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Kapitel 5

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Ondra war ein winziges Nest in der Nähe der polnischen Stadt Walbrzych. Es war nur wenige Kilometer von der Grenze zur tschechischen Republik entfernt und die Zivilisation schien den Ort, wenigstens auf den ersten Blick, erfolgreich umgangen zu haben. Die Häuser waren einfach, die beiden Straßen nicht einmal asphaltiert und im Winter war Ondra regelmäßig eingeschneit und abgeschnitten. Die Bewohner hatten sich daran gewöhnt und waren darauf eingerichtet. Ihre Wintervorräte ergänzten sie immer wieder durch die Jagd.

Auf den zweiten Blick erkannte man Antennen und Satellitenschüsseln sowie den Sendemast für ein Mobilfunknetz. Letzterer war erst vor kurzem erreichtet worden. Der Grund hierfür war nicht in den Bedürfnissen der Bewohner Ondras zu sehen, sondern in einer kleinen Hütte, die noch ein Stück außerhalb des Ortes lag.

Diese Hütte war aus massiven Stämmen errichtet worden und verriet sofort, dass sie das Heim eines Jägers war. Ihr Besitzer, Andrej, hatte lange Zeit von der Jagd gelebt, doch inzwischen tauschte er seine tödliche Flinte meist gegen ein Betäubungsgewehr. Vor wenigen Minuten hatte Andrej den Abzug dieser Waffe betätigt und nun folgten er und sein Freund Wazlav den Spuren des getroffenen Tieres.

„Das ist ein besonders starkes Exemplar“, sinnierte Andrej. „Bei einem durchschnittlichen Wolf hätte das Betäubungsmittel längst gewirkt.“

Wazlav nickte. „Das kommt mir auch so vor. Ein besonders großes und sehr starkes Weibchen. Ich hoffe nur, sie findet einen passenden Rüden. Wäre schön, wenn wir hier noch ein Rudel bekämen.“

Andrej grinste. „Die Leute im Dorf würde das nicht besonders glücklich machen. Die fürchten um ihre Schafe. Früher bin ich gelegentlich los und habe einen Wolf jagen müssen. Na ja“, er zuckte die Schultern, „das ist jetzt vorbei.“ Er schlug leicht gegen das Betäubungsgewehr. „Das Jagdgefühl ist nicht mehr ganz so wie früher, du verstehst?“

„Sei nicht so blutgierig. Wölfe sind nicht die Bestien, als die man sie immer hinstellt. Mir ist ein gerissenes Schaf lieber, als ein toter Wolf.“

Andrej lachte auf. „Ja, das weiß ich.“ Er zuckte mit der Schulter, über der das andere Gewehr hing. „Trotzdem habe ich meine Jana dabei. Nur für den Fall…“

Andrej hatte noch immer das Blut eines Jägers in sich. Wazlav hingegen war Mitarbeiter des Säugetier-Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Ihm lagen der Schutz und die Ansiedlung der Wölfe am Herzen. Das ganze Jahr über wurden Trittsiegel, gerissene Beutetiere und Sichtbeobachtungen registriert, um die Reviere und Ruheplätze von Einzeltieren oder Rudeln zu bestimmen. Seitdem die seltenen Tiere streng geschützt waren, hatte sich ihre Population in Polen wieder auf fast Achthundert erhöht. Wazlav war froh, dass es endlich auch einzelne Rudel im westlichen Teil Polens gab. Zwar hatte es schon des Öfteren Einzeltiere gegeben, die über Polen nach Tschechien und bis nach Deutschland gewandert waren, doch die wenigsten Tiere hatten sich im Westen Polens angesiedelt. Wazlav hoffte wirklich, dass die Wölfin, der sie nun nachstellten, hier ein neues Rudel gründen würde.

