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bb) Schranken-Schranken
ОглавлениеSo vermag sowohl ein geschriebener als auch ein ungeschriebener Rechtfertigungsgrund eine in den Schutzbereich von Art. 34 AEUV eingreifende Maßnahme nur dann zu rechtfertigen, wenn diese den Anforderungen des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes30 genügt.31 Dafür muss sie dazu geeignet sein, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, sie darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist und sie muss angemessen sein.32
Auch im Kontext der europäischen Grundfreiheiten setzt das Merkmal der Geeignetheit voraus, dass die betreffende Maßnahme das mit ihr verfolgte Ziel fördert.33 Durch das „Linkslenkergebot“ verringert sich die Zahl der „Rechtslenker“ im öffentlichen Straßenverkehr von M (vgl.o. B.II.2.b)) – und damit angesichts des „tatsächlich bestehenden“ unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Position des Lenkrads und dem Sichtfeld des Fahrers zugleich das mit der Verkehrsteilnahme von „Rechtslenkern“ verbundene Unfallrisiko im dortigen Rechtsverkehr, welches aufgrund der bei diesen Pkw gegebenen größeren Entfernung des Fahrers zur Mittellinie der Straße v.a. bei Überholvorgängen existiert. Die Eignung des „Linkslenkergebots“ als Instrument zur Erhöhung der Verkehrssicherheit in M wäre damit an sich zu bejahen.
Allerdings erachtet der EuGH eine beschränkende Maßnahme letztlich nur dann als dazu geeignet, die Verwirklichung des mit ihr angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.34 Hier hat das Parlament von M kein absolutes „Linkslenkergebot“ in Kraft gesetzt, sondern dieses durch die „Touristenklausel“ wieder relativiert. Anhaltspunkte dafür, dass die im Rahmen dieser Ausnahmevorschrift erfolgende Verwendung von „Rechtslenkern“ im Straßenverkehr von M kein beachtliches Risiko für die dortige Verkehrssicherheit darstellt, sind jedoch nicht ersichtlich. Wird dieses insoweit mithin aber toleriert, so ist es allein schon deshalb nicht in sich stimmig, das Führen von „Rechtslenkern“ auf öffentlichen Straßen in M im Übrigen zu verbieten. Hinzu kommt, dass Entsprechendes in Bezug auf solche Pkw gilt, deren Zulassung M kraft der o.g. Richtlinienbestimmungen nicht untersagen darf (s.o. B.II.1.).
Somit ist das „Linkslenkergebot“ nicht dazu geeignet, das mit ihm verfolgte Ziel des Schutzes der Sicherheit des Straßenverkehrs in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen und deshalb insgesamt nicht verhältnismäßig – weshalb die beiden vorstehend aufgeworfenen Fragen nach der etwaigen Subsumierbarkeit der Verkehrssicherheit unter den geschriebenen Rechtfertigungsgrund des Gesundheitsschutzes (s.o. B.II.2.c)aa)(1)) sowie der möglichen Erstreckung der Cassis de Dijon-Rechtsprechung auf versteckte Diskriminierungen (s.o. B.II.2.c)aa)(2)) jeweils keiner Beantwortung bedürfen. Darauf, dass das „Linkslenkergebot“ in Anbetracht der von der Kommission aufgezeigten milderen und ggf. gleich wirksamen Alternativmaßnahmen zudem mangels Erforderlichkeit unverhältnismäßig sein könnte,35 kommt es aufgrund der bereits festgestellten fehlenden Geeignetheit ebenfalls nicht an.
Also ist der durch das „Linkslenkergebot“ bewirkte Eingriff in den Schutzbereich von Art. 34 AEUV nicht gerechtfertigt.
Es verletzt daher diese Vorschrift, soweit es das Führen von Pkw betrifft.