Читать книгу Einführung in die Theologie der Offenbarung - Michael Bongardt - Страница 15
3. Leitung
Оглавление„Danket dem Herrn, denn seine Huld währt ewig!
[…]
Der die Erstgeburt der Ägypter schlug, denn seine Huld währt ewig,
und Israel hinausführte aus ihrer Mitte, denn seine Huld währt ewig,
mit starker Hand und erhobenem Arm, denn seine Huld währt ewig,
der das Schilfmeer zerschnitt in zwei Teile, denn seine Huld währt ewig,
und Israel hindurchführte zwischen den Wassern, denn seine Huld währt ewig,
und den Pharao ins Meer stürzte samt seinem Heer, denn seine Huld währt ewig.
[…]
Der an uns dachte in unsrer Erniedrigung, denn seine Huld währt ewig,
und uns den Feinden entriss, denn seine Huld währt ewig,
der allen Geschöpfen Nahrung gibt, denn seine Huld währt ewig.
Danket dem Gott des Himmels, denn seine Huld währt ewig.“
(Ps 136,1.10 – 15.23 – 26)
biblische Erzählung
Der Psalm, als Aufruf zum Dank selbst ein litaneiförmiges Dankgebet, erinnert an lange zurückliegende Ereignisse: An die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten und die Inbesitznahme des Landes Kanaan, das fortan die Heimat der zwölf Stämme sein soll. Das dankbare Gebet ist nur eine von vielen Formen, in denen sich die biblischen Texte auf jenes Ereignis beziehen. Ausführlich erzählt wird davon in den Büchern Exodus, Numeri und Deuteronomium. Die so genannten „Geschichtsbücher“ schildern den Aufstieg und Niedergang des israelitischen Königreichs, schon bald in ein Nord- und ein Südreich zerfallen, unter ständigem Rückbezug auf das Geschehen, das diese Geschichte erst möglich machte. Ebenso gehört das Bedenken der Befreiung aus Ägypten zu den Gegenständen der Weisheitsliteratur. Und die Propheten schöpfen aus der Erinnerung an diese Vergangenheit ihre Hoffnung für die Zukunft.
historische Forschung
Die Geschichtswissenschaft kann die Ereignisse, auf die sich die Bibel so vielgestaltig bezieht, nur begrenzt bestätigen. Was sie als wahrscheinlich zu erweisen vermag, klingt verglichen mit den biblischen Berichten unspektakulär. Vermutlich hat eine recht kleine semitische Volksgruppe, die zur Zwangsarbeit herangezogen wurde, im 12. Jahrhundert Ägypten verlassen und in der Folgezeit eine führende Rolle im palästinischen Bergland errungen, in dem sich verschiedene semitische Stämme politisch zusammenschlossen. Der Einflussbereich Davids und Salomos dürfte weit kleiner gewesen sein, als es die biblischen Berichte darstellen. Die gegenüber den umliegenden Großmächten selbst zu ihrer Blütezeit sehr kleinen Königreiche Israel und Juda haben bereits im 6. Jahrhundert ihre politische Selbstständigkeit wieder und für immer verloren.
Theologisch bedeutsam aber ist nicht, inwieweit sich die Selbstwahrnehmung eines Volkes mit den Urteilen eines historisch und regional ausgreifenderen Blicks vereinbaren lässt. Entscheidend ist, ob und wie die eigene Geschichte als Geschichte eines Volkes mit seinem Gott, als Geschichte Gottes mit seinem Volk verstanden wird. Darauf gibt der oben stehende Psalmtext bereits wichtige Antworten, die durch andere Texte noch zu ergänzen sind.
Herr der Geschichte
Der auffälligste Aspekt des Psalms: Gott ist der allein Handelnde (Schreiner/59: 96 – 98; Zenger/61: 126). Er bewirkt die Teilung des Schilfmeers, die zur Rettung Israels und zur Vernichtung der ägyptischen Verfolger führt; er leitet das Volk durch die Wüste; er schlägt die gegnerischen Könige; er gibt das Land seinem Volk zu eigen. Was geschieht, lässt Gott geschehen. Die irdische Geschichte verdankt sich – offenbar ausschließlich! – seinem Handeln. So selbstverständlich ist den biblischen Autoren diese Auffassung, dass die Frage, wie sich menschliches Entscheiden und Handeln mit einem möglichen Handeln Gottes vereinbaren lässt, nicht einmal gestellt, geschweige denn ausdrücklich bedacht wird. Auch hier will die Fremdheit der alten Texte anerkannt sein.
