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DIE KINDER MEINER URGROSSELTERN

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Meine Urgroßeltern klagen nie, auch als der 1. Weltkrieg Elend und Hungersnot über die Familie bringt. Natürlich setzen die erwachsenen Söhne und Töchter, soweit es ihnen möglich ist, alles daran, die Familie zu unterstützen.

Ein Sohn, der Gottfried II, verliert im 1. Weltkrieg beide Beine.

Gottfried wird nach einem Bruder benannt und getauft, den sie schon im Kindesalter verlieren.

Gottfried I

(der erste) ist ein aufgeweckter Bub. Die Mutter mag ihn besonders gern. Seine leuchtenden Augen, sein Lachen, seine Fröhlichkeit helfen ihr oft über die anstrengenden, arbeitsreichen Tage. Und auch Gottfried hängt mit seiner herzlichen Kinderliebe an seiner Mutter. Er ist eigentlich ein folgsamer Sohn.

Nach der Schule wird die Schulkleidung ausgezogen. Eine alte Hose mit Flicken genügt zum Spielen.

Nach dem Mittagessen verbringt Gottfried die Zeit meist draußen mit Freunden. Sie springen, lachen, wieseln hin und her, spielen Räuber und Gendarm, Fangermandl, Schussern, und was den Buben eben einfällt.

So auch heute wieder.

Jetzt kommt gerade ein Stadtbauer mit seinem Pferdefuhrwerk, das mit einem Odelfass beladen ist.

Die Kinder laufen auf das Fuhrwerk zu. Sie wollen alle ein Stück mitfahren, indem sie sich auf die Deichsel setzten oder sich sonst wie anhängen.

Natürlich rennt auch Gottfried mit um sich auf oder an dem Fuhrwerk einen Platz für eine kurze Mitfahrt zu sichern.

Seine Mutter hat dies immer wieder untersagt. Aber nun schlägt er die warnenden Worte seiner Mutter in den Wind. Er will ja nur ein ganz kleines Stück bis zum Elternhaus hin mitfahren, dann abspringen und heimgehen. So schnell fährt ein Pferdefuhrwerk ja auch nicht.

Schon hängt er an der Seite des Leiterwagens. Er freut sich. Die Mutter wird schon nicht gerade jetzt einen Blick aus dem Fenster auf die Straße werfen und ihn sehen, denn er will hernach ihre ermahnenden und tadelnden Worte nicht hören. Gleich fährt das Fuhrwerk am Haus vorbei.

Gottlieb will schnell auf die Straße hüpfen. Doch irgendwie bleibt er hängen.

Der geplante Sprung klappt nicht. Gottfried fällt, landet auf der Straße, aber ganz unglücklich zwischen die mit Eisen beschlagenen Räder. Eines dieser rollt über seinen schmächtigen Kinderkörper.

Sofort entsteht ein Tumult, die Kinder schreien. Der Bauer ruft, ein Doktor soll schnell geholt erden, ein Nachbar läuft gerade hinaus und hilft, den verunglückten Buben unter dem Fuhrwerk herauszuziehen.

Die Mutter drinnen im Haus hört das Geschrei, geht an das Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen. Ihre Augen weiten sich im Entsetzen, das Blut weicht aus ihrem Gesicht, der Boden schwankt unter ihren Füßen, sie muss sich am Schrank festhalten, um nicht umzufallen.

Gottfried war doch gerade noch lachend und fröhlich hier beim Essen und nun schleppen sie ihr Kind in eine Decke eingewickelt, sterbend ins Haus.

Sie öffnet die Türe. Sie braucht keine Erklärung, sie weiß, was passiert ist. Sie hilft, den Bub auf das Sofa zu legen.

Gottfried ist bei Bewusstsein.

