum ihrer wunderlichen Gedanken gesenkt. Wenn des Abends die Scheiter im Ofen krachten und der Sturmwind recht wild über den Wald fuhr, da hatte die Alte in jenen vergangenen Jahren mit dem Kind in der ‚Hölle‘ hinter dem Kachelofen gesessen. Und wenn sie zu erzählen begann, zog die Bärbel die Füsse unter das Röcklein, hockte sich mit weiten Augen auf die Ofenbank und fühlte heimliche Schauer über ihren Rücken rinnen.

In der Frühlingsonne hatten sich dann der Bub vom schwarzen Kreuz und das Mägdlein vom Steinhofhause gefunden. Sie waren miteinander in die Beeren und in die Schwämme, ins Holz und später vor den Altar gegangen. Und nun waren sie drei wunderliche, fromme, verträumte Leute, die dreie im Haus ‚beim Propheten‘; denn der kleine Prophet zählte auch schon für einen.

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