Читать книгу Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder - Mia May - Страница 5

Оглавление

Mia, die Feder

Von Anno dazumal bis 1947

RUNDER GEBURTSTAG 8. 3. 2009

Ein stechender Schmerz fährt durch meine Schulter und zwingt mich zum Wachwerden.

Ich schlage die Augen auf. Das Licht fällt hell durch die Ritzen der Jalousien. Langsam kann ich meine Gedanken sammeln. Heute ist ja ein besonderer Tag mit drei relevanten Ereignissen.

1. Es ist Sonntag.

Ich mag Sonntage, weil normal niemand kommt, keine Post, kein außerprivater Telefonanruf, kein Vertreter usw.

2. Heute ist Internationaler Frauentag.

Frauen, das starke Geschlecht. Frauen waren in meiner Familie meist stark. Nein, keine prominenten Frauen, keine Frauen, die in der Öffentlichkeit standen, keine studierten oder politisch organisierten Frauen. Sie sind eigentlich niemandem aufgefallen, aber sie waren stark. In den vergangenen Jahrzehnten gab es viele starke Frauen. Sie überlegten sich nicht, ob sie stark waren oder nicht. Sie kannten den Frauentag nicht mal und doch waren sie diese kraftvollen Frauen, für die der Frauentag geschaffen wurde. Natürlich gibt es diese Frauen auch heute noch und es wird sie immer geben.

Und …

3. Ich habe heute Geburtstag.

Einen runden. Die Jahre sind so schnell verflogen! Ich komme mit dem Zählen nicht nach.

Ich denke, es sind 60 Jahre.

Wenn mir aber meine gesundheitliche Situation bewusst wird, dann fühle ich 80.

Wie bei der Wettervorhersage: „Gefühlte Temperatur“.

Ja, ich bin gefühlte 80, aber dem Kalender nach bin ich heute 70.

Ich drehe mich um und quäle meinen übergewichtigen Körper aus dem Bett. Nun spüre ich auch den Schmerz, den meine Gleitwirbel verursachen. Während ich mich erhebe, macht sich ebenfalls mein kaputtes Kniegelenk bemerkbar.

Ich setze mich wieder auf die Bettkante zurück, schließe die Augen und bete mein Morgengebet. Heute dauert es etwas länger, weil ich mich für die vergangenen 70 Jahre beim Herrgott bedanke.

Ja, ich bin gläubig. Keine gläubige Katholikin, keine gläubige Protestantin, keine gläubige Muslima, nein, einfach eine gläubige Frau, die an einen Gott glaubt. Ich bin zwar katholisch getauft und in einem katholischen Dorf aufgewachsen.

Ich mag den wulstigen, barocken Kult der katholischen Kirche, mag ein mit Weihrauch geschwängertes Hochamt mit viel Orgelmusik. Dies bedeutet aber nicht, dass es meinen Glauben in eine Richtung festlegt.

Mein fetter Kater Bazzi (wie der Herr, so sein Gscherr), jammert, denn er will sein Frühstück haben. Er lässt sich nicht besänftigen. Er jammert und klagt. Er will mir weismachen, dass er kurz vor dem Verhungern steht. Also wird erstmal er versorgt.

Ich schleppe mich zum Fenster und ziehe die Jalousien hoch. Das Wetter scheint nicht so besonders zu werden. Dieses Jahr, der lange Winter, von dem ich nun wirklich die Nase voll habe.

Mein Blick fällt in den Spiegel. Ein graues, fahles Gesicht, von ungekämmten Haaren umgeben, schaut mich an. Ich ziehe die Mundwinkel hoch, es soll ein Lächeln werden. Mit dieser Übung werden siebzehn Muskeln in Bewegung gesetzt. Dies soll sich auch positiv auf die Laune auswirken.

Ich begebe mich in das kleine Bad und zwänge mich in die enge Dusche. Das sprühende Wasser wirkt sich belebend auf mich aus. Erfrischt und wach „springe“ ich aus der Kabine. Ha … ha … ha … „springen!!“ Wer hat schon eine alte lahme Ente springen sehen?

