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Kapitel 3

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Peter Wagner hielt den Streifenwagen vor dem Haus der Kirchers an und rutschte zur Seite, als Jochen aus dem Haus trat. Wagner war Polizeimeister und hatte für sein Alter eigentlich einen zu niedrigen Rang. Der dickliche Polizist hatte sich längst damit abgefunden, seinen beschaulichen Dienst in Wolfgarten zu beenden und war eher froh, dass sich hier so wenig ereignete. Den Eifer seines Kollegen Kircher konnte er kaum nachvollziehen. Aber Kircher war auch jünger und wollte sich sicherlich nicht mit dem Rang eines Polizeiobermeisters zufrieden geben. Der war eifrig genug, noch vorankommen zu wollen und immer wieder frustriert, dass Wolfgarten wenige Möglichkeiten bot, sich hervorzutun.

Jochen stieg in den Wagen, startete und wendete das Fahrzeug. „Hast du schon was Genaueres gehört?“

Peter Wagner schüttelte den Kopf. „Nur das, was ich dir sagte. Gestern kamen wohl zwei Touris zur Rangerstation und als Turner heute den Dienst aufnahm, hat er bemerkt, dass der Wagen von denen noch auf dem Parkplatz steht.“

„Hätte ihm früher auffallen müssen“, kritisierte Jochen.

Wagner zuckte die Schultern. „Turner musste gestern noch zu einer Besprechung mit dem Förster. Wurde wohl spät und er hat nicht mehr an die Touris gedacht.“

„In jedem Fall hat er seine Aufsichtspflicht verletzt.“

„Ach, nun mach aber Mal einen Punkt“, brummte Wagner. „Die Honnig war doch im Souvenirladen und der hätte das zuerst auffallen müssen.“ Der Polizeimeister bemerkte, wie Jochen ans Armaturenbrett langte. „Muss das sein?“

Kircher schaltete grinsend Martinshorn und Blaulicht ein. „Wann haben wir schon Mal die Gelegenheit dazu?“

„Für die paar Meter? Mann, du hast echt eine Profilneurose.“ Peter Wagner seufzte. „Und ras nicht so. Turner wird nicht gerade begeistert sein, dass du mit dem Lärm die Tiere erschreckst.“

„Der soll sich bedeckt halten“, zischte Jochen. „Schließlich hat der die Wanderer verloren und nicht wir.“

Sie erreichten den großen Parkplatz vor der Rangerstation und Jochen bedauerte es ein wenig, das Martinshorn nun abschalten zu müssen. Er sah Ranger John Turner und zwei Parkmitarbeiter vor dem Stationsgebäude, die sich mit Bärbel Honnig unterhielten, die für den Kiosk zuständig war. Sein Blick fiel auf den Rangerover. Das fremde Fahrzeug gehörte sicherlich den beiden vermissten Wanderern.

Er und Peter stiegen aus und Jochen achtete akribisch auf den korrekten Sitz seiner Dienstmütze. „Tag zusammen.“ Er tippte kurz an den Mützenschirm. „Wir wurden verständigt, dass hier zwei Personen vermisst werden.“

„So ist es.“ John Turner wies auf das geparkte Fahrzeug der Wanderer. „Klaus und Lydia Proschke. Sie kamen gestern gegen Mittag und wollten nur wenige Stunden bleiben. Heute Morgen stellten wir dann fest, dass der Wagen noch da ist.“

Jochen zog seine Taschenlampe hervor und leuchtete ins Innere des Rangerovers. Eigentlich war es hell genug, um selbst den Fußraum gut sehen zu können, aber Jochen liebte solche kleinen Gesten, bei denen die Zuschauer Zeugen wurden, wie er seinem Amt nachging. „Die Sitze sind ziemlich weit zurück. Sieht nicht so aus, als wenn die Proschkes klein und zierlich wären.“

„Nein, ganz bestimmt nicht.“ Turner lächelte.

„Gut.“ Jochen war ein wenig erleichtert. „Dann werden sie wohl beide eher behäbig sein und keine große Lust haben, durchs Unterholz zu kriechen. Schön“, sagte er schließlich und schob die Taschenlampe in den Haltering am Koppel zurück. „Turner, Sie haben diesen Proschkes aber erklärt, worauf es ankam? Von wegen, auf den Wegen zu bleiben, und so?“

„Selbstverständlich“, erwiderte Turner indigniert.

