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11 Strauß Mais
ОглавлениеDie Idee, einen Strauß Mais zu verschenken, fand er im Krankenhaus blöd. Nicht weil er keine Blumen verschenkte, sondern weil er sie einem Mann mitbrachte. Aber warum nicht? Hardy hatte die Kolben aufgeschält. Die Blätter standen wie Sterne von den gelben Früchten ab. Insgesamt strahlte der er eine gewisse Ästhetik aus, fand Hardy.
»Sagen Sie, gestern ist ein Motorradfahrer eingeliefert worden. Die Sanitäter sagten mir, dass sie ihn hier nach Waren bringen. Wo finde ich den?«
Die Dame hinter dem Tresen, korpulent, dunkles Kostüm, goldene Lesebrille, unter einer mächtigen Dauerwelle. Strenger Blick. Sie sah über ihre Brille zu ihm auf. Ihre Augen wanderten zwischen ihm und dem und dem Strauß hin und her. Sonst passierte nichts. Ihm war nicht ganz klar, was sie störte, war es der Strauß? Oder war er es? Die Maiskolben trafen nicht ihren Humor, so viel war klar.
»Äh ja, also ich ...«, startete er einen zweiten Versuch. Vielleicht war es doch keine gute Idee, dem Unfallopfer aus dem Maisfeld Maiskolben mitzubringen. Er spürte, wie sein Gesicht rot anlief. Wie konnte man einen derart abweisenden Menschen, wie diesen blonden Pudel mit Kostüm an den Empfang in einem Krankenhaus setzen? Er lächelte freundlich, hoffte, dass er keine Erklärung abgeben müsste. In Zeitlupe nickte sie mit ihrer dunklen Dauerwelle zur Seite. Blieb aber stumm. Hardys Blick folgte der Bewegung. Noch eine Frau. Weiße Bluse, lächelnd. Warum hatte er sie nicht gleich gesehen?
»Was kann ich für Sie tun?« Eine freundliche Melodie trug ihre Stimme, blaue Augen, blonde Haare. Er starrte sie an. Dieses Krankenhaus überforderte ihn.
»Entschuldigung«. Er erklärte, wen er suchte und dass er keinen Namen hätte. »Mittleres Alter. Ich weiß, entschuldigte er sich, er wird nicht der Einzige gewesen sein, der gestern mit dem Motorrad ...«, stammelte er.
»O ohh«, trällerte die Dame. Es war dieses O Ooh aus dem Film Forest Gump oder war es Rain Man? Er wusste es nicht mehr. Sie griff zum Telefonhörer. Musterte ihn und seinen Straus, während sie auf Antwort wartete, amüsiert.
»Ich habe ihn gefunden. Er lag in einem Maisfeld ...« Er wusste nicht, warum er entschuldigte, was er tat. »Wie bitte?« Die freundliche Dame hinter dem Tresen lächelte ihn an. »Saft, Saft, Saft.« Er dachte, er hätte es nur mantraartig gedacht, um beim nächsten Besuch im Krankenhaus nicht unangenehm aufzufallen. Er hatte es ausgesprochen und er brauchte Urlaub. Er lächelte verlegen. »Saft, hab ich vergessen.«
»Sie haben ihn gefunden? Da wo er liegt, braucht er den Saft nicht«. Sein Atem stockte. Er blickte die freundliche Dame mit dem Telefonhörer an. Sollte er es nicht geschafft haben? »Gehen Sie in den dritten Stock, Sie können den Fahrstuhl benutzen. Melden Sie sich im Schwesternzimmer.« Er nickte schweigend.
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffneten sich die silbernen Aufzugtüren. Ihm schlug diese krankmachende Krankenhausluft entgegen. Eine üble Mischung aus Speisen, die in ihren Rollwagen darauf warteten, verteilt zu werden, abgestandener Luft und Teilen, die er nicht zuordnen konnte. Er wusste in diesem Augenblick nicht, was ihn mehr anstrengte, seine Nase oder die Enge im Aufzug. Obwohl ihm das eingeschlossen sein in diesem engen Raum, den Schweiß auf die Stirn trieb, kostete es ihn Überwindung, den Aufzug zu verlassen.
