Читать книгу Tod am See - Max van Berque - Страница 10
6 Nachbarn
ОглавлениеWenige Minuten nach dem Intro der Reportage wich die Anspannung aus Hardys Gliedern. Einen Augenblick fühlte er sich müde. Seine Augen fielen zu, die Arme hingen wie Blei an seinem Körper. Hätte er sich bewegt, wäre er vom Stuhl gefallen. Jede Spannung hatte seinen Körper verlassen. Er musste aufpassen, dass er nicht einschlief.
»Hey Hardy altes Haus. Wir mühen uns mit deinem Streifen ab und du unterbrichst uns durch lautes Schnarchen.« Scheiße dachte er, um ein Haar wäre er vom Stuhl gekippt. Er war eingeschlafen. Er brauchte Kaffee, lächelte müde. Wenn er nach vier Uhr die Kaffeemaschine auch nur aus der Nähe sah, war es das mit seinem nächtlichen Schlaf. Heute, wo er das Boot voller Gäste hatte, blieb ihm keine andere Wahl. Er trottete benommen zwischen den Kollegen durch und rutschte die Treppe mehr hinunter, als dass er sie ging. Im Bad hielt er seinen Kopf unter den eiskalten Wasserstrahl, bis es schmerzte. In der Küchenschublade kramte er nach einem Kaffeefilter. Da knackte es hinter ihm.
Es war die Bootstür. Ohne sich umzudrehen, spürte er ihre Gegenwart. Ein leichter Windstoß hatte den Duft ihres Parfüms zu ihm getragen. Es war eine angenehm feminine Mischung aus frischen, fruchtigen Noten und einem Hauch Vanille. Er schmunzelte. Seine Hand suchte halt an der Arbeitsplatte seiner Pantry, der Bootsküche. Clara seine Nachbarin war hereingekommen. Nach wenigen Wochen hatte er eine Vertrautheit gespürt, für die er sonst Jahre brauchte. Nur gesagt hatte er es ihr nicht. Zu viel Arbeit oder Flucht, das wusste er selbst nicht so genau. Wollte sie zu ihm oder suchte sie die Toilette? Er hatte keine Lust, den Entertainer zu geben. Wer weiß, vielleicht plante sie für morgen schon ihre Abreise. Bei Bootsmenschen war das so eine Sache. Leinen los und weg waren sie.
»Eine gute Idee.«
Er sah sie irritiert an. Also doch, dachte er. Sie plant ihre Abreise und er hatte ihr noch nicht einmal gesagt, was er von ihr hielt. Hardy schluckte. Ihm fiel erste jetzt auf, dass sie die einzige Frau an Bord war, die sich richtig schick gemacht hatte. Er fragte sich, ob sie sich von dem Abend mehr erhofft hatte. Immerhin war ihr Look operntauglich.
Sie deutet auf den Kaffeefilter in seiner Hand. Im Hausboot war es schummrig. Durch die Fenster schien lediglich das Licht, was die Stadt noch übrig hatte. Hardy schaltete auf Angriff. Nichts war blöder, als sich zu verstellen. Dafür war er zu alt. Er wollte sie kennenlernen und er wollte, dass sie das wusste. Sollte er was zu ihrem umwerfenden Kleid sagen? Dazu, dass sie hinreißend duftete und das er sie am liebsten direkt in den Arm nehmen wollte? Das war alles so ein Zeug, was der verschlagene Typ vom Boot hinter seinem auch sagen konnte. Er konnte sich nicht erinnern, ob sie beide zusammen gekommen waren. Vielleicht waren die beiden ein Paar? Scheiße, dachte er. Er brauchte einen Kaffee und er musste was sagen. Er kannte das nicht von sich. Üblicherweise sagte er, was er dachte, aber sie wollte er nicht verschrecken. Er wollte nicht als der Draufgänger dastehen. Sonst war ihm das egal, was sein Gegenüber von ihm dachte, aber sie war anders und das wollte er ihr zeigen.
»Wir gehen zu dir.«, hörte er sich sagen.