„Dann können sie sich eigentlich nicht verlaufen haben“, stellte Jochen fest. „Die zugelassenen Wege sind gut beschildert. Vielleicht ist ihnen doch etwas Ernsteres passiert.“

Turner nickte. „Das befürchte ich auch. Als ich heute Morgen den Wagen vorfand, bin ich mit den beiden Arbeitern los und wir haben den Weg abgesucht, den die Proschkes genommen haben müssen. War aber nichts zu finden. Auf unser Rufen hat keiner reagiert. Ich befürchte, sie haben den Weg verlassen und das ist ja nicht ganz ungefährlich.“

Jochen nickte. Das offene Waldgebiet und der abgegrenzte Teil des Naturparks waren überwiegend sich selbst überlassen. Der Baumbestand war nicht kultiviert und das bedeutete, dass die Bäume ganz normal alterten und verfielen. Irgendwann brachen sie zusammen und vermoderten. Der Wald lag voller umgestürzter Bäume und war zudem stellenweise von Pflanzen überwuchert. Wer sich von den Wegen entfernte, der konnte sich schon nach einigen Dutzend Metern verlaufen.

„Besteht die Möglichkeit, dass die Proschkes in den abgesperrten Bereich eingedrungen sind?“

Turner schüttelte den Kopf. „Wir haben den Zaun entlang des Weges kontrolliert. Alles in Ordnung. Und durch das Tor kommt man nicht ohne Schlüssel.“

„Mist.“ Es gefiel Jochen nicht besonders, durchs kniehohe Unterholz klettern zu müssen. Immerhin, zwei Vermisste, das brachte etwas Aufregung in die sonstige Eintönigkeit und machte sich im Revierbericht gut. Abgesehen von den Unfällen auf der Landstraße, war das bedeutendste Ereignis der letzten drei Jahre ein Unfall gewesen, bei dem ein angetrunkener Dorfbewohner eine Kuh von Bauer Wolicek angefahren hatte. „Schön, dann sehen wir es uns an. Muss ja nichts Schwerwiegendes sein, aber wenn einer von den Proschkes sich verletzt hat, kann der andere vielleicht nicht weg. Sitzen dann irgendwo herum und warten dringend auf Hilfe.“

Peter Wagner nickte. „Sollen wir Verstärkung rufen? Das Waldgebiet ist ja ziemlich groß und wir könnten die BePo alarmieren.“

Jochen räusperte sich. „Die Bereitschaftspolizei? Ne, Kollege Wagner, das käme nicht gut, wenn wir gleich um Hilfe schreien. Wir sehen erst einmal, ob wir die Proschkes selber finden. Falls das nicht der Fall ist, sagen wir der Feuerwehr Bescheid. Dann kann die eine Suche veranstalten. Nicht gleich die Kreisstadt verrückt machen, Peter, nur weil sich so ein idiotisches Paar verlaufen hat.“

„Rechts des Hauptweges können sie nicht sein“, meinte John Turner. „Verläuft ja quasi direkt am Zaun entlang. Wir sollten uns also links des Weges halten.“

„Könnten die Leute im abgesperrten Bereich des Parks sein?“

Der Ranger schüttelte entschieden den Kopf. „Wie ich schon sagte, das Tor ist abgeschlossen und der Zaun ist hoch und sehr stabil. Zudem sind die Proschkes sicher keine, äh, sehr sportlichen Leute. Die sind bestimmt nicht auf die andere Seite geklettert.“

Jochen nickte. „Gut, dann können wir den Bereich aussparen. Damit beschränkt sich die Suche auf den offenen Teil des Parks. Wir gehen in Schwarmlinie parallel zum Weg vor. Nur so viel Abstand, dass jeder den Nebenmann sehen kann.“ Er grinste. „Nicht, dass sich noch einer verläuft. Peter, stell Kanal Zwei ein. Du gehst am Weg entlang und ich bleibe zwischen den beiden Arbeitern und dem Ranger. Sollten wir“, er blickte auf die Uhr, „die beiden Vermissten bis zwei Uhr nicht gefunden haben, dann brechen wir ab und holen die Feuerwehr dazu.“

John Turner sah Bärbel Honnig an, die sich sichtlich Vorwürfe zu machen schien. „Wir werden sie schon finden, Bärbel. Bleiben Sie hier an der Station. Vielleicht tauchen die Proschkes ja doch wieder auf.“

„Wenn die noch laufen könnten“, meinte einer der Arbeiter, „dann wären die längst wieder da. Selbst wenn sie keinen Hunger hätten, die haben seit gestern nichts mehr getrunken… Die müssen Durst haben bis zum abwinken.“

„Wir werden sehen.“ Jochen Kircher reckte sich. „Brechen wir auf. So groß ist der Park ja nun auch nicht, dass da jemand spurlos verschwinden kann.“

Doch genau das war der Fall.

Jochen rief die Feuerwehr zu Hilfe, damit die Suche intensiviert werden konnte, aber am späten Abend ließ er die Aktion abbrechen. Es gab keinen einzigen Hinweis auf den Verbleib des Ehepaares Proschke.

„Na schön“, räumte Jochen missmutig ein, „weiter im Wald herum zu latschen, das bringt uns nicht weiter. „Ich rufe die Rettungshundestaffel Eifel-Mosel an. Die Hunde werden die Proschkes schon finden.“

Das Blut des Wolfes

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