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5. Entwicklungen seit 2015

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Auch nach dreifacher Überarbeitung kommt das UWG nicht zur Ruhe. Mitverantwortlich dafür ist weiterhin die EU (vgl. dazu Rdnr. 73 ff). In Deutschland tendieren Regierung und Parlament dazu, in das Blickfeld der Öffentlichkeit geratene Sachverhalte schnell selbst und möglichst ausführlich zu regeln, statt den Gerichten die Konkretisierung der vorhandenen Vorschriften zu überlassen. Außerdem ist ein Anwachsen spezieller Vorschriften außerhalb des UWG zu beobachten. Schließlich gibt es vielfältige Bestrebungen, das Instrumentarium zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auszubauen und neu zu justieren. Im Einzelnen:

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Zur Umsetzung der RL (EU) 2016/943 über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen[52] wurden 2019 die §§ 17 bis 19 UWG aufgehoben und der bisher im UWG geregelte Schutz von Geschäftsgeheimnissen – ähnlich wie die ursprünglich ebenfalls im UWG und heute im MarkenG geregelten geschäftlichen Bezeichnungen und die geographischen Herkunftsangaben – in ein eigenes Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) verlagert.[53] Ferner bringt die RL (EU) 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette[54] branchenspezifisches Spezialrecht, das einige B2B-Sachverhalte im Überschneidungsbereich von UWG und GWB regelt.[55] Der im November 2020 beschlossene Regierungsentwurf für das sog. „Lebensmittellieferkettengesetz“[56] sieht allerdings die Umsetzung dieser Richtlinie im Agrarmarktstrukturgesetz, das umbenannt wird, vor. Die Durchsetzung der neuen Vorschriften wird der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) anvertraut.

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Ergänzungen des UWG werden dagegen das Gesetz für faire Verbraucherverträge[57] sowie der New Deal for Consumers der EU[58] bringen, zu dem auch die RL (EU) 2019/2161 (sog. Omnibus-Richtlinie) gehört.[59] Ersteres sieht eine Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht für die Einwilligung der Verbraucher in Telefonwerbung und neue Bußgeldtatbestände vor.[60] Zur Umsetzung des letzteren hat die Bundesregierung am 20. Januar 2021 den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht (GSVW)[61] vorgelegt. Die Umsetzung der Richtlinie muss bis zum 28. November 2021 erfolgen, und die neuen Vorschriften sind ab dem 28. Mai 2022 anzuwenden. In §§ 5 und 5a UWG (§§ 5 bis 5b RegE) sowie im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG sollen einige neue, überwiegend die Digitalwirtschaft betreffende Sachverhalte (Rankings, Verbraucherbewertungen etc.) zusätzlich geregelt werden. Ferner ist beabsichtigt, die Rechtslage bei der Influencer-Werbung zu präzisieren.[62] Daneben sieht der Entwurf zum wiederholten Mal gut gemeinte, für die kontinuierliche juristische Arbeit aber lästige rein redaktionelle Änderungen vor, die die §§ 2, 5, 5a und 7 UWG sowie den Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG betreffen (vgl. Rdnr. 150, 233).

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Auch hinsichtlich seiner Durchsetzung befindet sich das Wettbewerbsrecht im Umbruch. Das betrifft zunächst die bisher dominierende private Rechtsdurchsetzung. Hier hat das Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze von 2020[63] in § 8a UWG eine spezielle Regelung im Bereich der Online-Vermittlungsdienste für Aktivlegitimation und Klagebefugnis (§ 8 Abs. 1 UWG) bei Verstößen gegen die VO (EU) 2019/1150 (sog. P2B-Verordnung),[64] die den Tatbestand des Rechtsbruchs (§ 3a UWG) erfüllen, eingeführt. Damit soll Art. 14 Abs. 3 und 4 P2B-VO Rechnung getragen werden. Darüber hinaus setzt das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs von Ende 2020,[65] das (oft nur vermeintliche) Abmahnmissbräuche bekämpfen soll, in zahlreichen neuen UWG-Vorschriften die Anforderungen an die Rechtsverfolgung durch Unternehmen (Mitbewerber) und Unternehmensverbände herauf und reduziert die finanziellen Anreize für Abmahner.