Ich bin froh, dass ich es schaffe, meine Beine über den Beckenrand zu heben. Aber um das zu verbessern, mache ich meine morgendliche Tele-Gymnastik. Das beruhigt auch mein unsportliches Gewissen etwas. Ich pflücke imaginäre Bananen, die ganz hoch oben hängen, trainiere meine Schultern usw. Ich bin froh, als ich mein Pensum erfüllt habe.

Gerade als ich mit der Morgengymnastik und Toilette fertig bin, das Bad verlasse, mich entsprechend angezogen und den Kater gefüttert habe, läutet auch schon das Telefon.

Ich werfe einen Blick auf meine Pseudo-Rolex. Die hat ein großes Zifferblatt, so sehe ich die Uhrzeit auch ohne Brille. Es ist 7 : 30 Uhr.

Ich plumpse auf meinen Bürostuhl und hebe das Telefon ab. „Hallo“ melde ich mich. Natürlich weiß ich, es ist unhöflich, sich nicht mit dem Namen zu melden. Im Büro machte ich dies natürlich „richtig“. Privat ist das wieder anders. Außerdem kennen alle meine Stimme, die nach Jahrzehnten Leben in Franken immer noch eine starke bayerische Färbung hat.

Am Telefon ist Hans, der Mann meiner Cousine. Er ist ein früher Vogel, der immer den Wurm findet. Er hat in seinem Leben viele Würmer gefunden. Obwohl er schon sechs Jahre in Pension ist, sucht er immer noch nach den frühen Würmern.

Jetzt aber gratuliert er mir. Auch ich spreche ihm meine Glückwünsche aus, denn auch er hat heute Geburtstag, aber er ist ein Jahr älter. Nach ein paar heiteren Sätzen, dass ich ihn trotz aller Bemühungen nicht einholen kann, übergibt er das Telefon an meine Cousine Beate.

Ihr Atem hört sich kurz und ihre Stimme etwas hektisch an.

„Bist du schon auf? Ich habe dem Hans gesagt, so früh kannst du nicht anrufen. Aber du kennst ihn ja.“ Nun folgen liebe Glück- und Segenswünsche.

Meine Cousine, mehr meine Schwester, ist ein Jahr jünger. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben ein herzliches Verhältnis zu einander. Obwohl wir nicht immer einer Meinung sind, machen wir uns gegenseitig nichts vor, aber das wirkt sich nie störend aus. Wir ratschen etwas und besprechen kurz auch meine Geburtstagsfeier, die erst am kommenden Samstag stattfinden soll, bis das zweite Telefon läutet.

Es ist meine allerbeste Freundin Melitta.

Ich habe Freundinnen, gute Freundinnen und mehrere beste Freundinnen. Melitta ist meine allerbeste. Sie hat mir im letzten Jahr in jeder Beziehung sehr viel geholfen, d. h. mit Rat und Tat, eigentlich mehr mit Tat als Rat. Ratschläge bekommt man im Leben viele, Ratschläge, brauchbare und unbrauchbare, manchmal wird einfach nur der Senf dazu gegeben.

Es geht um Ratschläge, wie man den schweren Koffer des Lebens leichter tragen kann. Aber Melitta hilft tragen, das ist der gravierende Unterschied.

Auch ihre Tochter Nina übermittelt mir ihre Glückwünsche.

Nun brauche ich erst mal eine Tasse Kaffee. Ich gieße mir einen Schnellkaffee auf. Kuchen habe ich auch nicht da. Den wird mein Sohn bringen. Vorerst tut es ein altes Brötchen. Andy, mein Sohn, wird aber erst später kommen. Er ist am Wochenende im Osten bei seiner Freundin Marion, die in der Nähe von Magdeburg wohnt.

Gerade tauche ich meine alte Semmel in den Kaffee – ein Relikt aus der Kindheit (damals jedoch Brot) – als das Telefon erneut läutet. Es ist Andy, mein Sohn.

„Bist du schon auf dem Weg?“, frage ich ihn.

