Читать книгу Einführung in die Theologie der Offenbarung - Michael Bongardt - Страница 13
1. Schützende Verhüllung
ОглавлениеAm Anfang soll ein Text stehen, der eine sinnvolle Rede von Offenbarung unmöglich zu machen scheint:
„Kein Mensch kann mich sehen …“
„Da sagte Mose: Lass mich doch deine Herrlichkeit sehen! Der Herr gab zur Antwort: Ich will meine ganze Schönheit vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen. Ich gewähre Gnade, wem ich will, und ich schenke Erbarmen, wem ich will. Weiter sprach er: Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. Dann sprach der Herr: Hier, diese Stelle da! Stell dich an den Felsen! Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. Dann ziehe ich meine Hand zurück, und du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht aber kann niemand sehen.“ (Ex 33,18 – 23)
Dieser Text steht in einem durchaus verwirrenden Kontext. Das Volk Israel hat den Bund, den Gott mit ihm schloss, durch die Verehrung des „Goldenen Kalbs“ noch am Fuß des Sinai, dem Ort des Bundesschlusses, gebrochen. Mose entbrennt im Zorn, zerschmettert zunächst die Gebotstafeln, sodann das Götzenbild. Doch am nächsten Tag sucht er erneut zwischen Gott und seinem Volk zu vermitteln (Ex 32). Der Text hebt die enge Vertrautheit Mose mit Gott hervor: „Der Herr und Mose redeten miteinander von Angesicht zu Angesicht, wie Menschen miteinander reden“ (Ex 33,11). Doch dann, auf dem Höhepunkt des Ringens mit Gott, die schroffe Zurückweisung: „Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Botterweck/45: 29f.; Talmon/42: 30f.; Scharbert/57: 125f.).
Enthüllung und Verhüllung
Der heute vorliegende Text von Ex 33,7 – 23 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit aus verschiedenen Traditionen zusammengewachsen, was seine Widersprüchlichkeit texthistorisch begründen mag. Damit aber ist über die theologische Bedeutung der aktuellen Textgestalt noch nichts gesagt. Diese kann gerade darin liegen, dass seine einzelnen Aussagen nicht harmonisierbar sind. Lässt sich dies doch als Ausdruck der Erfahrung lesen, dass das Geschehen, um das es hier geht, selbst in hohem Maße zwiespältig ist (Esterbauer/ 220: 189 – 210.274 – 276). Die Begegnung zwischen Gott und Mensch ist zugleich bestimmt von Enthüllung und Verhüllung, von Zuwendung und Entzug, von Offenbarung und Verborgenheit. Der Wunsch des Mose mag als Bitte gelesen werden, dieser Ambivalenz enthoben zu werden. Das wird ihm verweigert.
Faszination und Schrecken
Die Begründung der Ablehnung bedarf allerdings selbst noch einer Begründung. Wieso soll die unverstellte Schau Gottes den Menschen das Leben kosten? Die Warnung erinnert zunächst an die oft zitierte Bestimmung des Heiligen, die der Religionswissenschaftler Rudolf Otto vorgelegt hat. Das Heilige werde in allen Religionen von den Menschen erlebt als „mysterium tremendum et fascinans“ (Otto/427: 13.42) – als beängstigendes und zugleich faszinierend-anziehendes Geheimnis. Es sei, so Otto, die ihnen begegnende überwältigende Macht, die einerseits die Menschen umso stärker fasziniere, je bedrängender sie ihre eigene Ohnmacht erleben; die andererseits aber erschrecke, weil sie zweifellos auch die Kraft zur gewaltsamen Vernichtung der Menschen in sich trage (ebd. 22 – 27).
Doch der Schrecken kann sich im hier gegebenen Zusammenhang nicht auf die Unberechenbarkeit und Zweideutigkeit der begegnenden Macht beziehen. Denn solche Zweideutigkeit kommt dem Gott, der Israel aus Ägypten geführt hat, nicht mehr zu. Er hat seinen Bund mit dem Volk geschlossen, damit es aus seiner Macht lebe. Wieso sollte die Begegnung mit diesem Gott Menschen vernichten?
Heiligkeit und Sünde (Jes 6)
Einen Hinweis gibt eine inhaltlich verwandte Stelle aus der Berufungserzählung des Propheten Jesaja. Als er in einer Vision Gott selbst in seiner himmlischen Herrlichkeit schaut, ruft der spätere Prophet aus: „Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere gesehen“ (Jes 6,5). Gerade wenn die Begegnung mit Gott als Begegnung mit seiner Heiligkeit, mit dem absolut Guten erfahren wird, geht mit ihr zwangsläufig die Einsicht des Menschen einher, dass er selbst dieser Güte nicht entspricht. Vor dem allein Guten erkennt sich der Mensch, ungeachtet aller möglichen Verdienste, als von dieser Güte endlos weit entfernter Sünder. Als Konsequenz der so erlebten Nichtigkeit wird die eigene Vernichtung erwartet. Aber Jesaja wird auf seinen zu Tode erschrockenen Ausruf hin im Auftrag Gottes von einem Engel entsühnt (Jes 6,6f.).
Sprengung der menschlichen Fassungskraft
Doch Mose wird im vorliegenden Text gerade nicht als Sünder, sondern im Kontrast zum sündigen Volk dargestellt. Warum sollte auch für ihn eine unverstellte Gottesbegegnung den Tod bedeuten? Als Grund kann die Unfassbarkeit der göttlichen Wirklichkeit gelten. Sie würde in der unmittelbaren Begegnung jegliche Fassungskraft des Menschen sprengen. Damit aber verlöre der Mensch seine Orientierungsfähigkeit in der Welt – und damit seine Lebensfähigkeit. Er wäre für die Welt verloren.
Erkennen im Nachhinein
Zwei weitere, für die offenbarungstheologische Reflexion wertvolle Hinweise gilt es dem ersten hier vorgestellten Text zu entnehmen: Zum einen wird betont, dass nicht der Mensch sich vor der unverstellten Gottesbegegnung zu schützen hat, sondern dass Gott ihn davor bewahrt: Gott stellt Mose in den Felsspalt, er hält seine Hand über ihn, bis er vorübergegangen ist (Ex 33,22). Der Schutz ist ein Akt göttlichen Erbarmens (Ex 33,19). Zum anderen will die Bildrede des letzten Verses beachtet sein: Die Verheißung, Mose werde Gottes „Rücken sehen“ (Ex 33,23). Gott wird „im Nachhinein“ erkannt (Oeming/447). Damit wird ein für die Bibel wie für die Offenbarungstheologie wichtiges Motiv eingeführt (z. B. Lk 24,31f.).
Die Abweisung der Bitte des Mose, Gottes Herrlichkeit schauen zu dürfen, führt die biblischen Autoren keineswegs zur Bestreitung jeglicher Möglichkeit eines Sehens oder Hörens göttlichen Wirkens und göttlicher Wirklichkeit. Zur beschriebenen Ambivalenz jeder solchen Wahrnehmung gehört schließlich nicht nur der Entzug, sondern auch die Zuwendung, nicht nur die Verborgenheit, sondern auch die Offenbarung (Rendtorff /55: 175f.). In der oben analysierten Erzählung verweist Gott selbst auf diese Möglichkeiten seiner Erscheinung (Ex 33,19). Auf mögliche Formen der Gottesbegegnung gilt es nun einzugehen.