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Die Maidult

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Im Mai ist in der Stadt allerweil die Dult und natürlich wollen wir Kinder da hin. Beate und ich bengsen (nerven) so lange, bis Tante nachgibt und sich mit uns zur Dult aufmacht. Wir fahren sogar mit dem Zug in die Stadt. Als wir zur Taschenturmstraße kommen, hören wir schon die Drehorgelmusik. Wir werden ganz nervös und würden am liebsten laufen, damit wir ja noch rechtzeitig hinkommen. Tante ermahnt uns, wir müssten brav und sittsam an ihrer Seite bleiben. Sie will uns nicht aus den Augen verlieren. Beate und ich sind da weniger ängstlich, denn wir zwei würden auch alleine heim nach Lenting finden. Aber Tante hat das Geld und ohne Geld ist die schönste Dult nicht schön. Nur auf einer Bank auf dem Scherbelberg zu sitzen und auf das bunte Volksfesttreiben herunterzuschauen ist auch nicht unser Ziel.

So aber stellt sich Tante erst mal für eine Zuckerwatte an. Mit diesen fein gesponnenen Zuckerbauschen in der Hand geht es durch das Getümmel. Da kommt das Kinderkarussell mit den Pferdchen, den Autos, der Feuerwehr und den Postkutschen. Damit durfte ich als kleines Kind immer fahren. Das würde ich auch jetzt gerne wieder tun, denn das Karussell fährt langsam und da wird mir nicht schlecht.

„Des is doch nichts mehr für dich“, meint Tante.

Wir ziehen weiter zum Kettenkarussell. Im Gegensatz zu Beate bin ich gar nicht begeistert. Wenn ich schon sehe, wie schnell sich das Karussell dreht! Mir ist doch schon in dem kleinen Karussell im Kindergarten übel geworden. Aber Tante ist vom Genuss dieser Fahrt überzeugt und will uns daran teilhaben lassen. Als sie die Karten hat, werden wir einfach reingesetzt, die Ketten werden verschlossen, damit wir nicht herausfallen können. Jetzt bin ich mit meinem Elend ganz alleine in der Luft, Beate vor und Tante hinter mir. Sie sind für mich unerreichbar.

Zuerst dreht sich alles ganz langsam, doch dann gewinnen all die Sitze an Fahrt. Aufgrund der Fliehkraft hängen wir ganz schief auf den harten Brettern der Kettenstühle. Ich trau mich nicht mehr runter- und auch nicht mehr raufzuschauen. Oh mei, mir wird schlecht! Ich mache den Mund auf und schnaufe tief! Es hilft nichts! Ich presse die Lippen zusammen, aber das hilft auch nichts, mir wird immer schlechter! Und ich kann zu niemandem etwas sagen. Tante und Beate sind so weit weg von mir. Hört denn die Fliegerei überhaupt nimmer auf? Nein, die hört nicht auf. Ich glaube, die fahren gerade eine extralange Tour. Ich wage einen Blick hinunter und sehe all die Menschenköpfe unter mir. Alle haben ihre Sonntagskleider an. Wenn ich jetzt brechen muss! Die da unten erschlagen mich dann bestimmt!

Endlich lässt die Geschwindigkeit nach und langsam kommt das Karussell zum Stehen, die Ketten werden geöffnet, wir dürfen raus! Beate möchte gleich noch mal fahren, aber ich hänge mich an Tantes Hand, torkle die Treppen hinunter und bin froh, dass ich nicht brechen muss.

Langsam erhole ich mich und wir eilen wichtig zur Geisterbahn. Das gefällt mir. Beate und ich sitzen auf einer Bank, Tante hinter uns. Langsam setzt sich die Bahn in Bewegung. Wir fahren in den finsteren Höllenschlund ein. Erst mal umgibt uns nur Dunkelheit. Beate schreit und krallt sich an mich. Sie hat Platzangst und Angst vor der Finsternis. Darunter leidet sie seit ihrer frühen Kindheit. Weil sie mal unfolgsam war, hat ihr ihre Mutti droben im Friedrich-Haus erst mal den Hintern versohlt, sie dann in den fensterlosen Keller gestoßen, die Falltüre geschlossen und sich auch noch daraufgestellt, damit Beate ja nicht herauskam. Natürlich war das nur kurz, aber seitdem kann sie diese Angst nicht mehr überwinden. Hier in der gefährlichen Geisterbahn kommt diese Phobie wieder besonders stark durch.

