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a) Rechtsstaatlichkeit

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An der Spitze der Verfassungsprinzipien ist jenes der Rechtsstaatlichkeit zu nennen. Je nach Umfang und nationalen Ausprägungen eines Rechtsstaatsprinzips ist der Bezug durch die Institution Verfassungsgerichtsbarkeit und ihre Kompetenzen gegeben. Auch die Qualität des Verfahrens und die Wirkungen seiner Entscheidungen sind für die Rechtsstaatlichkeit einer Verfassungsordnung unmittelbar von Bedeutung.

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Darüber hinaus sind aber auch die Zusammensetzung und die Organisationsgarantien eines Verfassungsgerichts, genauer die Qualifikation und die Unabhängigkeit seiner Richter entscheidend für das Maß an Rechtsstaatlichkeit. Die Aufgliederung in konkretere Ziele macht den Beitrag einer nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten hoch entwickelten Verfassungsgerichtsbarkeit für den Rechtsstaat insgesamt deutlich. Langjährige Erfahrung in qualifizierter juristischer Berufstätigkeit trägt zur Qualität des Gerichts bei. Kriterien sind dabei die Dauer der Tätigkeit, der Bezug zu den juristischen Fragestellungen eines Verfassungsgerichts, die Vielfalt der Tätigkeit, bei Berufsrichtern der Aufstieg in den Gerichtsinstanzen oder der Wechsel des Gerichtszweiges. Dabei ist nicht nur die Qualifikation des einzelnen Richters isoliert in den Blick zu nehmen, sondern die Zusammensetzung des Gerichts bzw. seiner Gliederungen. Ein Spruchkörper (Kammer, Senat), der überwiegend mit Beschwerden von Einzelpersonen in Grundrechtsfragen befasst ist, gewinnt an Qualität, wenn ihm neben Experten des Verfassungsrechts auch Richter oder Professoren mit strafrechtlicher, polizeirechtlicher, familienrechtlicher oder ausländerrechtlicher Spezialisierung oder wenigstens entsprechender vertiefter Erfahrung angehören. Ein Spruchkörper, der für Fragen des Steuerrechts, der Finanzverfassung, des Unions- und Völkerrechts zuständig ist, kann von Mitgliedern mit besonderer Expertise in diesem Bereich profitieren.

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Schließlich ist die Unabhängigkeit der Richter in der Perspektive entscheidend. Dazu tragen zuvörderst die Regelungen über die Ausgestaltung des Amtes bei, an zweiter Stelle das Verfahren der Auswahl. Wahlverfahren dürfen keine Abhängigkeiten schaffen, Möglichkeiten der Wiederwahl sind hier von vorneherein schädlich. Eine Rückwirkung auf die Unabhängigkeit einzelner Richter kann es auch haben, wenn diese auf Grund der Begrenzung der Amtsdauer und eines geringeren Alters, in dem sie zum Richter geworden sind, wesentlich vor dem gewöhnlichen Rentenalter aus dem Gericht ausscheiden und nicht automatisch in einen Beruf zurückkehren können, der ihnen in materieller und persönlicher Hinsicht Unabhängigkeit verschafft.

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In jedem Fall aber ist wesentlich, dass das Wahlverfahren so ausgestaltet ist, dass nicht Personen mit Nähe zu den Organen gewählt werden, deren Akte kontrolliert werden, ohne dass es Vorkehrungen für hinreichende Distanz gibt. Regelungen dieser Art bestehen in Vorgaben einer Mindestzahl von Richtern und Professoren, weil deren Unabhängigkeit in ihrem ursprünglichen Beruf institutionell und verfassungsrechtlich abgesichert ist. Soweit Verwaltungsbeamte in das Gericht berufen werden, sind Weisungs- und dauerhafte Dienstfreistellung unbedingte Voraussetzung der rechtsstaatlichen Unabhängigkeit. Einen Fremdkörper, der im Grunde nicht zur Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit passt und mit einer rechtsstaatlich geprägten Unabhängigkeit der Richter in einem Spannungsverhältnis steht, bildet (ungeachtet von Unvereinbarkeitsbestimmungen in Bezug auf Wahlämter) die ex-lege-Mitgliedschaft ehemaliger Staatspräsidenten im französischen Conseil constitutionnel.

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Im Übrigen kommt es auch hier auf das Zusammenwirken effektiver Verfassungsregeln und einer auf diese achtenden bzw. im Einzelfall auch über diese hinausgehenden Verfassungskultur an. Eine Verfassungspraxis, welche die oft aus anderen Zeiten stammenden Regeln bis an die Grenzen ausreizt, kann das verfassungsrechtliche Ziel der Sicherung des Rechtsstaates durchaus verfehlen.

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