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12 Stadthafen
ОглавлениеHardy traf Frank im Biergarten. Der lag direkt am Stadthafen von Waren. Frank trug, was nach einem Tag im Büro von seinem Anzug übrig war. Eine gelockerte Krawatte über einem rosafarbenen Hemd, das nicht mehr korrekt in der Hose steckte. Die Ärmel hochgeschlagen. Das Jackett hing über der Lehne des Stuhls neben ihm. Er war aufgestanden. Mit einem Lächeln kam er auf Hardy zu, die Hand ausgestreckt mit der anderen umarmte er ihn. Hardy fehlten die Worte. So viel Herzlichkeit nach so langer Zeit überraschte ihn.
Hardy erinnerte sich an Wahlplakate, die im Ort hingen und seinem ehemaligen Kommilitonen schmeichelten. Er musste sich bei Gelegenheit nach dem Fotografen erkundigen. Herzlich und aufrecht wirkte er. Hardy war irritiert. Weder der Mann vor ihm noch die Plakate zeigten den Kerl, mit dem er studiert hatte. Der hatte einen verschlagenen Zug an sich. Hardy wusste bei ihm nie, woran er war. Der ausgeprägte Bauchansatz war neu, aber diesen Kampf gegen das Fett kannte er von sich selbst. Er hatte nicht vor, ihm einen Vorwurf daraus zu machen. Hardy schmunzelte. Er überlegte für einen Moment, ob Menschen sich doch ändern? Oder, ob es lediglich unsere Perspektive war, die sich ändert? Er musterte sein Gegenüber. Zu gern wollte er wissen, warum Frank ihn angerufen hatte. Ihre Beziehung war nie von besonderem Vertrauen geprägt, aber das, was er von seiner Situation wusste, erforderte eben dieses.
Frank, der Politiker stand in der Öffentlichkeit. Sie sollte aber von der Erpressung nichts mitkriegen. Hardy war Journalist. Er lebte von dieser Öffentlichkeit und davon, dass er ihr Geschichten lieferte. Was hatte Frank bewogen sich an ihn zu wenden? Und warum hatte er zugesagt? Er erinnerte sich an Rosi. Sie kannte ihn gut. Ihr war sehr schnell klar, dass er aufbrach, um nach einer Geschichte zu suchen. Auf ihre Weise hatte sie ihn losgeschickt. Aber er wusste nicht, ob er mit einer Geschichte zurückkäme, die er den Sendern verkaufen und damit der Öffentlichkeit berichten könnte. Warum wandte Frank sich nicht an die Profis, von der Polizei? Er hatte etwas von einem großen Projekt angedeutet. Möglich, dass er es schützen wollte, möglich aber auch, dass er sich schützen wollte. Was hatte er ihm nicht erzählt? Oder schlimmer, gab es was, dass er ihm absichtlich verschwieg? Frank hatte seine Familie in Sicherheit bringen wollen. Dazu hatte er Zeit gebraucht. Mehr wusste Hardy noch nicht. Er fragte sich, wie dieser Mensch entschied, wenn er zwischen seiner Familie und der eigenen Karriere wählen müsste.
Der Biergarten bot den Schutz eines Blätterdaches. Kleine Bäume in riesigen Holzkübeln, deren Äste mit einigem Aufwand zum Schirm gestutzt waren.
Ein Ausflugsdampfer machte im Stadthafen fest. Das Deck eines anderen schrubbte ein gebückter Mann, türkischer oder syrischer Abstammung. Ein dritter brachte Fässer und Getränkekisten von einem Lastwagen über eine Gangway an Bord des Schiffes. Die tief stehenden Sonne, verlieh der Szene einen goldenen Glanz. So nostalgisch der Moment anmutete, die Arbeitsbedingungen waren es sicher nicht. Weiter hinten lagen Sportboote an Stegen. Auf einigen saßen Männer und Frauen zusammen und genossen den Abend mit kalten Getränken. Zwei Klassen in einem Becken, dachte Hardy. Rund um das Hafenbecken flanierten Touristen und Einheimische, die es an diesem Tag in die warme sommerliche Luft zog. Sie bildeten die Zuschauer.
Hardy überlegte, wie man nach zwanzig Jahren ins Gespräch kommt? Er hatte schon auf dem Weg nach Gemeinsamkeiten gesucht. Als sein Blick an einem Detail hängen blieb. Vielleicht dachte er, ändern Menschen sich doch.
