Читать книгу Tod am See - Max van Berque - Страница 7
4 Alter Freund
ОглавлениеTropfen rannen am beschlagenen Weißweinglas langsam und ungleichmäßig zu Boden. Hardy liebte solche warmen Frühsommerabende und er liebte diesen Wein. Für solche Momente hatte er lange nicht die Zeit und das Wetter gehabt. Heute passte beides. Hier auf seinem Hausboot verströmten sie den Duft von Urlaub und Freiheit. Sein Blick schweifte über die Spree. Ihr Wasser glitzerte in der Abendsonne. Der Trubel der Hauptstadt schien kilometerweit entfernt. Dabei lag sein Boot in einem Seitenarm des Stadtflusses mittendrin in der pulsierenden Hauptstadt. Noch war alles ruhig. Er ahnte nicht, dass er heute noch eine stressbringende Entscheidung treffen sollte.
Hardy genoss den Blick auf das gekräuselte Wasser, das mit der leichten Brise des warmen Frühsommerwindes zu spielen schien. Er tippte, wer von seinen Gästen zuerst eintraf. Sein Boot lag versteckt. Der Weg war schwer zu finden. Für Hausboote gab es nur selten Hausnummern und zu diesem Liegeplatz gab es unterschiedliche Ansichten, über den besten Weg. Der eine führte direkt eine steile Böschung von der Straße hinunter. Damit war er weder für Ledersohlenträger noch für hochhackige Pumps geeignet. Der andere war länger. Ein unscheinbarer Pfad, jenseits der Straße. Er führte unter der Brücke hindurch, zu seinem und den anderen Booten. Staubig waren bei dem trockenen Sommerwetter beide. Auf diesen Tag hatte er wochenlang hingearbeitet. Es war der Sendetermin seiner Reportage.
Cutter, Kameraleute und die Kollegen aus dem Büro hatten sich angesagt, das ganze Team samt Praktikanten. Der Holztisch auf dem Dach seines Hausbootes ächzte unter Fingerfood und Salaten. Grillen fiel aus. Er wollte sich heute keinen Tadel für verkohlte Würstchen einhandeln. Er genoss nach Wochen der Anspannung einen merkwürdig relaxten Zustand. Die Vorbereitung in der Küche war Erholung für ihn. Salate und Gemüsestreifen schnippeln, Pflaumen im Speckmantel braten, Schafskäses überbacken. Nach wochenlangem Döner- und Pizzakonsum genoss er die Zeit in seiner Küche.
Nach Recherche, Dreh und Schnitt verfiel er regelmäßig in einen Zustand, in dem er von außen auf sich herab sah. Ein Blanc de Noir, feinherber Spätburgunder vom Weingut Schüler-Katz aus Kiedrich, tat sein übriges. Die Melodie von Pink Panther holte ihn ins Hier und jetzt. Das müssten seine ersten Gäste sein, die den Zugang zum Liegeplatz nicht fanden, dachte er. Er stutzte, als er den Anruf mit unterdrückter Nummer entgegennahm.
»Frank hier, hallo Hardy«, hörte er eine leise matte Stimme. Hardy musterte das türkisfarbene Etikett des Weines. Er musste lachen. Um den Anrufer nicht zu verschrecken, drückte er seinen Daumen auf das Mikrofon. Wer um Himmelswillen war Frank und hörte sich an, als wollte er auf ein Bier vorbeikommen? Hatte er seine Nummer und die Feier aus Versehen bei in seinen Social Media Kanälen veröffentlicht? Mit starrem Blick auf das Etikett, kramte in den Windungen seines Gehirns.
»Frank!«, rief er zu laut und zu gut gelaunt in sein Telefon. Seine Stimme gaukelte Vertrautheit vor. Er hoffte, dass sein Gegenüber mehr von sich preisgab. Seine Mobilnummer hatte 25 Jahre und zahlreiche Anbieterwechsel überlebt. Daher kam es vor, dass sich Menschen bei ihm meldeten, die er vor Jahren bei der Arbeit oder auf Reisen getroffen hatte.
