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Die langsame Reifung der frontalen Bereiche
ОглавлениеDie orbitofrontalen, präfrontalen und cingulären Bereiche des Gehirns reifen langsamer als andere Areale, sodass die Exekutivfunktionen (vgl. Seite 14) aufgrund des verzögerten Reifungsprozesses während der Kindheit und Jugendphase nicht immer oder nur abgeschwächt zur Verfügung stehen.
Diese Tatsache ist aber nicht nur negativ zu werten, sie birgt auch Chancen. Für Eltern und Lehrpersonen bedeutet sie nämlich, dass die Reifungsprozesse über lange Jahre durch sinnvolle pädagogische Stimulation moduliert werden können. Es hängt entscheidend davon ab, welche sozialen Netzwerke während der Kindheit und Jugend bis ins junge Erwachsenenalter stimuliert und genutzt werden und welche nicht. Die wichtigste Grundlage des Modulierungsprozesses ist nach Jäncke (2009) die Nutzung der jeweiligen neuronalen Strukturen, da diese nur bei stetem Gebrauch etabliert und aufgebaut werden, während die nicht gebrauchten, wie wir schon sahen, eliminiert werden.
Weil sich die Erziehungsarbeit aus einer Kette unendlich vieler Lerngelegenheiten zusammensetzt, könnte Erziehung – etwas überzeichnet – als »dasselbe vom immer Gleichen« bezeichnet werden. Erziehungs- und Ausbildungsbeauftragte benötigen oftmals viel Geduld und Durchhaltevermögen, damit sie konsequent am Ball bleiben und sich nicht von der scheinbaren Wirkungslosigkeit ihrer Arbeit beirren lassen. Denn das Gehirn, besonders dasjenige des Jugendlichen, braucht viele Trainingschancen, um erwünschte und entwicklungsförderliche Funktionen aufbauen zu können.
Aus vielen Verhaltensuntersuchungen geht hervor, dass die Reifungsprozesse der Persönlichkeit mit denjenigen der frontalen Regionen parallel verlaufen. Aufmerksamkeit, Selbstkontrolle, Emotionskontrolle, das Arbeitsgedächtnis, Planen und Organisieren, Fehlerverarbeitung und komplexe motorische Kontrollprozesse können sich erst mit der Reifung dieser Hirnstrukturen entwickeln. Dabei lassen sich aber auch individuelle Unterschiede im Entwicklungsprozess feststellen. Wenn bestimmte Entwicklungsprozesse nicht vollständig durchlaufen werden, sind die nächstfolgenden Entwicklungsschritte unter Umständen auch hirnphysiologisch betroffen. So ist die Entwicklung stark suchtmittelabhängiger Jugendlicher, die sehr früh mit ihrem Drogenkonsum begonnen haben, bis ins Erwachsenenalter hinein verzögert, und Defizite in der Hirnreifung können kaum mehr kompensiert werden.
In Abbildung 1-11 sind die hemmenden, kontrollierenden und steuernden Regionen des präfrontalen sowie des orbitofrontalen Cortex dargestellt.