»Er ist nicht ansprechbar. Die Blumen«, sie runzelte die Stirn, »sollten Sie auf dem Flur lassen.«
»Kann ich zu ihm?«
»Sind Sie Angehöriger?«
»Ich habe ihn gestern gefunden.« Die Frau im weißen Kittel und der weißen Jeans schien darüber nachzudenken, ob sie ihn ins Vertrauen ziehen durfte. Ihr Blick blieb noch einmal an den Maiskolben in seiner Hand haften.
»Er lag in einem Maisfeld« seine Stimme war belegt, angesichts der Situation des Patienten, schämte er sich für seinen Humor. Die Frau in weis war zu einem Ergebnis gekommen. Sie hatte ihre Stimme wiedergefunden.
»Streng genommen darf ich ihnen das nicht sagen.« Ihr Ton hatte etwas Verschwörerisches, sie beugte sich zu ihm, nicht ohne vorher einen Blick auf den menschenleeren Flur zu werfen. »Der Mann hatte verdammtes Glück, dass Sie ihn da rausgeholt haben.«
»Naja, rausgeholt, ich habe ich gefunden.«
»Bei dem Unfall muss er das Bewusstsein verloren haben. Innere Verletzungen hat er nicht. Sein rechter Arm und das rechte Bein sind gebrochen. Außerdem gibt es Probleme mit dem Becken. Alles zusammen führt dazu, dass er entsetzliche Schmerzen gehabt haben muss.«
»Hätte er sich bewegen können?«
»Sie meinen, dass er auf sich aufmerksam macht? Nein. Ausgeschlossen. Er war kurz davor, zu verdursten. Er liegt seit gestern im künstlichen Koma.«
Vielleicht hatte der Strauß doch sein Gutes, dachte Hardy. Durch die Scheibe vom Flur sah er einen verkabelten Mann. Weiße Bettwäsche, zahllose chromfarbene Ständer mit Flaschen und Flüssigkeiten, über Schläuche in ihn hinein genadelt. Displays, die blinkten und in bunten Zahlen den Zustand des Patienten dokumentierten. Wenn es funktionierte, waren die Menschen in ihren weißen Kitteln Engel. Aber dass was Hardy sah, kam seiner Vorstellung von Hölle ziemlich nahe. Der Geruch, die Geräte und die Geräusche alles vermischte sich in seinem Kopf zu einer unerträglichen Melange. Er musste raus, schnell.
Mit gepresster Stimme: »Kommt er durch?« Sie warf wieder einen Blick auf den Flur. »Ich hab solche Fälle schon durch den Keller rausfahren sehen.«
Er nickte, verstand aber nichts. Ihm blieb keine Zeit zu fragen.
»Vielleicht holen wir ihn morgen schon wieder. Dann können Sie mit ihm sprechen.«
Danke, dachte er. Er hob die Hand und nickte. Die Übelkeit kam rasend schnell. Im Treppenhaus nahm er drei Stufen auf einmal. Unter dem Vordach des Hauptportals hielt er inne. Er hockte sich ans Geländer. Frische Luft! An der Tür las er »Untergeschoss: Pathologie«. Über ihm stand ein Mann mit silbernen Schläfen, freundlichen Augen und einer glänzenden Glatze. Ein Bein hatte er über den Griff einer grauen Krücke gelegt. »Wird schon wieder.« Dabei klopfte er ihm auf den Rücken und blies ihm den grauen Qualm seiner Zigarette ins Gesicht. Hardy erhob sich aus der Hocke und spürte wie sich das Dach über ihm und der Boden unter ihm zu drehen begann. Jetzt bitte nicht umfallen, dachte er. Dann kam die Dunkelheit.