Frank kam ihm zuvor. »Was ist das?«, fragte der mit einem amüsierten Lächeln um die Augen. »Sprichst du von meinem Fahrrad?« Hardy sortierte die Frage in den Bereich des Eisbrechens. In solchen Dingen war Party-Frank immer Profi gewesen.
»Bist du jetzt bei der Post?«, frotzelte er über das schreiende Signalgelb seines Rades.
»Hast du was gegen Gelb?« Hardys Ton verriet seine Anspielung auf Franks Politiker-Kollegen.
»Lass uns nicht über Politik sprechen.« Er lachte.
»Du fährst ohne Gangschaltung aber mit Motor? Das hätte ich dir aber nicht zugetraut. Wobei die Fahrt von Berlin nach Waren auch mit motorisiertem Rad, Respekt verdient.«
»Ich müsste tödlich beleidigt sein. Du unterstellst mir ein Elektrorad?«, antwortete Hardy, musste seine Leidenschaft für Räder bremsen.
»18 Gänge. Die siehst du aber nicht. Sie stecken in dem, was du für den Motor hältst. Nennt sich Pinion und ist ein Schaltgetriebe. Keine Wartung, kein Dreck und sensationell gut.«
»Und ich dachte, das Fahrrad sei zu Ende entwickelt.« Hardy erkannte nicht, ob sein Gegenüber den Satz ernst oder ironisch meinte. Er ignorierte seine Unsicherheit. »Setzt dich drauf, dein Chauffeur wird traurig sein. Weil er bald nicht mehr gebraucht wird.«
»Damit bist du von Berlin bis nach Waren gefahren, ganz ohne Motor?« Sein Blick schwankte zwischen Unverständnis und Anerkennung.
»Mit dem Rad fährst du von Berlin nach Paris oder nach Kapstadt oder um die Welt.« Frank sah Hardy skeptisch an, blickte dann auf seinen Bauchansatz und lachte.
»Ich kann während der Fahrt sogar mein Smartphone laden. Was ganz praktisch ist, wegen der Navigation und so.«
Frank sah ihn an, wie jemand guckt, wenn er nicht weiß, ob er auf den Arm genommen wird. »Und ich dachte, dafür gäbe es Flugzeuge.« Zwinkerte er ihm zu.
Sie saßen an einem Tisch in der hinteren Ecke, er war von den Spaziergängern, die Altstadt und Hafen genossen, nicht einzusehen. Frank saß neben einem der großen Pflanzkübel, die zwischen den Tischen für Diskretion sorgten. Er hatte den Platz gewählt, weil er den Abend nicht damit verbringen wollte, potentielle Wähler zu grüßen.
»Schön, dass du kommen konntest, wie war die Fahrt?« »So, dass ich jetzt erst mal ein Bier brauche«.
»Fühl dich eingeladen.«
Harry verfolgte gespannte wie Frank seine Krawatte langsam mit der flachen Hand von oben nach unten glatt strich, ohne dass sie irgendeine Falte aufwies. Er kontrollierte sein Tun mit einem Blick, der seiner Bewegung wie Zeitlupe folgte, und räusperte sich. Eine Szene, die ihn umso mehr irritierte, da die Krawatte mit gelockertem Knoten, leger um seinen Kragen lag.
»Was gibt es denn so Eiliges, bei dem ich dir helfen kann?«
Frank sah sich um. Kein neugieriger Zuhörer näherte sich den beiden, der Nachbartisch war unbesetzt. Das schien ihm zu gefallen. »Wir stehen hier vor einem riesigen Schritt für die ganze Region. Wir werden eine neue Dimension von Premiumtourismus entwickeln. Es geht nicht nur um unsere Händler und die Hoteliers vor Ort, es geht um den Ruf der ganzen Region. Außerdem, du kannst es dir denken, geht es um Arbeitsplätze.« Er sah ihn verschwörerisch an, er rutschte auf die vordere Kante seines Stuhls. »Es geht um viele Arbeitsplätze und es geht um eine Weichenstellung für die ganze Region. Ich sitze heute an einer zentralen Stelle. Ich bin jetzt seit dem Studium hier. Mein Wort hat Gewicht.« Seine Finger knibbelten an einem Bierdeckel. In seinem Gesicht breitete sich ein feuriges Rot aus.
