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5:42 Uhr, zwischen Donaueschingen und Wolterdingen

Die Sonne ging gerade auf, an einem makellos blauen Himmel und genau zur vorberechneten Zeit. Die Erde hatte sich weitergedreht, ohne von dem, was sich auf ihrem Rücken abspielte, Notiz zu nehmen.

Die Sonne beleuchtete einen Planeten, auf dem in den vergangenen Stunden die Luftverschmutzung drastisch zurückgegangen war. Übrigens eines der vordringlichsten Probleme, denen das zwei Tage zuvor begonnene Gipfeltreffen der G8 galt, welches in diesem Jahr im äußersten Zipfel des russischen Reiches stattfand. Die Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Italien, Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika saßen nun zusammen mit ihren Außen-, Umwelt- und Wirtschaftsministern sowie einem umfangreichen Tross an Beratern und Mitarbeitern gemeinsam in Wladiwostok fest.

Im Irak hatte es in den vergangenen dreiundzwanzig Stunden nur zwei Selbstmordattentate gegeben, beide kurz nach acht auf einem Markt in Bagdad. Seitdem war es ruhig.

Valentin Jost, der erste nicht existierende Patient des vergangenen Tages im Donaueschinger Krankenhaus, saß, mit dem Rücken an eine hundertjährige Tanne gelehnt, im Wald zwischen Donaueschingen und Wolterdingen. Erste Strahlen der gerade im Osten aufgehenden Sonne stahlen sich zwischen den Baumstämmen hindurch und trafen sein Gesicht. Kühle Nebelschleier waberten, schmiegten sich eng an den bemoosten Boden.

Nachdem er am Vortag kurz nach neun die Intensivstation verlassen hatte, machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Wolterdingen. Er hatte Kopfweh und der Verband drückte. Nach zwei Kilometern − er hatte bereits mehr als die Hälfte des Weges zurück nach Hause hinter sich gebracht − nahmen die Schmerzen schlagartig zu. Sein Nacken fühlte sich wie ein Brett an und vor Josts Augen tanzten schwarze Schatten. Er war vom Weg abgekommen und in den Wald gestolpert. Mit den Augen stimmte etwas nicht, dann sank er auf den weichen Waldboden.

Gegen halb elf war er noch einmal erwacht. Er hatte Stimmen gehört, die vom Waldweg kamen, der irgendwo hinter den Bäumen verborgen sein musste. Kinderstimmen. Wer er war, hätte er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr sagen können, denn die unerträglichen Schmerzen in Kopf und Nacken hatten jede Erinnerung vertrieben. Er versuchte noch einmal aufzustehen, aber sein linkes Bein knickte willenlos unter seinem Gewicht zusammen. Die Blutung in Josts Kopf hatte sich ausgebreitet und drückte nun auf Nerven, die daraufhin ihren Dienst einstellten oder diesen nur noch halbherzig erledigten. Seine Augen konnte er nur noch minimal bewegen.

Kinderstimmen.

Sie riefen trotz der Schmerzen ein warmes, angenehmes Gefühl in ihm wach. Er zog mit der Rechten sein Portemonnaie hervor, dann wurde er erneut ohnmächtig.

Fünf Minuten darauf erwachte er und stellte verwundert fest, dass er ein Bild in der Hand hielt. Er konnte kaum noch etwas sehen, die dunklen Schatten breiteten sich aus, übermächtig und zu stark. Aber es schienen Kinder zu sein, zwei kleine Buben. Jost wusste nicht mehr, um wen es sich handelte, aber die Wärme, die Liebe, die ihn beim Betrachten des Bildes überkam, taten gut, machten ihn glücklich. Valentin Jost starb ein paar Minuten vor zwölf mit einem Foto seiner Söhne in der Hand.

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