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1. Die ferne Schrift

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historischer Graben

Trotz und wegen seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit ist Vorsicht geboten beim theologischen Rückgriff auf die biblischen Texte1. Selbst von den jüngsten unter ihnen trennen uns etwa neunzehnhundert Jahre. Die ältesten, ihre mündlichen Quellen gar, sind mindestens weitere 700 Jahre älter. In der Zwischenzeit haben sich nicht nur die Lebensbedingungen der Menschen massiv gewandelt. Auch die Fragen nach Sinn und Ziel ihres Lebens, die Fragen nach Welt und Gott haben ihre Form verändert. Antworten, die lange Zeit als überzeugend galten und nicht weiter befragt wurden, haben ihre Plausibilität verloren – andere Antworten finden in vor Zeiten unvorstellbarer Selbstverständlichkeit Gehör und Zustimmung. Mit solchen Differenzen ist zu rechnen, wenn aktuelle Reflexion sich mit Texten biblischen Alters befasst. Es ist zumindest für möglich zu halten, dass heute drängende Fragen für die Autoren der Bibel noch keine Fragen waren – und ihre Texte deshalb darauf keine, zumindest keine direkten Antworten geben. Genauso ist der gegenteilige Fall denkbar: dass damalige Fragen Menschen, die heute leben, nicht mehr umtreiben und deshalb die biblischen Antworten keine, zumindest keine unmittelbar einleuchtende Relevanz mehr haben.

Wer im wissenschaftlichen Blick auf die Bibel nicht mit der Möglichkeit solcher Fremdheit rechnet, steht in der Gefahr, beide – die biblischen Schriften wie die Fragen der Gegenwart – nicht ernst zu nehmen. Ein seinem Kontext entrissener Bibelvers eignet sich nicht dazu, heute gestellte Fragen zu beantworten oder heute gegebene Antworten zu hinterfragen. Genauso wenig können Einsichten, die heute für überzeugend gehalten werden, von der Bibel offen gehaltene Fragen lösen oder dort vertretene Antworten vorschnell für nichtig erklären.

Diese Mahnung zur Vorsicht gilt auch für die nicht wissenschaftliche Lektüre biblischer Texte. Für die, die sich erstmals mit ihnen befassen, wird sie überflüssig sein – ihnen werden die Texte ohnehin fremd genug vorkommen. Umso wichtiger ist sie im Blick auf alle, die die Bibel aus der kirchlichen Verkündigung und Erziehung seit langem kennen. Das durch Gewohnheit geprägte Hören führt allzu oft zum Überhören dessen, was sich der schnellen Aneignung und dem vermeintlichen Verstehen widersetzt.

So fordert bei allen, die sich den alten Texten nähern, deren Fremdheit, die stets wahrscheinlicher ist als ihre fraglose Vertrautheit, die Behutsamkeit eines aufmerksamen Gesprächs, in dem stets neu zu prüfen ist, ob man dem Gegenüber so gerecht wird, wie es nur möglich ist (Kampling/25; Berger/65: 76 – 79).

Wer sich den biblischen Texten zuwendet und dabei die gerade geforderte Aufmerksamkeit aufbringt, wird auf mindestens zwei befremdende Differenzen stoßen.

verlorene Gewissheit

Zum einen: Die Gottesfrage hat sich seit biblischen Zeiten grundstürzend verschoben. In der offenbarungstheologischen Diskussion steht ab einem bestimmten Zeitpunkt die Frage im Zentrum, ob es einen Gott gibt, der sich offenbaren könnte, gar die Frage, ob es Gott überhaupt gibt. Diese Frage stellt die Bibel nicht. Für sie steht außer Frage, dass Gott ist – umso hartnäckiger will sie wissen, wer Gott für die Menschen ist.

fehlender Begriff

Zum anderen: Der Begriff „Offenbarung“, der in der Theologie der letzten zweihundert Jahre zum Zentralbegriff wurde, ist in der Bibel in keiner vergleichbaren Form zu finden.

Beide Fremdheiten sind so bedeutsam, dass sie vor dem Blick auf einzelne biblische Texte, die offenbarungstheologisches Nachdenken anstoßen und orientieren können, genauer betrachtet werden müssen.

Einführung in die Theologie der Offenbarung

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