„Nein, ich bin schon in Nürnberg. Ich bin schon um fünf Uhr weggefahren.“

Seine Glückwünsche freuen mich besonders. Andy will Essen vom „Mongolen“ holen, Torte in der Konditorei kaufen, dann kommen. Ich habe einen sehr lieben Sohn. Was würde ich ohne ihn machen? Er hat zwar manchmal auch seine Mucken und Launen, aber welcher Mann hat die nicht?

Er ist ein lieber, intelligenter, sehr fleißiger Bub. Er ist nun fünfundvierzig Jahre alt, aber er schaut noch viel jünger aus. Auf Wunsch von Marion trägt er sein Haar lang. Er hat äußerlich nicht viel Ähnlichkeit mit mir. Gott hat ihn davon bewahrt. Außer meinen Sohn habe ich noch zwei Neffen.

Robert, der wie ich auch ziemlich übergewichtig und Ludwig, der zwar rank und schlank ist, aber rote Haare wie ich hab, d. h. wie ich hatte.

Wenn diese drei jungen Männer bei mir stehen und ich frage, welcher von ihnen mein Sohn ist, dann tippen alle entweder auf Robert oder auf Ludwig, aber niemand kommt auf die Idee, Andy für meinen Sohn zu halten.

Er schaut auch seinem Vater nicht sehr ähnlich, sondern mehr meiner Mutter.

Das Telefon läutet wieder und reißt mich aus meinen Gedanken.

Es ist Marion, meine Schwiegertochter. Ihre Glückwünsche sind sehr herzlich. Sie ist eine ganz Liebe. Sie ist ein kleines, zierliches, hübsches Persönchen, voller Kraft und Energie, eine Powerfrau. Sie hat sich ein sehr jugendliches Aussehen bewahrt.

Der nächste Anruf kommt von meiner Freundin Hermine.

Seit 1955 sind wir befreundet. Ihre gesundheitliche Lage ist meiner sehr ähnlich und wir tauschen uns fast täglich aus.

Nun läutet es. Ich erschrecke und fahre in die Höhe. An dieses schrille Läuten kann ich mich einfach nicht gewöhnen.

Andy kommt. Die Tortenstücke – aber bitte mit Sahne – hat er schon dabei. Gleich fährt er nochmals los und kommt kurz darauf mit den mongolischen Gerichten zurück.

Das Essen schmeckt; wir lassen es uns gut gehen.

Nach dem wir unsere Portionen verzehrt haben, wollen wir noch einen Kaffee trinken. Diesmal gefilterten.

Zu einer gemütlichen Unterhaltung kommen wir nicht, denn dauernd klingelt das Telefon. Unser Gespräch wird ständig unterbrochen.

Andy sitzt auf dem kleinen Sofa. Er wirkt müde. Er ist in der Früh um fünf Uhr wegfahren, das ist schon anstrengend. Unterhalten können wir uns wegen der laufenden Gratulationsanrufe sowieso nicht.

„Na ja“, meint Andy, „ich geh dann.“

„Ja, hast recht. Du siehst ja, dass ich dauernd am Telefon bin.“

Die telefonischen Glückwünsche dauern noch bis zum Abend um neun an. Jetzt mache ich mich aber schnell „bettfein“ (von Marion gehört) und falle erschöpft in die Kissen.

Endlich kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen.

Wenn all die heutigen Glückwünsche in Erfüllung gehen, dann werde ich glücklich, in bester Gesundheit, schlank und rank, mindestens 100 Jahre alt, ein vitaler, liebenswürdiger Lebensgefährte wird mich durch das Leben und auf Reisen begleiten, Andy und Marion werden liebevoll um mich rumwuseln, meine Finanzen werden bestens sein. Wenn ich wirklich einmal sterben muss, dann bei bester Gesundheit und auf Grund meiner Gutheit werde ich sofort ins Paradies eingehen.

Hoffentlich hat der liebe Gott alle Anrufe mitgehört und wird seinen Engeln entsprechende Anweisungen erteilen.

Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder

Подняться наверх