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14 Maiskolben

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»Der Maiskolben!«

Er betrat die Eingangshalle der Klinik in Waren, da strahlte ihn die Blonde aus ihren blauen Augen an. Er war hin und hergerissen. Er freute sich sie zu sehen, sie strahlte diese sympathische Offenheit aus, die er sofort an ihr gemocht hatte. Gleichzeitig meinte er, sich entschuldigen oder zumindest bedanken zu müssen. Er war umgefallen und das war ihm peinlich.

In ihre Augen hatte er geblickt, nachdem er wieder zu sich kam. Für einen Moment hatte er sich merkwürdig wehrlos gefühlt. Und er konnte es nicht sagen, aber er hatte es für einen Augenblick genossen.

»Jeder braucht einen Schutzengel. Das müssten Sie doch wissen.« Hardy fühlte sich ertappt.

»Sagen Sie, ist er durchgekommen?«

Sie sah auf ihren Monitor. »Ein Bett hat er auf jedenfalls noch.« Sie lachte ihr ansteckendes Lachen. »Na dann will ich mein Glück mal versuchen.«

Er kam sich schon wieder blöd vor. Das musste am Krankenhaus liegen. Sonst war er nicht so schnell verlegen. »Das wird ihn freuen, kommt sonst keiner.«

Er kannte den Menschen nicht, wusste nur, dass er keinen Besuch bekam und das er Motorrad fuhr. Hardy hatte also einen Tourenfahrer gekauft. Eine Motorradzeitschrift, die sich laut Titelblatt nicht durch schnelle Maschinen und breite Reifen definierte, sondern mehr Wert auf das Reisen legte. Er saß auf der Bettkante, packte die Zeitschrift aus und begann dem Patienten vorzulesen.

Was war, wenn er ihn hören und verstehen konnte? Vielleicht wollte er nach dem Unfall gar nicht mehr auf seine Maschine steigen?

Weil er nichts anderes von dem Menschen wusste, der da neben ihm im Bett lag, las er weiter. Um zu protestieren, müsste er aufwachen. Provokation war manchmal nicht die schlechteste Taktik.

»Er kann sie nicht hören.« Es war eine junge Krankenschwester.

»Hat er was mit den Ohren?«, frotzelte Hardy. Sie verstand ihn nicht. »Der Patient liegt im künstlichen Koma.«

Es war eine Kollegin, die ihre Haare zu einem silbernen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, die ihm zur Seite sprang. »Machen Sie weiter, es tut ihm gut.«

Er hatte es sich nicht nehmen lassen, jeden Tag für ein paar Seiten vorbeizuschauen. Immer griff er die Zeitschrift und las ihm Tests von Motorrädern und Berichte von Motorradreisen vor. Sogar die Bilder beschrieb er dem Menschen im Bett. Nach drei Tagen traf er die Schwester, die er am ersten Tag gesprochen hatte. »Er ist wach. Seit heute Morgen ist er ansprechbar, aber erwarten Sie nicht zu viel.« Ihn überkam ein seltsames Gefühl aus Neugier und Furcht. Den verunglückten Motorradfahrer hatte er Kaffeemumie getauft. Auf die Mumie zu kommen drängte sich bei seinem Anblick auf. Es war wenig Haut zu sehen, das meiste, einschließlich dem Kopf, war von weißen Verbänden umwickelt. Der Kaffee war das Ergebnis seines Namens Dahlheimer. Auch wenn sein Name dem Kaffeehaus nur im Klang nahekam. Behutsam drückte er die Türklinke herunter. Die Kaffeemumie lag immer noch auf der Intensivstation. Auf den ersten Blick war die Situation wie immer. Nur seine Augen waren geöffnet. Der Blick an die Decke gerichtet. »Hallo«. Hardy fühlte sich wie Schuljunge nach einem Umzug, der am neuen Wohnort zum allerersten Mal mit den neuen Nachbarn spielen möchte. Er hatte das Bett noch nicht erreicht, da hörte er die Stimme des Menschen, den er aus dem Maisfeld gerettet hatte. Ein Bass, der noch etwas dünn klang. Unfreundlich klang er auch. »Was wollen Sie?« Nicht sehr laut, aber eindeutig. Er störte. Hardy irritierte die Frage. Er sah sich um, meinte der Patient jemanden anderes? Damit hatte er nicht gerechnet.

Er besann sich. Unfall, Polytrauma, künstliches Koma. Er war heute aufgewacht.

»Hm« Hardy musste sich sortieren. Er hatte vor jedem Besuch überlegt, wie er sich vorstellen wollte. Hatte sich die Frage gestellt, was er sagen könnte oder ob es besser sei, nichts zu sagen. Mit einer brüsken Zurückweisung hatte er nicht gerechnet.

Vielleicht hatte die junge Schwester doch recht und Menschen im künstlichen Koma hören nichts. Andernfalls wäre an dieser Stelle eine Vorstellung oder ein Dankeschön fällig gewesen. Er half nach. »Willkommen zurück im Leben«. Er räusperte sich, machte ein paar Schritte ans Bett. Dass der Patient ihn sehen konnte. Wenn er denn wollte. Im Augenblick schien er das nicht zu tun. Die Augen waren zwischen den Verbänden auf die weiße Zimmerdecke gerichtet. Die Situation hatte etwas Merkwürdiges. Mit einem Schlag war die Vertrautheit, die in den zurückliegenden Tagen entstanden war, entlarvt. Es war nur Schein. Er hatte einem Menschen im Koma vorgelesen, der sich an nichts erinnerte. Die Freude, die ihn erwartete, war von den Schwestern und dem Personal ausgegangen. Der Moment enttäuschte ihn. Er musste sich sammeln. »Du kannst mich Hardy nennen. Ich habe dich im Feld gefunden.« Um seine Augen erkannte er den Hauch eines Lächelns. Das ermutigte ihn. »Ich bin, wenn du so willst dein Lebensretter.« Er lachte zu laut.

»Wie viel möchtest du?« Hardy musste lachen, dieses Mal klang es echt. Der Typ hatte Humor, er spielte mit. »Was ist dir dein Leben Wert?«

»Hör auf! Ich werde dir keine Firmenanteile überschreiben, egal was du raus gefunden hast.«

»Das verstehe ich, aber ein Platz im Testament, in der ersten oder zweiten Reihe wäre angemessen.«

»Sie machen Witze.« Der Mann im Bett sagte es mit bitterer Entschiedenheit. Seine Augenpartie und das, was an Haut sichtbar war, wirkten blass.

»Wir waren beim du.«

»Sie waren beim du. Lassen Sie Ihren Namen und Bankverbindung hier ich, werde meinem Büro anweisen.« Er hatte sich geirrt. Die Kaffeemumie war nicht witzig. Der Mensch unter dem Verband bekam nicht deshalb keinen Besuch, weil keiner wusste, wo er war, sondern weil ihn keiner vermisste. Es interessierte sich keiner für diesen Menschen, der hier seit Tagen in einem Krankenhaus lag und nachdem sich niemand erkundigte. Er war einsam, weil er grausam war. Hardy verließ das Krankenzimmer. Grußlos.

Tod am See

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