Hardy fühlte sich wie auf einer Wahlkampfveranstaltung. Für seinen Geschmack steckten deutlich zu viele Ichs in den letzten Sätzen.
»Jetzt«, er atmete schwer, seine Finger brachen ganze Stücken aus dem Bierdeckel. Hardy sah irritiert von seinem Gesicht zu seinen Händen. »Jetzt kommt so ein Krimineller daher und will mich zwingen gegen meine eigene Überzeugung zu stimmen.«
Frank hatte sich in Rage geredet. Sein Gesicht hatte die vornehme Blässe von den Plakaten verloren. Sein Stuhl kippelte, sein Körper war nach vorn gebeugt. Als die Bedienung, eine Frau um die zwanzig, zum Tisch kam und zaghaft fragte, ob sie was bringen dürfte? Wechselte Frank, wie auf Knopfdruck, seine Mimik. Freundlich, ohne jeden Druck in der Stimme, bestellte er zwei Bier. Mit dem Blick zu Hardy erklärte er mit einem entschuldigenden Schulterzucken: »Wähler.« Hardy staunte über diese Form der Selbstkontrolle und hörte den, doppelten Ausführungen eines echten Politikers zu.
Für ihn lag so ein Verhalten nahe am Selbstbetrug. Hardy kannte dieses Muster von Menschen, die in der Öffentlichkeit standen. Medienprofis, die mitunter selbst nicht mehr abschalten konnten. War sein alter Studienfreund schon so weit? Oder bot er ihm eine Show, weil er selbst noch nicht wusste, ob er ihm vertrauen konnte?
»Es geht um richtig viele gute Arbeitsplätze, es geht um die Entwicklung der ganzen Stadt, was sage ich? Der ganzen Region tut das Ressort gut. Bei uns werden Schiffe verkauft, wir haben Gastronomie, Dienstleistung die ganze Freizeitgestaltung. Wenn es uns jetzt noch gelingt, wohlhabende Touristen mit dem passenden Komplettangebot zu uns zu locken, dann werden wir das neue Sylt. Du kennst die sagenhaften Grundstückspreise auf der Insel?« Seine Stimme überschlug sich. »Das Konzept beruht auf echter Nachhaltigkeit.« Hardy schrie innerlich auf. Spätestens, wenn Politiker von Nachhaltigkeit sprachen, dauerte es lange, bis sie wieder aus dem Wahlkampfmodus herausfanden. »Die Natur ist unser größtes Pfund. Damit können wir wuchern. Was sag ich? Wir müssen. Wir haben Platz für Segler, für Yachtbesitzer, wir haben eine wunderschöne Altstadt und wir sind gut angebunden. Bald haben wir einen Flugplatz.«
Die beiden prosteten sich zu. Hardy hatte für einen winzigen Augenblick das Gefühl, in einem Bierzelt auf einer Wahlkampfveranstaltung gelandet zu sein.
Er hustete. Nach einem kräftigen Schluck Bier.
»Äh Flugplatz? Was ist an einem Flugplatz nachhaltig?«
»Hardy, du musst mit der Zeit gehen. Es geht um Premiumkunden. Das ist Politik und die verlangt Kompromisse, immer.«
»Ah«, Hardy nickte interessiert.
Er angelte mit seiner Zunge den Schaumbart von seiner Lippe. Sah seinem Gegenüber in die Augen. Jetzt beugte er sich auf der massiven Holzbank, die ihn an den Schwarzwald erinnerte, zu Frank. »Und was hast du davon?« Der sah ihn entgeistert an. »Ich bin Politiker.«
»Eben.«
»Wenn es der Region gut geht, wenn es den Menschen gut geht, dann geht es mir gut.«
»Wie gut?«
Sein Blick drückte unschuldiges Unverständnis aus. Seine Stimme krächzte. »Für mich bedeutet das Projekt, viel Arbeit und wenig Ehre, außerdem werde ich wiedergewählt.«
»Politiker leben von Deals. Welchen Deal hast du ausgehandelt?«
Frank wechselte sein Repertoire von Begeisterung auf Bedrohung. Hardy war beeindruckt. Er beherrschte die Palette der Gemütszustände wie ein Schausteller das Achterbahnfahren. Mit leiser und eindringlicher Stimme fuhr er fort. Er saß kerzengerade. Kopfschüttelnd hob er an. »Hardy ich werde bedroht. Man droht meiner Familie. Die konnte ich gerade noch aus der Schusslinie bringen.«
»Was konntest du gerade noch?«
»Ich habe meine Frau und meine Kinder zu den Schwiegereltern gebracht. Sie werden für die nächsten Wochen nach Mallorca fliegen. Da sind sie erst einmal sicher.«
»Wir müssen den Menschen das Ressort erklären, was es alles Gutes bedeutet.« Hardy hatte diesen Gedankensprung nicht erwartet und verstand ihn nicht. Es klang aber sehr danach, dass nicht alle Wähler die flammende Begeisterung ihres Bürgermeisters teilten.
