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Das »frontale Phänomen« im Überblick
ОглавлениеWährend der Adoleszenz finden im Gehirn dramatische Entwicklungsprozesse statt. Betroffen sind vor allem die Regionen im Frontalhirn, die es uns ermöglichen, zielgerichtet zu handeln. Viele Autoren sprechen pauschal vom Frontalhirn, meinen aber alle Regionen, die für die modulierenden (hemmenden und lenkenden) Prozesse zuständig sind. Das sind, neben andern frontalen und cingulären Hirnarealen, der präfrontale und der orbitale Cortex (vgl. Abbildung 16 ). Wenn im Folgenden einfachheitshalber vom Frontalhirn gesprochen wird, dann sind besonders diese Areale gemeint.
Damit zielgerichtetes Handeln überhaupt möglich ist, müssen verschiedene alternative Handlungsoptionen differenziert und Strebungen unterdrückt werden; gewisse Wünsche und Bedürfnisse bleiben unbefriedigt. Manchmal gilt es, zielgerichtet zu handeln, unabhängig von der Motivationslage, von der Umgebung oder gar von Schmerzen. Hier hat das Frontalhirn eine wesentliche Funktion, und zwar, indem reflexhaftes oder triebhaftes Verhalten gehemmt oder moduliert wird:
»Mein Frontalhirn sorgt dafür, dass ich nicht immer gerade das tue, was ich von meinen körperlichen Bedürfnissen her jetzt und hier unmittelbar eigentlich am liebsten tun würde. Ich kann die Zeit zwischen Input und Output überbrücken, etwas einschieben oder aufschieben, mich also von der Umittelbarkeit des Augenblicks in meinen Handlungen lösen. Mein Frontalhirn sorgt dafür, dass mein Handeln nicht nur von der unmittelbaren Umgebung geleitet wird, also beispielsweise von dem Duft guten Essens, sondern zusätzlich von wichtigen Rahmenbedingungen meines Lebens. Im Frontallappen ist der, wie man heute allgemein gern sagt,Kontext meines Handelns repräsentiert. Dieser Kontext ist ganz konkret diejenige hierarchisch geordnete Struktur von Fakten, Zielen, Gefühlen und Rahmenbedingungen, die mein Handeln leiten. Ein wichtiger Teil dieses Kontextes sind die Mitmenschen und meine Einschätzung von deren Gedanken, Zielen und Bedürfnissen. Wie wir gesehen haben, ist ein wesentlicher Motor kooperativen Verhaltens das Einplanen der Gefühle und Handlungen. Daher ist das Frontalhirn wesentlich für funktionierendes Sozialverhalten und das Sich-in-andere-hinein-Versetzen, die Empathie« (Spitzer 2002, S. 331).