der rettende Gott
Alles kommt dem Psalmtext darauf an, das Handeln Gottes als Ausdruck seiner Huld, seiner Güte darzustellen. Gott erweist sich in seinem Handeln als der, der Israel befreit, begleitet und ihm Zukunft eröffnet. Damit bestätigt sich der im vorangegangenen Abschnitt herausgestellte Zusammenhang: Gott erweist sich als Jahwe, indem er Israel rettet (Preuß/54: 125). Gott als Gott zu erkennen und anzuerkennen ist die angemessene und von Gott angezielte Reaktion der Menschen auf sein Handeln. Nach Ausweis des Buches Exodus ist diese Erkenntnis keineswegs an den Glauben Israels, an eine bestimmte Deutung des Geschehens gebunden. Das Geschehen ist vielmehr von einer Eindeutigkeit, die die Erkenntnis Gottes selbst bei den Feinden Israels erzwingt: Der Herr „hemmte die Räder an ihren Wagen und ließ sie nur schwer vorankommen. Da sagte der Ägypter: Ich muss vor Israel fliehen; denn Jahwe kämpft auf ihrer Seite gegen die Ägypter“ (Ex 14,25).
Tun-Ergehen-Zusammenhang
Dieses Geschehen muss erinnert werden, weil in ihm erkennbar wurde, wer Gott ist. Solche Erinnerung ist vor allem dann unverzichtbar, wenn die aktuelle Situation den rettenden Gott nicht erkennen lässt. Die persönliche Not, die militärische Niederlage, die politische Erniedrigung Israels scheinen dem Bekenntnis zur Macht und Huld Gottes oft Hohn zu sprechen. Sie müssen, soll die Überzeugung von Gottes Heilswillen für Israel nicht zerbrechen, mit dieser in Einklang gebracht werden. Dies gelingt, indem die Erfahrung von Unheil als von Gott gewollte und herbeigeführte Konsequenz individueller oder vom ganzen Volk zu verantwortender Schuld verstanden wird. Das Unheil ist Strafe und zugleich Anstoß zur Umkehr. Die Psalmen, vor allem aber die Geschichtswerke der Bibel, deuten nach diesem Schema des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs“ Vergangenheit wie Gegenwart. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass auch in Notsituationen Gott die Geschichte lenkt, dass auch das von ihm heraufgeführte Unheil seiner Huld entspricht. An diese Huld appellieren die Beter der Psalmen, wenn sie sich als schuldig und ihr Unglück als gerecht anerkennen: Sie hoffen auf die Vergebungsbereitschaft Gottes, die zu neuem Glück führen kann (Ps 51). So zentral und verbreitet dieses Verständnis von Gottes Lohn und Strafe für menschliches Tun in der Bibel auch ist, so finden sich gelegentlich bereits in den biblischen Schriften kritische Anfragen an dieses Verstehensmodell (vgl. Koh 8,5 – 9,6; Joh 9,1 – 3). Diese Kritik wird aber erst in der neuzeitlichen Theodizee-Diskussion Gewicht erhalten.
jüdische Erinnerung
Wie wichtig für die jüdische Tradition bis heute die Überzeugung von Gottes geschichtsmächtigem Handeln ist, zeigt sich vor allem in der zentralen Bedeutung der jährlichen Feste, die an die Befreiung aus Ägypten erinnern: Das Pessach-Fest als Vergegenwärtigung der Nacht des Auszugs, das Sukkoth-Fest als Vergegenwärtigung der Fürsorge Gottes für das durch die Wüste ziehende Volk. Jüdische Denker sehen allein in der Tatsache, dass es das jüdische Volk bis heute gibt, einen so überzeugenden Verweis auf das Handeln Gottes, dass sie vom Glauben daran trotz aller Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, die jeden Glauben unmöglich zu machen scheinen, nicht lassen wollen.
christliche Geschichtstheologie
Die christliche Theologie hat in den letzten hundert Jahren bei ihrer Beschäftigung mit dem Alten Testament die Bedeutung der Geschichte für den Glauben neu entdeckt. Mit der Herausstellung einer „heilsgeschichtlichen Theologie“ findet sie – in Gegenbewegung zu rein historischen wie zu allein spekulativen Entwürfen, die das 19. Jahrhundert bestimmten – zu einem Grundzug biblischer und auch jüdischer Theologie zurück (von Rad/34). Der Glaube wird wieder stärker rückgebunden an die konkreten Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart. Doch in ihrer entfalteten Form ist diese Theologie mit zwei Problemen behaftet: Zum einen steht sie in der Gefahr, die im Alten Testament bezeugte Geschichte Gottes mit seinem Volk als Vorgeschichte des Christentums und der Kirche zu lesen (so Krinetzki/28: 367 – 371). Wenn und weil man diese im Christusereignis an ihr Ziel und Ende gekommen sieht, droht nicht nur das Alte Testament, sondern vor allem das weiterhin lebendige Judentum als überholt, gar als unberechtigt zu erscheinen. Zum anderen wird eine so ausschließliche Sicht der Geschichte als Ort der Gottesbegegnung nicht der Vielfalt gerecht, in der das Alte Testament sowie die jüdische Tradition davon sprechen, dass Gott sich den Menschen zu erkennen gibt (Fohrer/48: 43). Sie gilt es im Folgenden näher zu betrachten.