Читать книгу Einführung in die Theologie der Offenbarung - Michael Bongardt - Страница 20
1. Christus allein
ОглавлениеBeim Vergleich zwischen dem Alten und dem Neuen Testament fällt unter offenbarungstheologischer Hinsicht ein Unterschied sofort ins Auge: Das Alte Testament, in einem um Jahrhunderte größeren Zeitraum als das Neue entstanden, verweist auf eine Fülle von Ereignissen, Erfahrungen und Texten, wenn es davon spricht, dass Gott sich zu erkennen gibt. Diesem Verweis auf die Vielfalt steht im Neuen Testament die Konzentration auf nur eine Person, auf die mit ihrem Leben verbundenen Ereignisse entgegen. Nahezu ausschließlich befassen sich die Autoren des Neuen Testaments mit Jesus von Nazareth. Wo immer sie anderes in den Blick nehmen – etwa die frühchristliche Gemeindewirklichkeit – sehen sie diese im Licht dessen, was sie an Jesus erkannt haben, von ihm glauben.
Nicht nur darin, dass sie in dieser Ausschließlichkeit von ihm sprechen, sind sich die Autoren des Neuen Testaments einig. Auch in den wesentlichen Aussagen, die sie über ihn treffen, bestehen weit reichende Gemeinsamkeiten (Hübner/72: I.173). Sie seien eingangs benannt.
Jesu Handeln – Gottes Handeln
Überzeugt sind alle Autoren des Neuen Testaments davon, dass durch und an Jesus von Nazareth Gott gehandelt hat. In den Worten Jesu wendet sich Gott selbst an die Menschen und spricht zu ihnen. In den Taten Jesu ist die Kraft Gottes am Werk, ohne die sie nicht möglich wären. Wo diese Kraft endgültig gebrochen scheint, in der Ermordung Jesu, erweist sie sich als unüberwindbar mächtig. Denn in der Auferweckung Jesu zeigt sich Gott als Herr selbst über den Tod (Hahn/70: 161 – 163).
Ereigniszusammenhang
Auf Leben, Tod und Auferweckung Jesu nehmen die neutestamentlichen Schriften in sehr unterschiedlicher Gewichtung Bezug. In einigen wird von Leben und Wirken Jesu ausführlich berichtet, in anderen stehen allein Tod und Auferweckung im Zentrum des Interesses. Diese unterschiedlichen Akzentuierungen aber gründen auf der gemeinsamen Überzeugung, dass Jesus von Nazareth nur richtig verstanden werden kann, wenn alles, was durch ihn und an ihm geschah, als Ereigniszusammenhang wahrgenommen wird.
„Christus“ – „Messias“
Bedeutsam ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments Jesus als der „Christus“. Diese bald zum Namen „Jesus Christus“ zusammengewachsene griechische Bezeichnung übersetzt den hebräischen Titel „Messias“ („Gesalbter“). Ihn verwendet das Alte Testament vorrangig als Ehrenbezeichnung für Könige und Propheten, die durch eine Salbung im Namen Gottes für ihre Aufgabe befähigt und legitimiert werden. In der Spätzeit des Alten Testaments und im Frühjudentum wird „Messias“ zum Namen des erhofften Retters: von Gott eingesetzt, soll er dem unter Fremdherrschaft leidenden Israel das endgültige Heil bringen, das in einigen Traditionen auch als Ende der Zeit vorgestellt wird (Lohse/32: 137 – 144). Auf diese Hoffnung greifen die ersten Christinnen und Christen zurück, um zum Ausdruck zu bringen, als wen sie Jesus von Nazareth erfahren haben und glauben. Gerade weil sie ausgesprochen offen und vielgestaltig war, konnte und musste die frühjüdische Messiashoffnung konkretisiert werden. Ihre nähere Bestimmung ergibt sich für die frühe Kirche aus dem Leben und Schicksal Jesu, von dem her für sie offenbar wird, welche Gestalt der von Gott gesandte Messias hat: Er ist der von Gott Gesalbte, der im Namen und in der Kraft Gottes endgültig das Heil bringt – und der zugleich von Menschen verachtet und als Verbrecher hingerichtet wird (Hahn/70: 157). Nicht zu trennen von diesem Heil bringenden Geschehen ist für sie das Gericht. Im Gericht – wie immer sein Verlauf und sein Ausgang auch vorgestellt werden mögen – kommt es zur Aufdeckung dessen, was gut und was böse ist, sowie zur Überwindung des Bösen.
Gegenwart des Erhöhten
Nach seinem Tod lebt Jesus nicht mehr als Mensch unter Menschen. Die Bibel berichtet, dass er sich nach seinem Tod den Jüngern mehrfach als Auferweckter gezeigt hat. Diese Zeit der als leibhaft geschilderten Erscheinungen aber ging nach dem Zeugnis der neutestamentlichen Schriften zu Ende. Sie sprechen von der „Erhöhung“ Jesu (Phil 2,9) oder, in einem anderen Bild, von seiner „Aufnahme in den Himmel“ (Lk 24,51). Nichtsdestotrotz werden die jungen Gemeinden durch eine Vielzahl von Erlebnissen in ihrer Überzeugung gestärkt, dass Christus in anderer Weise bei ihnen gegenwärtig bleibt. Wo diese Gegenwart näher bedacht wird, wird sie als eine Gegenwart im Geist Gottes bestimmt.
