Читать книгу Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder - Mia May - Страница 23
AB 1927 DIE WITWE
ОглавлениеLangsam löst sich in den nächsten Monaten die Starre. Theres nimmt wieder mit einigermaßen wachen Sinnen am Leben teil. Sie bezieht eine bescheidene Witwenpension. Außerdem hat ihr die Bahnleitung die Stelle als Wiegmeisterin angeboten. Sie übt diese Position pflichtbewusst und gewissenhaft aus. So geht das Leben wieder seinen normalen Gang.
Nach den schwarzen Billionenjahren führt Theres mit den heranwachsenden Töchtern ein verhältnismäßig gutes Leben. Thea und Maria gehen zur Erstkommunion und werden gefirmt.
Natürlich hat Theres Verehrer, aber sie lässt alle abblitzen. Für sie gibt es keinen neuen Mann. Als ein Verehrer mal das Waaghäuschen betritt und zudringlich wird, schnauzt sie: „Verschwinden Sie, oder es passiert etwas!“
Doch der Verehrer gibt sich noch nicht geschlagen. „Komm, eine Frau in den besten Jahren braucht doch auch mal etwas anderes.“
Da brennen bei ihr die Sicherungen durch. Das „Rabiate“ kommt mal wieder durch. Auf dem Tisch liegt eine große Schneiderschere. Nach der greift sie und stößt diese mit aller Wucht dem aufdringlichen Verehrer in den Hintern. Mit einem Aufschrei fasst sich der an seinen blutenden Po und verlässt den Tatort.
Nur gut, dass sein Hemd, seine Hose und Unterhose den Stich etwas gemildert haben, aber die Verehrung dieses Mannes ist sie los. Er hat sie nie mehr belästigt. Dieses Geschehen macht natürlich seine Runde. Theres wird mit noch mehr Ehrerbietung und Respekt behandelt. Doch ganz im hintersten Herzensstübchen hat die kühle, beherrschte Theres auch romantische Gedanken.
In ihrer kargen Freizeit liest sie gerne Liebesromane. Besonders Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer haben es ihr angetan. Aber auch der Heimatdichter Hermann Löns gefällt ihr. Manchmal schreibt Theres in ihrer schönen Handschrift auch Gedichte nieder. Von einem kenn ich nur noch den Schluss:
„Deckt mich einst die kühle Erde,
Schlägt mein Herz nicht mehr für dich,
Pflanz auf meinen Grabeshügel
Das Blümelein Vergissmeinnicht.“
Theres ist ehrgeizig. In der Familie haben alle eine schöne Singstimme und ein gutes Musikgehör. Sie will, dass ihre Kinder ein Instrument spielen lernen. Sie selbst legt sich eine Gitarre zu und spielt diese ohne Kenntnisse der Noten recht passabel. Thea soll Geige lernen.
Die Mutter sucht und findet einen Lehrer, der in Ingolstadt einen guten Ruf hat. Die ersten Stunden laufen gut, doch dann weigert sich Thea, den Unterricht weiter zu besuchen. Der Lehrer hat einen schnarchenden Atem. Das kann Thea einfach nicht hören. Selbst Schläge können sie nicht dazu bewegen, die Geige nochmals in die Hand zu nehmen. Da gibt die Mutter auf. Sie denkt an ihren verstorbenen Mann, der hätte auch nachgegeben.
Maria, die jüngere Tochter, soll das besonders in Bayern so beliebte Zitherspiel lernen. Sie ist begabt, hat ein gutes Musikgehör und sie lernt mit Begeisterung. Nicht mal die Blasen an den Fingern können sie davon abhalten, fleißig zu üben und auch zu singen.
Dieser Liebe zur Musik bleibt sie ihr Leben lang treu.
(Später gibt sie diese Liebe an ihre Tochter Beate weiter.)