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Kapitel 18

Als ich damals mein neues Zuhause bezogen hatte, konnte ich nicht wissen, dass ich neun Jahre in diesem Loch hausen würde. Neun Jahre voller Entbehrungen. Neun Jahre Verstecken spielen. Neun Jahre voller Lügen. Neun Sommer und neun Winter in einem Erdloch. Die Sommer waren leichter zu ertragen als die Wintermonate. Das Warmwasserrohr konnte den Frost nicht abhalten. Jeden Winter kroch er in die Erde und ließ meine Glieder steif werden wie die von Reptilien.

Der Mensch vollbringt unglaubliche Leistungen, um zu überleben. Ich entwickelte ein ganzes System an Strategien, um mein kleines Leben und meine Würde halbwegs aufrechtzuerhalten.

Ich war ein zehnjähriges Mädchen, das in einer Höhle lebte und keinen Cent an Geld zur Verfügung hatte. Kein Geld zu haben, bedeutete in einer kapitalistischen Welt, nicht überlebensfähig zu sein. Man verhungert, man erfriert, man stirbt an einer Krankheit, die an und für sich völlig harmlos ist. Als Zehnjährige war ich mir dieser Tragweite nicht bewusst. Ich wollte zur Schule gehen und gute Leistungen bringen. Ich wollte, dass meine Eltern im Himmel stolz auf mich waren. Ich war ein Mädchen, das täglich aus einem Erdloch kroch, um da draußen den Alltag einer ganz normalen Schülerin zu leben. Ein beinahe unmögliches Unterfangen.

Ein Schulkind braucht für seinen Alltag viele Dinge. Das wurde mir bald klar. Ich hatte meine alte Schultasche aus der Grundschule. Auf sie gab ich acht, wie auf einen Schatz. Die Bücher stellte die Schule zur Verfügung. Jedoch benötigte ich Dinge, die ich mir ohne Geld nicht kaufen konnte. Kleinigkeiten brachten mich unter Druck: ein immer kürzer werdender Bleistift. Ich suchte den Schulboden nach Tintenpatronen ab, die anderen aus der Tasche gefallen waren und meine Schrift wurde immer kleiner, um möglichst selten neue Schulhefte zu benötigen.

Dann war da das Problem mit der Kleidung. Ich wuchs. Und so wuchs ich aus meinen Sachen heraus. Wie sollte ich ohne Geld an neue Kleidung gelangen? An unterschiedlichen Stellen der Stadt waren Container aufgestellt, in denen die Leute ihre alten Kleider entsorgten. Diese Altkleidercontainer wurden einmal wöchentlich entleert. Es war nicht möglich, ins Innere der Container zu gelangen. Sie hatten ein Verschlusssystem installiert, das jede Entnahme verhinderte. Mit Altkleidung ließen sich scheinbar gute Geschäfte machen. Ich kannte mit der Zeit sämtliche Sammelstellen der Stadt und ich wusste, an welchen Tagen welche Container entleert wurden. Wenn ich Glück hatte, waren die Container kurz vor ihrer Abholung bereits so voll, dass die Menschen ihre Säcke daneben abstellten. In jenen Nächten klapperte ich alle Standorte ab und schnappte mir die frei stehenden Säcke. Außerdem hatte ich herausgefunden, in welchen Gegenden die reicheren Familien lebten und dementsprechend die besseren Kleidungsstücke zu finden waren. Mein Zuhause polsterte ich mit alten Hosen, Röcken, Pullis, Jacken und anderen Textilien aus. Mit der Zeit wurde meine Höhle ein weiches Nest aus alter Bekleidung. Fand ich Kleidungsstücke, die ich selbst tragen konnte, freute ich mich besonders, denn das war eher die Ausnahme.

Peter Rohman hatte sich gemeldet, da er eine interessante Information für mich hatte. Er war eine willkommene Ablenkung für meinen körperlichen Zustand. Ich war bereit, meine Aggression in Form einer Unternehmensübernahme auszuleben. Kaufen, plündern, weg damit. Her damit! Er hatte ein verstaubtes Unternehmen ausfindig gemacht, das mit etwas Geschick und Risikobereitschaft in der Plünderungsphase Fabelrenditen würde abwerfen können. Dieses, in der Öffentlichkeit als »Selbstreinigungsprozess« bezeichnete Auspressungsverfahren, würde nur durch höchst riskante Strategien zu erzielen sein. Da das Leben nun mal ein Spiel war, reizte mich genau dieses hohe Risiko, das hinter der Sache steckte. Würde es schiefgehen, waren die Leidtragenden die Angestellten, die dann nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Ich hatte jedoch nicht vor, jemals mit einer dieser trostlosen Seelen am Tisch zu sitzen. Mein Interesse an ihren langweiligen Geschichten und Einzelschicksalen war gleich null.

Nur selten ließ ich neues Kapital für Investitionen in die Unternehmen fließen. Vielmehr saugte ich es ab, um Kredite zu finanzieren und Sonderausschüttungen einzustreichen. Andere nannten dieses Vorgehen »Eigenkapitalraub«. Ich nannte es lieber Optimierungsvorgehen.

Selbst aus Firmenpleiten ließ sich Profit ziehen. Ich konnte Fonds auflegen, die Kredite angeschlagener Schuldner aufkauften. Ich stellte Beraterteams zusammen, die den gestrauchelten Unternehmen gegen hohe Gebühren wieder auf die Beine verhalfen. So ließ sich sogar noch einmal bei jenen Unternehmen kassieren, die bereits kräftig ausgenommen worden waren. Hauptsache, der Profit stimmte. Das waren meine Spielregeln. Die Spielregeln eines Raubtierkapitalisten. Skrupel überließ ich andern, ich war lieber erfolgreich.

Peters Informationen stellten mich zufrieden. Beim Gehen legte ich das Kuvert unauffällig auf den Tisch.

Wo zum Teufel versteckte sich dieses gottverdammte Mädchen?

Mine | Erotischer SM-Roman

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