»Es tut mir leid, dass ich dich überfalle. Mir ist kein anderer eingefallen.« Schmeichelhaft dachte Hardy in einem Anflug von Selbstironie. Jetzt müsste er nur noch wissen, wofür. »Bin nach dem Studium in der Politik gelandet, lebe jetzt in Waren an der Müritz. Wir haben quasi an der Uni die Grundlage für meine Zukunft gelegt.«
Soll vorkommen, dachte Hardy. Ihm schwante langsam, wer ihm da einen Abriss seines Lebens gab. Die Stimme hatte sich, trotz der Jahre, nur wenig verändert. Etwas, reifer klang sie. Er schmunzelte. Das war eine Beobachtung, die er nur bei anderen machte. Seine Vermutung, hob seine Laune nicht.
»Party-Frank, na das ist aber eine Überraschung.«, platze es aus Hardy heraus. ›Verdammt‹, dachte er, einen Wimpernschlag später. Sei vorsichtig, du weißt nicht, was der Menschen am Telefon heute macht. Vielleicht ist er Rechtsanwalt und auf Beleidigungen am Telefon spezialisiert. Und betrachtet seinen ehemaligen Spitznamen heute als solche. Schöne Grundlagen waren das. Party-Frank konnte er beim besten Willen mit nichts anderem als Bier und Partys in Verbindung bringen.
Er erinnerte sich sonst an fast nichts mehr von ihm. Zu Uni-Zeiten schmiss er eine Feier nach der nächsten. Da hatte es schon damals, nur Bier aus der Zapfanlage gegeben. Für Studenten war das der Mega-Luxus gewesen. Er sah schulterzuckend auf die schwarze Mörtelwanne hinter sich. Im Wasser kühlte er dort seit dem Morgen die Flaschen aus diversen Bierkisten.
Der Jungpolitiker verkaufte seine Partys schon damals immer als große Politik. Er nannte das Netzwerken und war damit seiner Zeit voraus. Zumindest in der Wortwahl. Er verlor an der Uni, nie den eigenen Vorteil aus den Augen. Das war es, woran Hardy bei Frank dachte.
»Ich bin verheiratet.« Tönte es etwas heiser aus dem Telefon. Das war sein dritter Satz nach etwa 15 Jahren der Gesprächsabstinenz, dachte Hardy. Muss wichtig sein.
»Und ich habe ein Problem.«, Satz Nummer vier, dachte Hardy.
»Ach«, konterte er trocken. »Probleme, mit deiner Frau? Frank, nimm es mir nicht übel, ich bin Journalist, kein Psychologe. Ich kann dir da nicht helfen. Wenn du meine Beziehungsbilanz kennst, legst du auf.« Dieser Wein macht mich fertig, ich hätte was essen sollen, dachte Hardy. Dieses Mal, ohne es auszusprechen.
»Ich werde bedroht«, flüsterte die Stimme aus dem Telefon.
»Ich brauche Hilfe. Man erpresst mich und meine Familie.«
»Erpressung? Ist das in der Politik nicht der Normalfall?«, frotzelte Hardy.
»Man hat mir eine Warnung geschickt.« Seine Stimme brach ab. Hardy steckte seinen Finger ins freie Ohr, um noch was zu verstehen.
»Es geht um ein Millionenprojekt und jetzt geht es um das Leben meiner Tochter.« Er atmete schwer.
»Sie haben mir die Fahrradklingel von meiner Kleinen ins Büro geschickt, per Kurier.«
»Das klingt nicht gut«, murmelte Hardy. »Einfach nur die Klingel?«
»Nein. Wir kennen ihren Schulweg. Stand auf einem Zettel.«
»Okay, aber woher weißt du, um was es geht, ich meine, haben sie sonst was gesagt? Und wer sind die? Ich meine, hast du Feinde. Haben die Erpresser sich zu erkennen gegeben?« Hardy schüttelte den Kopf. Er mochte den Typen nicht sonderlich. Noch weniger mochte er, dass der soeben dabei war seine Urlaubsplanung über den Haufen zu schießen. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen und sich auf nichts einlassen. Ungerechtigkeit konnte er nur schwer ertragen. Da musste es irgendwas in seiner Vergangenheit geben, weshalb es bei solchen Dingen kein Nein in seinem Wortschatz gab.
