Читать книгу Einführung in die Theologie der Offenbarung - Michael Bongardt - Страница 9
2. Gottesgewissheit
ОглавлениеDurchgängig spricht die Bibel von Gott. Zu Beginn bekundet sie ihn als Schöpfer der Welt, an ihrem Ende stellt sie die Vollendung der Welt durch Gott in Aussicht. Zwischen diesen Polen spannt sich nach biblischem Verständnis die Geschichte Gottes mit der Welt und den Menschen. So wechselhaft diese Geschichte auch war und weiterhin sein mag: dass es sie gibt, weil es Gott gibt, steht für alle biblischen Autoren fest.
Entwicklung zum Monotheismus
Die Überzeugung von der Wirklichkeit und Wirksamkeit der Götter teilt Israel mit seiner gesamten Umwelt. So sehr ist das Volk der Bibel eingebunden in die religiösen Vorstellungen und Überzeugungen der benachbarten Völker und Kulturen, dass es Jahrhunderte braucht, bis sich die unverwechselbare Gestalt der biblischen Rede von Gott herausgebildet hat (Knieriem/50: 209 – 213). Dies gilt nicht zuletzt für das spätere Charakteristikum jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens: für den Monotheismus, d. h. die Überzeugung, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Zwar galt für Israel früh das Gebot, nur den einen Gott Israels zu bekennen („Henotheismus“) und nur seinen Gott kultisch zu verehren („Monolatrie“). Doch dieses Gebot setzt nicht notwendig den Monotheismus voraus. Denn es verlangt nicht die Überzeugung, dass es nur einen einzigen Gott gibt, sondern lässt die Möglichkeit offen, dass andere Völker andere Götter haben und verehren.
In diesem Kontext gewinnt die biblische Form der Gottesfrage ihre Bedeutung: Nicht ob Gott ist, sondern wer er ist, bedarf der Klärung. Um sie zu beantworten, wird der Gott Israels mit den Göttern der anderen Völker verglichen und von ihnen unterschieden. Dabei geht es um die Eigenschaften und den Willen des Gottes Israels, vor allem aber um seine Macht. Sie zeigt sich nach dem Verständnis der frühen biblischen Schriften, die auch darin mit ihrer Umwelt einig sind, vor allem im Ausgang politisch-militärischer Konflikte: Der Sieg eines Volkes verweist auf die Macht seines Gottes.
Die Schriftpropheten verlassen den Raum solcher Vorstellungen. Für sie findet die Frage nach Gott ihre einzig angemessene Antwort in der Rede von der Einzigkeit Gottes: Gott ist der Begründer und Herr der Welt, er ist einer und einzig. Anderen Göttern zu trauen heißt, Wahngebilden sich hinzugeben. Die Kritik an den Götzen, an die Menschen innerhalb und außerhalb Israels vergeblich „ihr Herz hängen“ (Luther), stellt fortan ein zentrales Anliegen biblischer Gottesrede dar. Macht, Wahrheit und Herrlichkeit kommen allein dem einzigen Gott zu, der sich Israel als sein Volk erwählt hat und der auch das Schicksal aller anderen Völker bestimmt (Haag/22).
Selbst der scheinbar deutlichste Beleg, der sich für eine atheistische Gottesleugnung in der Bibel findet, muss im Rahmen der Auseinandersetzung um den rechten Gott verstanden werden: „Die Toren sagen in ihrem Herzen: ,Es gibt keinen Gott.’“ (Ps 14,1; par: Ps 10,6; Ps 53,1 – 7; Jes 32,6). Hier wird über Menschen gesprochen, die ruchlos handeln, denen die Gerechtigkeit kein Leitziel ihres Tuns ist. Indem ihnen ihr Verhalten sogar noch Reichtum und irdisches Glück einbringt, spotten sie der Rede von einem Gott, der Gerechtigkeit will und durchsetzt. Sie bestreiten also durch ihr Verhalten die Macht des in Israel verkündeten Gottes – stehen damit aber keineswegs auf dem Boden einer prinzipiellen Leugnung der Existenz Gottes (Preuß/53: I.158).
Theodizee
Wie tief die Gewissheit der biblischen Autoren von der Wirklichkeit Gottes reicht, wie weit sie von der in der europäischen Neuzeit so bedrängenden Frage, ob es Gott gibt, entfernt ist, wird am prägnantesten sichtbar angesichts extremer Not. Die Erfahrung von Leid, für das es nach menschlichen Vorstellungen keine Rechtfertigung mehr gibt, hat nicht nur die so genannte „Theodizee“, die Suche nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids, hervorgetrieben. Das Leiden vor allem wurde zum „Fels des Atheismus“ (Büchner), an dem der Glaube an einen liebenden und allmächtigen Gott zerschellt. Angesichts dieser Erfahrung bezeichnet es Stendhal als „die einzige Entschuldigung Gottes […], daß er nicht existirt“ (zit. nach Nietzsche/391: VI. 286).
Situationen äußerster Not, an den Rand der Verzweiflung treibendes Leiden sind den biblischen Autoren bestens vertraut. Doch die Konsequenz, für die stellvertretend Stendhal zitiert wurde, ist ihnen fremd. Hiob hält trotz seines unsäglichen Leidens an Gott fest. Die Evangelien berichten davon, dass Jesus sogar am Kreuz noch zu Gott gebetet hat – mit Worten des Psalms 22, dem Gebet eines leidenden Gerechten. Und selbst Psalm 88, der dunkelste, weil ohne Hoffnung endende Text der Bibel, ist noch als Klage an Gott gerichtet.