„Da vorne“, raunte Andrej. Instinktiv wollte er nach seiner tödlichen Waffe greifen, doch Wazlav legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Der Jäger stieß einen leisen Seufzer aus. „Wir müssen vorsichtig sein. Falls das Mittel nicht richtig gewirkt hat, kann sie noch übel zuschnappen.“

„Es hat gewirkt“, meinte Wazlav beruhigend. „Sie hat noch versucht, sich dort in die Büsche zu schleppen, ist aber davor zusammengebrochen. Beeilen wir uns, damit alles erledigt ist, bevor sie wieder zu sich kommt.“

Sie traten zu der am Boden liegenden Wölfin.

„Ein sehr schönes Exemplar“, meinte Andrej. „Sehr groß, sehr stark und ein tadelloses Fell.“

„Das du jedenfalls nicht zu einem Pelz verarbeiten wirst“, sagte Wazlav mit einem gutmütigen Lächeln. „Komm, hilf mir, dann geht es schneller.“

Die Wölfin war ein außergewöhnlich großes Exemplar. Ein durchschnittlicher Wolf brachte um die fünfzig Kilogramm auf die Waage, diese Wölfin wohl eher siebzig. Ihr Fell war sehr gleichmäßig grauschwarz gezeichnet, die Läufe und die Schnauze hingegen waren fast weiß.

Wazlav nahm ihre Maße und einen Pfotenabdruck, dazu eine Blutprobe, dann legte er ihr das Halsband mit dem Funksender an. Es würde mindestens ein Jahr Signale abgeben und man hoffte in der Akademie, die eingebaute Solarzelle werde die Lebensdauer des Senders noch beträchtlich vergrößern.

„Als was trägst du sie ein?“, fragte Andrej und betrachtete das beeindruckende Gebiss des Raubtieres. „Wie wäre es mit Stiefelchen? Sie hat doch so schöne weiße Läufe.“

Wazlav lachte leise. „PL-925W.“

„Klingt aber nicht so hübsch.“

„Da gebe ich dir Recht.“ Der Wissenschaftler gab der Wölfin die übliche stabilisierende Injektion. „Fertig. Lass uns verschwinden, bevor sie wieder aufwacht.“

Die beiden Männer hasteten den Weg zurück, den sie gekommen waren und beide spähten aus der Deckung zu ihrem Schützling hinüber, als dieser erwachte.

„Ein wirklich schönes Exemplar“, hauchte Wazlav.

„Schönheit ist flüchtig.“ Andrej zeigte sein unvollständiges Gebiss. „Wenn du Pech hast, mein Freund, dann wandert deine schöne Freundin bis nach Spanien hinunter. Wäre nicht die Erste.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand, Andrej.“ Wazlav tippte seinen Freund an. „Komm, ich will in der Hütte, die Geräte überprüfen. Wenn alles funktioniert, wird uns ihr Sender immer verraten, wo sie gerade ist.“ Er seufzte schwer. „Ich hoffe wirklich, sie bleibt bei uns.“

Andrej nickte. „Wenn sie klug ist, tut sie das. Was will sie denn auch woanders? Straßen und Städte gibt es doch inzwischen überall.“

„Eigentlich ist das eine schöne Vorstellung für mich, sie hier zu behalten. Aber wenn sie wandert, hat das auch seinen Vorteil. Es ist wichtig für den Genpool der Rudel, die im Westen leben. Die sind noch stark von der Zuwanderung unserer Wölfe abhängig.“

Die Wölfin putzte sich flüchtig und für einen Moment hatte Wazlav das Gefühl, direkt in ihre blauen Augen zu sehen. Merkwürdige blaue Augen, die fast menschlich wirkten. Doch im nächsten Moment wandte sie sich um und verschwand im Schutz der Bäume.

„Na, komm“, sagte Andrej.

„Ja, hier gibt es nichts mehr zu sehen“, stimmte Wazlav zu.

Sie stapften zu der fernen Hütte zurück und Andrej wusste, dass sein seltsamer Freund nun wieder Stundenlang auf seinen Monitor starren würde.

Das Blut des Wolfes

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