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Andererseits verlangt Art. 3 Nr. 5 der soeben erwähnten RL (EU) 2019/2161, dass durch unlautere geschäftliche Handlungen geschädigte Verbraucher künftig einen eigenen Schadensersatzanspruch erhalten. Dementsprechend sieht der RegE GSVW für Verbraucher einen individuellen wettbewerbsrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz vor, der allerletzte diesbezügliche Rechtsschutzlücken im BGB schließen soll.[66] Die traditionelle Zurückhaltung des deutschen Gesetzgebers bezüglich eines solchen Anspruchs war allerdings angesichts der Unzulänglichkeiten vieler Tatbestände (generalklauselartige Weite, unklare Maßstäbe („Durchschnittsverbraucher“), Kompromisscharakter des EU-Rechts, unzureichende Übersetzungen etc.), der allenfalls marginalen Schäden und der Ansprüche nach bürgerlichem Recht wohl begründet und verhältnismäßig. Nun ist zu befürchten, dass mit dem neuen Anspruch weitere administrative und finanzielle Belastungen auf die Unternehmen zukommen, zumal sich auf EU-Ebene auch die Einführung von Schadensersatz-Sammelklagen von Verbrauchern abzeichnet.[67] Widersprüchlich erscheint zudem, dass in gleicher Weise wie Verbraucher geschädigte sonstige Marktteilnehmer keinen eigenen Anspruch erhalten sollen.

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Auch bezüglich hoheitlicher Instrumente zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gibt der Gesetzgeber seine traditionelle Zurückhaltung immer häufiger auf. So wurde 2017 das BKartA durch die 9. GWB-Novelle[68] ermächtigt, im Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts Sektoruntersuchungen durchzuführen (§ 32e Abs. 5 GWB) und sich als „amicus curiae“ an wettbewerbsrechtlichen Zivilprozessen zu beteiligen (§ 90 Abs. 6 GWB). 2020 wurden die behördlichen Befugnisse nach dem VSchDG an die VO (EU) 2017/2394 über die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden im Verbraucherschutz[69] angepasst, präzisiert und ausgeweitet.[70] Diese Befugnisse betreffen allerdings nur grenzüberschreitende Sachverhalte; ihre Erstreckung auf Inlandsfälle wurde im Bundestag abgelehnt. Das bisherige „EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz“ (VSchDG) wurde in „EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetz“ (EU-VSchDG) umbenannt. Ein Teil der Zuständigkeiten nach diesem Gesetz, die 2006 zunächst beim BVL und ab 2015 beim BMJV lagen, wurde 2020 zum dritten Mal verlagert, nunmehr auf das BfJ. Dieses hatte im Wettbewerbsrecht bis dahin nur prozesstechnische Aufgaben (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG i.V.m. §§ 3, 4 UKlaG, § 10 Abs. 5 UWG).

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Neben die begrenzten wettbewerbsrechtlichen Zuständigkeiten der allgemeinen Strafverfolgungs- und Verwaltungsbehörden (§ 16 UWG, StGB, PAngV, etc.) und die Aufgaben einiger Branchenbehörden (BNetzA, § 20 UWG; künftig BVL, §§ 3, 22 AgrarOLkG; etc.) treten danach wettbewerbsrechtliche Befugnisse von BKartA und BfJ. Während jedoch das BKartA im Ressort des BMWi den wirtschaftlichen Wettbewerb aus langjähriger Verwaltungspraxis und Beobachtung gut kennt, verfügt das BfJ im Ressort des BMJV über wenig wirtschaftsverwaltungsrechtliche Erfahrung. Allerdings ist das BMJV ressortmäßig für das UWG zuständig. Wohl aus diesem Grund setzt auch der RegE GSVW auf das BfJ und nicht auf das BKartA. Er sieht für EU-rechtlich relevante unlautere Handlungen einen neuen Bußgeldtatbestand im UWG vor, dessen Anwendung in die Zuständigkeit des BfJ fallen soll.[71] Dessen Personal musste bereits bei der Änderung des VSchDG um einige Planstellen aufgestockt worden.[72]

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Die Verteilung der wettbewerbsrechtlichen Zuständigkeiten auf verschiedene Behörden aus verschiedenen Ressorts ist ineffizient und führt zu Rechtsunsicherheit und Konflikten. Sie ruft nach der Bündelung aller Kräfte bei einer einzigen sachverständigen Instanz. Sie verstellt darüber hinaus den Blick auf die grundsätzlichere Frage nach der Klugheit einer „Bürokratisierung“ des Wettbewerbsrechts,[73] dessen Durchsetzung bei Mitbewerbern und Verbänden in guten Händen liegt. Dass neue Behörden und weitere Zuständigkeiten zu einer wirkungsvolleren und gerechteren Rechtsdurchsetzung im Wettbewerbsrecht beitragen, dürfte bei einem genauen Blick auf die Unzulänglichkeiten öffentlicher Verwaltung eine Fehleinschätzung sein. Sicher ist dagegen, dass die Vervielfachung der Instrumente zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts einen erheblichen finanziellen und administrativen Mehraufwand für alle Beteiligten zur Folge hat.

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