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Kapitel 9
ОглавлениеEs war einer der Steine.
Naukoda konnte es ganz deutlich fühlen. Einer jener Steine, welche ihresgleichen schon seit langer Zeit riefen, wenn der alte Feind auftauchte. Naukoda zog unbewusst die Lefzen hoch und entblößte ihre Fänge. Es war schon lange her, dass ein Stein sie oder einen der anderen gerufen hatte. Einer der Gefährten war in Gefahr. Keiner der gewöhnlichen Wölfe. Nein, einer jener, welche wie sie schon seit unzähligen Generationen gegen den Feind kämpfte. Es gab nicht mehr viele von ihnen. Die Zahl von Naukodas Gefährten und Gefährtinnen hatte immer weiter abgenommen und der Feind war immer stärker und stärker geworden, denn er hatte inzwischen einen ahnungslosen Verbündeten, den Menschen.
Naukoda wusste, dass sie den Ruf nicht ignorieren konnte. Ihre Sinne tasteten ihr voraus, während sie durch den Wald lief, bis sie sich sicher war, aus welcher Richtung der Ruf kam. Sie lief im Kräfte sparenden Trab ihrer Art, ignorierte den Hunger, den sie verspürte. Erst musste sie den Stein erreichen und erfahren, welche Botschaft er ihr übermittelte.
Sie hatte Glück, denn er war nur einen halben Tageslauf entfernt und sie erreichte ihn, noch bevor sich die Dämmerung senkte. Als sie die drei aufragenden Zacken des Steins vor sich sah, witterte sie vorsichtig, doch kein Feind war in der Nähe. Langsam trabte sie näher. Der Stein war alt, mit Moos bewachsen und doch noch voller Kraft.
Naukoda legte ihre Schnauze auf die Steinscheibe inmitten des Gebildes. Wärme durchflutete sie. Bilder, Gerüche und Gefühle durchströmten ihren Leib. So intensiv und mächtig, dass Naukoda für einen Moment die Besinnung verlor. Als sie zu sich kam wusste sie, dass ihr eine lange Wanderung bevorstand. Der alte Feind war stark und der bedrohte Gefährte würde ihm nicht widerstehen können, wenn Naukoda ihm nicht zu Hilfe eilte. Doch zuvor musste sie jenes Ding loswerden, das man ihr um den Hals gelegt hatte.
Ihr Leib krümmte sich und begann sich zu verformen. Aus den Pfoten wuchsen Krallen hervor, verwandelten sich erneut und wurden zu feingliedrigen Fingern. Naukoda betastete den Ring, den man ihr angelegt hatte und fand seine Verriegelung. Mit einem leisen Schnappen löste sich der Gegenstand und Naukoda ließ ihn achtlos fallen.
Dann machte sie sich auf den langen Weg, dem Feind entgegen.
Einige Kilometer entfernt und etliche Stunden später, starrte Wazlav nachdenklich auf seinen Monitor. „Irgendetwas stimmt nicht, Andrej.“
Der Jäger lag mit verschränkten Armen auf seinem Bett und blickte gelangweilt herüber. „Und was stimmt nicht?“
„Das Signal von PL-925W verändert sich nicht.“
„Vielleicht schläft die Wölfin.“
„Nicht so lange, mein Freund.“
„Du machst dir Sorgen um sie?“
„Vielleicht ist sie verletzt oder krank.“
Andrej seufzte leise und schwang die Beine vom Bett. „Von mir aus. Sehen wir nach ihr.“
Wazlav nahm den tragbaren Empfänger mit und achtete auf das Signal des Senderhalsbandes. Doch es veränderte sich nicht und so fiel es den Männern leicht, die Stelle zu erreichen, an denen es lag.
Der Forscher drehte das Halsband ratlos in den Händen. „Sieh dir das an, Andrej. Der Verschluss wurde fachgerecht geöffnet. Du weißt, das ist nicht einfach. Jemand hat der Wölfin das Halsband abgenommen.“
„Vielleicht hat sie es abgestreift?“
„Nein, Andrej, das hätte sie nicht gekonnt.“
Andrej schob das Betäubungsgewehr neben seine tödliche Waffe und schnäuzte sich. „Vielleicht hat sie ein Jäger erlegt. Du weißt, Wolfsfelle sind noch immer sehr begehrt. Trotz des Verbotes, Freund Wazlav. Der Wilderer könnte den Sender abgemacht haben.“
„Hier ist kein Blut.“
„Nun, jedenfalls ist deine PL-925W weg.“ Andrej zuckte die Schultern. „Du wirst dich nach einer anderen Wölfin umsehen müssen, die du beobachten kannst.“
„Schade, sie war ein sehr schönes Exemplar.“ Wazlav steckte das Halsband mit dem Sender ein. „Ich hoffe nur, ihr ist nichts passiert.“
„Wird es schon nicht“, versuchte Andrej ihn zu trösten. „Glaub mir, diese PL-925W wird ihren Weg schon finden. Die ist ganz besonders zäh.“