Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica Claes - Страница 190
6. Entscheidungswirkungen
Оглавление79
Bei der Regelung der Entscheidungsbefugnisse des Verfassungsgerichts im Organstreitverfahren stellt sich vor allem die Frage, ob diese Befugnisse auch die Kompetenz zu kassatorischer Entscheidung umfassen oder auf eine reine Feststellungsentscheidung beschränkt sein sollen. Für die Zuerkennung kassatorischer Befugnisse spricht, dass auch ein Akt, der „bloß“ in die verfassungsmäßigen Kompetenzen eines anderen Staatsorgans eingreift, einen verfassungswidrigen Akt darstellt, der aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit aus der Welt geschafft werden muss. Andererseits könnte die Autorität des Verfassungsgerichts, die durch seine Einschaltung in politischen Konflikten – und um solche wird es sich bei Verfassungsstreitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen häufig handeln – bereits auf die Probe gestellt wird, einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt werden, wenn es durch die Aufhebung der kompetenzwidrigen Maßnahme in einen unmittelbaren Gegensatz zu dem obersten Staatsorgan gebracht wird, das Urheber der fraglichen Maßnahme ist. Hier ließe sich argumentieren, dass diese zusätzliche Belastung unnötig ist, da sich aus der Feststellungsentscheidung in Verbindung mit dem Rechtsstaat ohnehin die verfassungsrechtliche Verpflichtung des unter Überschreitung seiner Kompetenzen handelnden Organs ergibt, die verfassungswidrige Maßnahme zurückzunehmen bzw. nicht an ihr festzuhalten.
80
Die Verfassungsgerichtsgesetze sehen hier unterschiedliche Lösungen vor. So stellt das spanische Verfassungsgericht nach Art. 75 LOTC fest, welchem Organ die umstrittene Kompetenz zusteht, und erklärt zugleich alle Akte, die auf der Grundlage der verfassungswidrigen Kompetenzanmaßung vorgenommen wurden, für nichtig. Ganz ähnlich besteht auch in Italien die stattgebende verfassungsgerichtliche Entscheidung im Organstreitverfahren aus zwei Teilen: der Feststellung, welches Organ Träger der bestrittenen Zuständigkeit ist, und der Aufhebung des angegriffenen Aktes.[131]
81
Die Entscheidungsbefugnis des BVerfG im verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren ist demgegenüber schon nach dem Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auf eine Feststellungsentscheidung beschränkt. Das Gericht entscheidet danach im Organstreitverfahren über die Auslegung des Grundgesetzes, auch wenn diese Auslegung nicht abstrakt, sondern immer nur im Hinblick auf die Besonderheiten des konkreten Streitfalles erfolgen kann. § 67 Satz 1 BVerfGG hält sich daher durchaus im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben, wenn er anordnet, dass das BVerfG in seiner Entscheidung feststellt, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt.[132] Die Entscheidung hat dagegen keine wie auch immer geartete rechtsgestaltende Wirkung. Das Gericht kann weder die vom Antragsteller angegriffene Maßnahme aufheben noch ihre Nichtigkeit feststellen.[133] Ebenso wenig kann es den Antragsgegner zur Vornahme oder zur Unterlassung einer Maßnahme verurteilen.[134] Vielmehr geht der Gesetzgeber im Hinblick auf die Bindung aller Staatsorgane an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) davon aus, dass der Antragsgegner auch ohne Vollstreckungsdruck die notwendigen Konsequenzen aus der verfassungsgerichtlichen Feststellung der Grundgesetzwidrigkeit seines Verhaltens ziehen wird.[135]