Mission
Die jungen Gemeinden wissen sich verpflichtet, das von ihnen erlebte Geschehen und ihren darauf gründenden Glauben zu verkünden. So suchen sie andere zum Glauben an Christus zu bewegen. Der Grund für diese von Beginn an zu beobachtende missionarische Tätigkeit ist die Gewissheit, dass Gottes Handeln in und an Jesus von Nazareth nicht nur für Israel, sondern für alle Menschen und für alle Zeiten bedeutsam ist. Denn im Glauben an Jesus Christus, so die Überzeugung des Neuen Testaments, finden die Menschen aller Völker das Heil, das Gott seinem Volk Israel eröffnet hat, indem er es erwählte.
Parusie
Schließlich rechnen die meisten Schriften des Neuen Testaments mit einer nah bevorstehenden Wiederkunft Christi (griech.: „parousia“). Wenn er vom Himmel als Richter wiederkommt, so ihre Hoffnung, wird er die von Unheil geprägte Weltzeit beenden und das Heil, das durch sein erstes Kommen bereits gegenwärtig wurde, vollenden. Diese Zukunft wird in anschaulichen Bildern ausgemalt (Lk 14,15 – 24 par; Röm 8,18 – 30; Offb 21, 9 – 22,5). Doch anders als in der apokalyptischen Literatur jener Zeit finden sich kaum Versuche, den Zeitpunkt und die genaue Form dieses Endes vorherzusagen.
Die Fragen, die das Ausbleiben der baldigen Wiederkunft weckte, finden ihren Niederschlag darin, dass man eine schriftliche Überlieferung des Geschehenen überhaupt für nötig hielt. In den jüngsten Schriften werden bereits die Antworten vorbereitet, mit denen die Kirche dann über die Jahrhunderte hin die Vollendungshoffnung wach halten konnte, ohne dass es zu deren unmittelbarer Erfüllung gekommen wäre (Schnackenburg/82: 327 – 347).
Der Versuch, die neutestamentlichen Zeugnisse von Jesus Christus in wenigen Sätzen zusammenzufassen und ihre gemeinsamen Grundüberzeugungen zu benennen, entfernt sich zwangsläufig bereits von der Bibel. Denn er setzt eine gewisse Distanz zu den in Gattung, Anliegen, Sprache und Hintergründen sehr unterschiedlichen Schriften voraus. Deshalb soll nun ein genauerer Blick auf die drei größten Textgruppen des Neuen Testaments folgen. So mag sichtbar werden, wie einzelne Autoren das Ereignis, auf das sich alle beziehen, auf je eigene Weise deuten. Leitend ist dabei die Frage, ob und wie sie davon sprechen, dass Gott sich in und an Jesus zu erkennen gibt bzw. „offenbart“. Gerade in seiner Vielstimmigkeit gibt das Neue Testament dem offenbarungstheologischen Nachdenken zahlreiche Anknüpfungspunkte.
historischer Jesus
Bevor jedoch die Bibel in Richtung auf ihre spätere theologische Rezeption gelesen wird, gilt es in gebotener Kürze das Problem zu bedenken, das sich in genau umgekehrter Richtung stellt: Inwiefern, so ist zu fragen, haben die neutestamentlichen Zeugnisse über Jesus überhaupt einen Anhalt an dessen Person, an dem Bild und Bewusstsein, das er von sich selbst hatte? Die Debatte über den „historischen Jesus“ wird seit langem heftig und kontrovers geführt. Sie förderte vor allem zwei Probleme zutage (Schweitzer/40; Stuhlmacher/88: I,40 – 50; Theißen/43).
Erstens bleibt es historisch unmöglich, die Taten und Worte, vor allem aber das „Selbstbewusstsein“ Jesu exakt zu rekonstruieren. Die Quellenlage erlaubt allenfalls Wahrscheinlichkeitsurteile, oft nicht einmal diese. Immerhin zwingt sie zu der Einsicht, dass Jesus sicher nicht so von sich gesprochen hat, wie das Neue Testament und erst recht die spätere Dogmatik von ihm sprechen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er sich – entgegen dem Zeugnis der neutestamentlichen Autoren – nicht selbst als Messias bezeichnet, mit Sicherheit – anders als die altkirchlichen Konzilien – nicht als zweite Person des dreieinigen Gottes.
Damit ist das zweite, das hermeneutisch-theologische Problem erreicht, das bereits im Zusammenhang der alttestamentlichen Schriften angesprochen wurde, sich nun aber verschärft. Es bricht auf angesichts der Beziehung zwischen dem faktisch Geschehenen und dessen vom Glauben geleiteter Deutung. Wird die biblische Rede von einem Handeln Gottes als falsch erwiesen, wenn gezeigt werden kann, dass der Auszug aus Ägypten nicht in der im Buch Exodus überlieferten Form stattfand? Ist es falsch, von Jesus als dem Christus zu sprechen, wenn er sich selbst nie so genannt hat? Kann historische Forschung Glaubensinhalte widerlegen?
Diese Fragen müssen an späterer Stelle ausführlich bedacht werden (B.II). Hier aber geht es zunächst allein darum, das Zeugnis darzustellen, das die Autoren des Neuen Testaments von Jesus von Nazareth geben; das also Menschen geben, die die Ereignisse seines Lebens als göttliche Offenbarung glauben und es überliefern, damit auch andere glauben.