„Mutter, ich bin vom Wagen gefallen, bitte schimpf nicht.“

„Nein, mein Kind, das tu ich nicht.“

Obwohl sie sieht, dass keine Hilfe mehr möglich ist, soll der Doktor schnell kommen. „Heilige Maria Mutter Gottes, vom siebenfachen Schwert durchbohrt, steh mir bei!“ Sie wischt Gottfried das leichenblasse Gesichtchen ab. Der kalte Schweiß steht ihm auf der Stirn. „Jetzt kommt gleich der Doktor. Dann geht es dir schnell wieder besser.“

„Ja, Mutter, aber ich hab Durst. In meinem Bauch brennt es so heiß.“

Die Nachbarin, die auch hier im Haus Bescheid weiß, bringt ein Glas Apfelsaft. Die Mutter hebt seinen Kopf und hält ihm das Glas an die zitternden Lippen. Mit gierigen Zügen leert Gottfried das Glas, sein Köpfchen gleitet auf das Kissen zurück.

„Mutter, jetzt muss ich bieseln.“

Schnell holt die Nachbarin ein Nachthaferl herein. Die Mutter hebt die Decke auf und schiebt es unter das stöhnende Kind. Gottfried muss nicht bieseln, es ist alles Blut, das so aus seinem sterbenden Körper heraus läuft.

Es zerreißt ihr fast das Herz. Sie schiebt ihren Arm unter das Kopfkissen und hält das Kind, so an sich gedrückt, fest.

Kurz darauf meint er wieder: „Mutter, ich muss schon wieder.“

„Mach dir da jetzt keine Sorgen. Lass es einfach laufen. Später werde ich das alles waschen.“ Sie schaut in das Gesicht ihres Kindes. Ist das Näschen nicht schon ganz weiß und spitz?

„Mutter, wenn ich jetzt sterbe, komme ich dann in die Hölle, weil ich nicht gefolgt habe?“

„Ach, mein Lieber, du kommst nicht in die Hölle. Du bist doch ein braver Bub.“

„Du, Mutter, wenn ich sterbe, komme ich dann in den Himmel?“

„Herzerl, freilich kommst du in den Himmel.“

„Du, Mutter, wenn ich jetzt sterbe, komme ich dann gleich in den Himmel?“

„Du kommst freilich gleich in den Himmel.“

„Du Mutter, spielen dann die Engel mit mir?“

„Ja, Liebling, die Engel spielen dann mit dir.“

„Du, Mutter, ich sehe Engel, die winken mir schon zu und wollen mit mir spielen … Mutter, komme ich wirklich gleich in den Himmel?“

„Du kommst ganz, ganz schnell in den Himmel.“

„Mutter, ich seh in den Himmel. Es schaut so schön aus. Bin ich jetzt gleich dort?“

„Ja, du bist gleich dort.“

„Mutter, die Engel fliegen zu mir her und holen mich jetzt.“ Gottfried hebt seine Händchen den Engeln, die er sieht, entgegen. Ein seliges Lächeln umspielt seine Lippen. „Sie sind da und ich bin gleich im Himmel.“

Seine Ärmchen fallen zurück und mit einem verzückten Lächeln im Gesicht macht er einen tiefen Atemzug, dann ist es vorbei.

„Oh Herr, gib ihm die ewige Ruhe …“

Die Mutter schließt ihm die Augen, dann verliert sie das Bewusstsein.

Diesen Schicksalsschlag kann Urgroßmutter Maria ihr Leben lang nicht verarbeiten und oft vergießt sie heiße Tränen. Doch das Leben geht weiter … weiter … weiter …

Alle Kinder hängen an ihren Eltern, auch wenn diese streng sind.

Theresia liebt ihre Mutter sehr. Als mal die Rede auf das Sterben kommt, meint sie: „Mutter, wenn du mal stirbst, dann will ich auch nicht mehr leben.“

„Ach Kind.“

„Doch, Mutter, wenn du stirbst, dann springe ich in dein Grab.“

Die Mutter lächelt mild: „Ach Kind, wenn ich sterbe, dann wird es dir schon sehr wehtun. Aber glaub mir, ein Jahr später wirst du wieder singen, lachen und springen. Glaub mir das!“

Ja, das Leben geht immer wieder weiter …

Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder

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