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Die Patientenrolle
Оглавление»Patienten-« bzw. »Krankenrolle» ist ein medizinsoziologischer Begriff. Er beschreibt die psychosozialen Vorgaben, die sich für Betroffene aus einem Krankheitsgeschehen ergeben. Danach ist ein Kranker vorübergehend von seinen normalen sozialen Verpflichtungen befreit. Er wird weitgehend von der Verantwortung für sein Kranksein entbunden und hat dafür die Verpflichtung, alles zu tun, um gesund zu werden, d. h. speziell, mit dem Behandler zu kooperieren.
Seine Bereitschaft, sich an die Anweisungen des Arztes oder Psychologen zu halten und mit ihm zu kooperieren, wird als Compliance bezeichnet. Sie ist ein Ausdruck des Umgangs mit der Krankheit, also des Krankheits- und Bewältigungsverhaltens. Sie ist aber auch ein Ausdruck der Beziehung zum Behandler. Non-Compliance ist meistens ein Zeichen für eine Störung der therapeutischen Beziehung.
Der Kranke genießt einen besonderen Genesungsschutz, z. B. durch die Krankschreibung und die Übernahme der Krankheitskosten durch das Sozialsystem. Die Vorteile, die mit dem Kranksein verbunden sind, z. B. Schonung, Versorgung und Trost, werden als Krankheitsgewinn bezeichnet. Er ist notwendig, um im Schutze der sozialen Entlastungen und Gratifikationen die Genesung zu fördern. Er kann aber auch dazu führen, dass der Kranke unbewusst an seiner Erkrankung festhält, um die Sicherheit, welche die Krankenrolle gewährt, nicht zu verlieren.
Die Anpassung an eine chronische Krankheit wird von der Medizinsoziologie als Patientenkarriere24 beschrieben. Damit ist das Krankheitsgeschehen als psychosozialer Prozess gemeint. Er führt zu einer Veränderung des Selbstbildes und des Lebens des Kranken, der in einen ständig enger werdenden Bezug zum medizinischen Versorgungssystem tritt. Mit einer medizinischen Diagnose wird dem Patienten eine bestimmte Rolle, also ein durch Normen geregeltes Verhalten vorgegeben, in das er im Verlaufe seiner Patientenkarriere hineinwächst. Das gilt für somatische, psychische und psychosomatische Krankheiten in gleicher Weise.