»Wieso, geht dir der Kaffee aus?« Sie war gut, dachte er. Ironisch, witzig. Ihre Worte konnten aber auch etwas ganz anderes bedeuten. Er sah ihr schon viel zu lange in die Augen. Es schien sie nicht zu stören. Sie hielt seinem Blick stand. Ihm gefiel das und er hatte den Eindruck, dass es ihr auch gefiel. Das war gut.
»Nee aber ich könnte Ruhe gebrauchen.«
Sie lachten beide.
»Hast du noch einen Termin?« Er hob an, ihr zu sagen, dass er sie in ihrem Kleid atemberaubend fand. An ihrem Augenaufschlag erkannte er ihre Verunsicherung. Er wollte sie nicht wegstoßen. Genau das Gegenteil wollte er.
»Du bist doof.«
Er durfte auf keinen Fall in Ironie verfallen. Das war zu leicht. Und Ironie konnte sie zu leicht missverstehen. Sie könnte Schaden anrichten. Es gelang ihm nicht, offen mit ihr sprechen. Vielleicht war es die Angst vor einer Verletzung. Eine Empfindlichkeit, die ihm die meisten Menschen nicht zutrauten. Er wirkte selbstbewusst, verlor selten die Nerven. Am meisten kratze, seine Unfähigkeit, Dinge zu organisieren, am Supermann Image.
Im Gespräch öffnete er Menschen. Er bewegte sie, über ihre Gefühle zu sprechen. Das gelang ihm mit und ohne Kamera. Nur er selbst hatte Schwierigkeiten mit ihr so weit zu gehen. Früher war es noch schlimmer. Er hatte gestottert und war rot geworden. Diese Zeiten hoffte er, hinter sich zu haben.
Sie hätte ihm am liebsten einen Klaps auf seinen Po gegeben. Er wirkte offen, nicht so in Eile, beschäftigt und abweisend wie im Kreise seiner Kollegen, wenn er umgeben von Kameraleuten und Tonassistenten Besprechungen auf seinem Boot abhielt.
»Los, raus zu deinen Gästen« Er gab den guten Gastgeber, smaltalkte mit jedem. Seine Gedanken waren auf dem Nachbarboot oder eher, bei dessen Eignerin.
Er freute sich schon vor diesem Abend auf sie. Hatte gehofft, dass sie käme. Clara und Sten stammten jeweils von den Hausbooten, die vor und hinter seinem lagen. Er kannte beide erst seit ein paar Monaten.
Nach seinem Film standen sie achtern an der Reling und schauten in die untergehende Sonne. Er schmunzelte, vielleicht war es den Bewohnern der Hausboote gemein, dieser Sinn für die Natur. Für andere wäre es Kitsch.
Sten brachte er ein Bier mit, für Clara hatte Hardy ein Glas Weißwein dabei, als er sich zu den beiden gesellte. »Auf die schönste Terrasse in ganz Berlin.«
»Bleibt sie denn in Berlin?«, fragte Clara, ohne ihren Blick vom Wasser abzuwenden. Hardy hätte sich um ein Haar an seinem Wasser verschluckt. Die Melodie ihrer Stimme hatte etwas Intimes. Sie schien Sten auszublenden. Vor Sten war ihm die Frage unangenehm. Auch wenn sie unter Hausbootbesitzern berechtigt war.
Sie sah Hardy einen Augenblick zu lang an. Er wusste nicht, was er in dieser Situation sagen konnte. Ihm fiel wieder ihr Kleid auf und dass er sie noch nie so festlich, geschweige denn mit so einem Dekolleté gesehen hatte. Er kannte sie nur in Jeans. Und was die beiden machten, womit sie ihr Geld verdienten und wie sie zu ihren Hausbooten gekommen waren, wusste er auch nicht.
Ihre Augen ruhten auf seiner Hand, mit der er die hölzerne Reling umfasste. Es war eine große schlanke Hand. Auf deren Rücken fielen ihr die Adern auf, die sich abzeichneten. Die Finger waren lang und gepflegt. Ein paar dunkle Härchen hatten es von seinen behaarten Unterarmen bis auf den Handrücken geschafft. Das seine Hände warm und die Handinnenfläche weich war, wusste sie von der Begrüßung. Er hatte ihr seine Hand behutsam auf die Schulter gelegt.