Heute hatte er seinen, Discus aus dem Abstellraum geholt. Seinen geliebten Gleitschirm von Swing. Das Gerät war für ihn die Rakete ins Nirwana. Der schnellste Weg abzuschalten. Schon beim Auspacken war es, als hätte er das Piepen seines Höhenmessers in den Ohren. Paragliding war für ihn immer noch der beste Weg, runter zu kommen. Abstand zu den Dingen und zur Arbeit aufzubauen. Sein Plan war eine Reise in die Alpen. Ein paar Tage in der Luft abhängen. Dieses Vorhaben wollte er auf gar keinen Fall streichen.
»Pass auf Frank. Erpressung ist kein Kavaliersdelikt. Ich bin da der Falsche. Ich kann dir nicht helfen. Du musst zur Polizei gehen. Ich meine, ich habe überhaupt nicht die Möglichkeiten, wie die Kollegen von der Behörde.«
»Hardy bitte. Ich kann nicht zur Polizei gehen.«, unterbrach ihn Frank. »Ich bin Politiker. Ich lebe in einer Kleinstadt. Hier kennt jeder jeden. Die Sache darf nicht an die Öffentlichkeit kommen. Dann bin ich tot oder jemand aus meiner Familie.«
»Frank. Genau da steckt unser zweites Problem. Ich bin Journalist. Ich lebe von der Öffentlichkeit.« Sein Gegenüber schien ihn, gar nicht gehört zu haben. Diese Eigenschaft hatte Hardy schon im Studium beeindruckt.
»Ich brauche jemanden der intelligent und diskret arbeitet und den hier keiner kennt.«
So ein Arsch, dachte Hardy, jetzt versucht der es auf die nette Tour. Franks Stimme klang immer noch gepresst.
»Es geht um eine Abstimmung im Stadtrat, dahinter stecken Millionen aus der öffentlichen Hand und jetzt ...« Seine Stimme brach wieder ab. Holte er Luft oder schluchzte er? Hardy hörte ein Knacken aus dem Telefon.
»Ich habe Angst um mein Leben und das meiner Kinder.«
In Hardys Leitung klopfte der nächste Anrufer. Wahrscheinlich waren das die erwarteten Gäste, die nach dem Weg fragten. Er musste diesen Typen loswerden.
»Pass auf Frank,« Hardy sah auf seine Uhr, »wir treffen uns morgen Abend um acht bei dir«. Er hörte ein Rumpeln unten im Hausboot.
»Gut«, sagte Hardy abwesend und dachte Scheiße. Die freien Tage hatte er sich anders vorgestellt.
Den Wunsch, Party-Frank in Waren an der Müritz zu besuchen, verspürte er nicht. Konnte man da überhaupt fliegen? Berge kannte er in der Gegend keine. Windenschlepp müsste gehen. Er verwarf die Idee. Dann eben, Urlaub an der Seenplatte. Ohne Alpen und ohne Gleitschirm.
Hardys Blick wanderte über das hölzerne Deck seines Schiffes. Der übervolle Tisch ächzte. War ein bisschen viel, dachte er. Ihm wirbelten die Bilder der zurückliegenden Produktionswochen durch den Kopf. Hintergrundgespräche mit den Protagonisten, Drehtage bis in die Nacht mit seinem Kamerateam. Tagelanges Sichten des Materials. Verdammt, dachte Hardy, ich hatte mich auf ein paar freie Tage gefreut. Schlaf nachholen, Fliegen, Bücher lesen und an seinen Fahrrädern schrauben. Er beschloss, noch einen Schluck zu trinken und sich über die Details morgen den Kopf zu zerbrechen.
Seine Stirn in Falten, sein Blick wanderte ziellos über das Wasser. Er hatte gelernt, auf seinen Bauch zu hören. Irgendetwas störte ihn an dem Gespräch. Davon abgesehen, dass er Frank schon früher nicht mochte. Und dass er in die entgegengesetzte Richtung zum Fliegen wollte, gab es noch etwas. Sein Bauch spürte es schon. Jetzt musste nur noch sein Kopf dahinter kommen.