Vor uns hört man schon die gellenden Schreie der verlorenen Geisterbahnfahrer, die gerade von Hexen, Geistern, Tod und Teufeln aus den Sitzen gerissen werden. Wahrscheinlich werden die nie mehr auf der Erdoberfläche auftauchen. Das meint Beate, aber ich weiß es besser! Als jetzt auch noch diese furchtbaren Gestalten auf uns zugreifen, schreit Beate noch lauter. Ich überstehe die Fahrt gut und möchte gerne nochmals fahren, um meinen Mut zu zeigen.

„Na, na, des langt scho“, meint Tante.

Wir marschieren weiter über das Volksfest, schauen uns alles an und möchten dies und wollen das. „Da bräucht ich ja an Geldscheißer und den hob i net“, meint Tante. Ja, dann lass mas halt steh!

Aber vom Riesenrad bin ich ganz fasziniert, ich will gar nicht weitergehen. Tante meint, da stünden so viele Leute an, das könnten wir nicht mitmachen. Aber ich schaue so voller Sehnsucht zu den schön bemalten Gondeln, die ganz nach oben in den Himmel schweben und sich dann wieder langsam auf die Erde senken. Da gibt Tante nach. Sie setzt uns auf Holztreppen, wo wir auf alle Fälle sitzen bleiben müssen, bis sie wiederkommt. So kleine Kinder sind wir doch wirklich nicht mehr, aber wir folgen.

Es dauert, dauert und dauert, die Schlange vor der Kasse schiebt sich nur ganz langsam vorwärts. Endlich, nach einer Ewigkeit kommt meine so liebe Tante mit den Fahrkarten in der Hand zurück. Ach, so eine brave Tante hab nur ich! Erwartungsvoll eilen wir mit ihr auf den Eingang zu. Da dauert es wieder, bis wir einsteigen können. Tante kann schon gar nicht mehr stehen.

Endlich! Wir zeigen unsere Karten vor, die werden eingerissen, wir dürfen hinein und in einer der wunderschönen Gondeln Platz nehmen. Tante sitzt auf der einen, Beate und ich auf der anderen Seite. Die Gondel schaukelt leicht hin und her. Oh, wie schön ist das! Ich fühle mich prima!

Da setzt sich die Gondel in Bewegung und es geht aufwärts! Aber oh, oh, das kitzelt ganz unangenehm in meinem Bauch! Dieses Gefühl greift nach meinem Magen. Die Gondel bleibt mit einem Ruck stehen. Mir wird übel! Unter uns steigen Leute ein. Wieder ein Ruck und es geht weiter aufwärts. Wieder dieses blöde Gefühl in meinem Bauch! Mein Magen dreht sich um! Stück um Stück steigt die Gondel nach oben. Ich fühle mich immer schlechter. Ich will mir nichts anmerken lassen und reiße mich zusammen. Ich bekomme keine Luft mehr!

Tante und Beate unterhalten sich. Ich sage schon gar nichts mehr, sondern lehne mich zurück und bete, dass die Gondel nicht mehr weiter nach oben fährt, sondern Kurs auf den festen Boden nimmt.

Mein Gebet wird nicht erhört! Ganz im Gegenteil! Die Gondel schaukelt wieder ein Stück runter und dann wieder rauf! Der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn und ich klammere mich an den Sitz.

Tante wirft endlich einen Blick auf mich. „Was hast denn? Ist dir schlecht?“

„Ja, a bisserl … I glaub, ich muass brechen“, sag ich leise.

„Ja, was solln wir denn iatz macha?“, schnauzt Tante.

Oh je, sie wird grantig!

„I mog (will) raus“, meine ich kleinlaut.

Beate stellt sich nun auch noch gegen mich und gibt ihren Senf dazu: „I mog oba net raus!“

Ich fange zu weinen an. Es würgt und hebt mich. „I wui raus!“, fordere ich mit letzter Kraft. Da gibt Tante dem Aufpasser unten ein Zeichen. Die Gondel fährt langsam zurück. Endlich, endlich sind wir unten.

Tante packt uns an den Händen und zieht uns mehr oder weniger heraus. Beate protestiert: „I bleib do, i konn a alloa fahrn!“

Aber bei der Tante ist es vorbei. Sie ist narrert (wütend), und das wie! „Da stell ich mich a volle Stund lang o, zoih (zahle) an Haufn Geld, weil sie unbedingt do fahrn wui, und dann wuis raus! Des langt mir jetzt! Iatz geh ma hoam. Denkt ja net, dass ich mit eich nochmals aufs Volksfest geh! Nia und nimmer!“

Und das End vom Lied? Tante ist total stinkert, Beate weint, mir ist immer noch schlecht und ich habe ein schlechtes Gewissen.

Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951

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