Hardy hatte nie Männerbesuch bei ihr bemerkt. Es waren immer dieselben Frauen gewesen, die sie besuchten. Vielleicht waren es Freundinnen, Schwestern, Kolleginnen. Er musste schmunzeln, weil er auf sowas sonst nicht achtete. Er sah Clara in die Augen. Auch wenn der Nachbar ihn störte, wollte er die Chance nicht vergeben, ihr auf die Frage zu antworten. »Das hängt ein bisschen davon ab, aber wenn du mich heute fragst, sage ich ja.«
Sten hob seine leere Flasche. »Darauf stoßen wir an.«.
Lieber hätte er das von ihr gehört. Da vernahm er ein albernes Glucksen von Clara. Dies Antwort gefiel ihm.
Nach Diskussionen um das Fernsehgeschäft war er glücklich, dass er Abstand zwischen sich und seinen Kollegen hatte. Bei seinen Nachbarn fühlte er sich wohl. Endlich abschalten, endlich mienenfreies Terrain, dachte er. Sten schien sich nicht mit solchen Zwischentönen zu belastete. Er betrachtete das Leben von einer funktionalen Seite. Augen waren für ihn zum Sehen da, wofür er seine Hände gebrauchte, wusste Hardy nicht. Dass Kommunikation auch ohne Worte, funktionierte, schien er nicht zu bemerken. Oder, er war stur oder scharf auf Clara.
»Netter Film, biste weit für gereist, nee?«, polterte Sten in die Stille. Er klopfte Hardy wild nickend auf seine Schultern. Der lachte verlegen, ihm fiel nichts Passendes ein. Außer einem kräftigen »Jau«. Was nicht weiter auffiel, da sein Nachbar keine Antwort erwartete. Jedenfalls nicht auf diese Frage. »Haste noch nen Bier?« Erst jetzt fiel Hardy auf, dass er immer noch die Getränke in der Hand hielt. »Hier für euch. Prost«
Clara verdrehte die Augen. »Jau«, grinste Hardy. Er hatte die Antwort, für seinen Nachbarn gefunden.
»Ähh«, mit einem Blick auf seine leeren Hände. »Wartet hier«. Er verschwand er unter Deck. Vielleicht, dachte Hardy, war das Stens Art, sich aus der Affäre zu ziehen und den beiden Raum zu lassen. Vielleicht war er gar nicht der Unsensibele, für den er ihn hielt.
Als er mit einem Bier zurückkehrte, stieß er mit den Nachbarn an. Sten machte immer noch keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Von Clara meinte er, ein Aufatmen zu bemerkten, als sie ihn an ihrer Seite spürte.
»Und jetzt erzähl mal. Ich hab da die amerikanischen Pickups gesehen.«, polterte Sten. Noch einer, der eingeschlafen ist, schmunzelte Hardy. Und hartnäckig war er auch noch. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als auf seine Frage einzugehen. Auch wenn er nicht das Gefühl hatte, dass es seinen Nachbarn interessierte.
»In Kalifornien habe ich das Paar besucht, dass in seinen Autos schlafen muss, weil sie im reichen San Francisco keine Wohnung mehr bezahlen können. Der Mann ist eigentlich Rentner. Er hatte Tränen in den Augen, als ich mit ihm gesprochen habe. Seine Frau unterrichtet jeden Tag und muss sich ständig nach neuen Plätzen umsehen, von denen Sie nicht vertrieben wird. Sie macht ihre Unterrichtsvorbereitung im Kofferraum ihres Volvo Kombis.«
Clara folge seinen Worten aufmerksam. Hardy fühlte sich in diesem Augenblick sehr wohl. Nicht weil er von seiner Arbeit sprach, sondern weil sie da war. Die kleinen Fältchen, die sich in um ihre blauen Augen zeigten, gefielen ihm.