»Warte mal. Machst du dir jetzt Sorgen um deine Familie oder geht es hier um euer Hotel?«
»Nicht einfach Hotel. Luxus-Ressort!«, korrigierte Frank. »Na das hängt doch zusammen. Wenn die Leute begreifen, was das Ressort für sie persönlich bedeutet, welchen Segen es über die ganze Region bringt, dann entsteht eine Stimmung, in der solche Anschläge gar nicht erst passieren.«
»Da bin ich mir nicht sicher, ob dir da ein Sicherheitsberater zustimmt. Du greifst ein bisschen hoch. Es gab keinen Anschlag, lediglich einen Brief.« Hardy fand den Gedanken, Erpresser durch politische Aufklärung auszubremsen, merkwürdig, sagte es aber nicht.
»Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit könnte für deinen Fall ein wenig zu spät kommen. Wir müssen herausfinden, wer dahinter steht. Kannst du den Leuten um dich herum vertrauen?«
»Ja.« Klarer konnte die Antwort nicht ausfallen, schneller auch nicht und das ließ Hardy aufhorchen. Er stellte sein Bierglas ab und musterte Frank. »Du bist Politiker, du bist erfolgreich, Frank, dir will immer irgendwer irgendwas. Da gibt es die politischen Gegner, dann gibt es die Neider in den eigenen Reihen. Das brauche ich dir doch nicht zu erklären. Denk nach. Wer möchte dich unter Druck setzen. Und denk bitte nicht nur an die direkten Projekt-Gegener.«
Frank nickte und brummte etwas Unverständliches. Einen winzigen Moment meinte Hardy, Zweifel in Franks Augen zu lesen. »Kannst du deinem Büroleiter vertrauen?«
»Leiterin, ich habe eine Büroleiterin.«, korrigierte er ihn.
»Wie sieht es mit deiner Sekretärin oder deinem Sekretär aus? Sind in den letzten Monaten Informationen an die Presse durchgestochen worden?«
»Was soll meine Sekretärin damit zu tun haben?« Frank war wieder damit beschäftigt, seine Krawatte langsam mit der flachen Hand von oben nach unten glatt zu streichen. Und wieder folgte sein Blick, seiner Bewegung wie Zeitlupe, gefolgt von einem Räuspern.
Hardy ignorierte die befremdliche Geste. »Bei diesem Erpresserschreiben«, begann Hardy, »hast du gesagt, dass die Fahrradklingel deiner Tochter per Kurier ins Büro kam.«
»Hm.«
»Das ist unsere erste Spur. Da müssen wir ansetzten.«
Er nickte langsam. Seine Finger trommelten am Bierglas. Nach einer Weile hob er seinen Blick. »7.30 Uhr. Dann ist Sie im Büro, es wäre gut, wenn du dann auch kommst. Einige Kollegen kommen erst später. Es ist besser, wenn dich so wenige wie möglich sehen. Du sollst verdeckt ermitteln, das hat oberste Priorität.«
Frank zahlte für beide. Hardy hatte sich entschlossen, noch auf ein Bier zu bleiben und den Ausblick auf den Hafen und sein Treiben zu genießen. Vor dem Biergarten stieg Frank auf ein Faltrad. Es war gelb, quietschgelb. Er lachte und winkte ihm zu. »Ich finde die Farbe auch super!« Rief er im Vorbeifahren. Hardy schüttelte den Kopf. Bei Frank hatte er schon damals das ungute Gefühl, ihn nicht zu durchschauen.