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Beispiel 1: Der Strafvollzug

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Beim Strafvollzug, dem Entzug der Freiheit, handelt es sich zweifellos um die stärkste staatliche Sanktion. Menschen werden in Haft genommen, weil sie verurteilt worden sind, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Mit dem Vollzug der Strafe sollen sie nicht nur gebessert werden, sondern auch ihre Schuld büßen. Strafe ist daher eine staatliche Übelzufügung ( Kap. 4.5). Ihre Schärfe zeigt sich bereits bei den Umständen des Eintritts in die Organisation Strafvollzug. Zum Strafvollzug verurteilte Personen bekommen in der Regel eine Ladung zum Strafantritt und werden gezwungen, sich innerhalb einer Woche selbstständig an den Toren der Haftanstalt einzufinden, soweit sie nicht aus der Untersuchungshaft heraus verurteilt worden sind oder sich in der Haftanstalt befunden oder direkt dorthin überführt wurden. Dann werden sie in der Kleiderkammer der Haftanstalt alle persönlichen Gegenstände abgeben, die sie erst nach Haftverbüßung wieder ausgehändigt bekommen. Sie erhalten einheitliche Anstaltskleidung. Zuvor werden sie körperlich untersucht, ob sie verbotene Dinge in die Strafanstalt bringen. Sie werden sich dazu vollständig entkleiden müssen.

Zu allen diesen Handlungen werden sie durch Befehle gezwungen. Ihre Wahlmöglichkeiten sind dabei durchgehend auf null reduziert. Sie unterliegen bei all diesen Schritten einem engen Zwang. Dieser ist strukturell bedingt, äußert sich jedoch in konkreten Interaktionen, wie das bei fast allen Zwangssituationen der Fall ist, denn Strukturen müssen nun einmal von Menschen umgesetzt werden. Ohne Interaktionen haben Strukturen keinen Bestand und verdämmern. So ist der Entzug der Freiheit selbst das entscheidende Strukturmerkmal der Organisation Strafvollzug – ihr gesellschaftlich erwünschter Zweck. Dieser ist materiell durch Mauern und geschlossene Türen vermittelt und nicht – wie bspw. die Durchsuchung – an eine einzelne Interaktion gebunden. Doch folgt diese Durchsuchungshandlung aus dieser Struktur, sie ist insofern folgerichtig. So wäre es bspw. organisationsfremd und nicht folgerichtig, wenn Lehrende Studierende vor der mündlichen Prüfung körperlich durchsuchten. Deshalb kann der Entzug der Freiheit als ein enger Zwang gefasst werden, da die Inhaftierten gegen ihren Willen dazu gezwungen sind, etwas Bestimmtes zu unterlassen: nämlich sich frei in der Gesellschaft zu bewegen. Dieser enge Zwang dominiert den Strafvollzug absolut, weil er alle Lebensäußerungen der Inhaftierten bestimmt – daher der bekannte Begriff »Totale Institution« (Goffman 1973). Auf diese Unterscheidung kommen wir bei den unterschiedlichen Formen des Zwangs ( Kap. 2.4) zurück.

Zwang in der Sozialen Arbeit

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