Читать книгу Mine | Erotischer SM-Roman - Myriam Brixton - Страница 24

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Kapitel 22

Die Jahre in der Höhle hatte ich ohne Nähe auskommen müssen. Gefühle wie Geborgenheit oder Zuneigung hatte ich nach dem Tod meiner Eltern aus meinem Leben verbannt. Allein der Wunsch danach hätte mich womöglich umgebracht.

Vielleicht machte genau das Nichtzulassen dieser Gefühle es nun so leicht für mich, diesen fremden Mann in mich zu lassen. Er drang in meinen Körper ein, ohne meine Seele zu berühren. Ich sah diesem Mann in die Augen und er war mir egal. Er war für mich nichts anderes als jener Mann, der das Geld besaß, das ich für mein neues Leben benötigte. Dafür überließ ich ihm meinen Körper.

Ich konnte nichts aus Isabells Blick lesen. Sie sah mir tief in die Augen, ohne eine Miene zu verziehen. Ich setzte mich auf und betrachtete sie. Ich blickte auf ihren wunderbaren Körper hinab. Sie hatte noch immer ihre Schuhe an. Ihr Höschen war nass. Heute war kein Blut im Bett zu finden. Ich schenkte Moët in die beiden Gläser und versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

Isabell war wunderschön. Sie reizte mich. Ihre sexuelle Ausstrahlung machte mich verrückt. Aber empfand ich etwas für sie? Konnte diese Frau mein Herz berühren? Konnte sie gefährlich werden?

Nein, das konnte sie nicht. So lautete meine nüchterne Antwort.

Die Köpfe einander zugewandt, lagen wir Seite an Seite, ohne uns zu berühren. Beide waren wir in unserer Welt der Gedanken, zu der der andere keinen Zutritt hatte. Mich interessierte es nicht, was Jonathan in diesen Momenten dachte. Er setzte sich auf und füllte unsere Gläser.

»Isabell.« Ich begann den Satz, ohne genau zu wissen, wie ich ihr meinen plötzlichen Plan unterbreiten sollte. »Ich möchte, dass du nur für mich arbeitest.«

Ihre Mimik blieb ausdruckslos. Sie schien weder erstaunt noch fragend noch erfreut. Sie schien gar nichts zu sein. Vielleicht hatte sie nicht verstanden, was ich von ihr wollte.

»Hast du verstanden, was ich von dir möchte? Ich möchte, dass du mein persönliches Mädchen wirst.« Isabell rührte sich nicht. Nicht die geringste Regung war in ihrem Gesicht zu erkennen.

»Ich werde dich großzügig dafür entlohnen, aber ich will, dass du nur mir zur Verfügung stehst. Und das jederzeit.« Isabell atmete ruhig und schloss nur für Millisekunden die Augen, um sie zu befeuchten. Ich konnte nichts, absolut nichts aus ihrem Blick lesen.

Ich hielt ihr mein Glas entgegen, um den Deal zu besiegeln. Ich wollte um jeden Preis, dass sie auf mein Angebot einstieg. Dafür musste ich jedoch wissen, was ihre Werte und Prioritäten im Leben waren. Ich konnte sie nur angeln, wenn ich den richtigen Köder auswarf. Bei einem Fisch, der den Mund nicht aufmachte, tat ich mich allerdings schwer mit einem Köder. Ich hatte unzählige Geschäfte in meinem Leben abgeschlossen. Ebenso hatte ich unzählige Prostituierte gebucht. Immer hatte ich bekommen, was ich wollte, aber diese Frau schien zu zögern und das war mir neu.

Was hatte er mir da soeben vorgeschlagen? Es war genau das, was ich mir gewünscht hatte. Ich stand mit einem Male am Beginn jenes Weges, von dem ich so lange geträumt hatte.

Er würde mich großzügig dafür entlohnen. Nun durfte ich keinen Fehler machen. Am besten, ich sagte vorerst gar nichts. Ich musste nachdenken. Mein Glas war voll und Jonathan wartete darauf, dass ich trank. Ich konnte aber nicht denken, wenn mein Kopf sich zu drehen begann. Ich durfte mir das Geschäft nicht entgehen lassen. Sobald ich trank, blieben mir nur wenige Momente, bis der Alkohol mein Gehirn betäubte.

»Ich möchte studieren. Ich brauche eine Wohnung in der Stadt. Ich muss meine Studiengebühren bezahlen und ich muss mir die Dinge kaufen können, die ich für den Alltag und die Universität brauche.«

Jonathan hörte mir aufmerksam zu. »Wirst du mir all das bezahlen?«

Jetzt war es raus. Genau das wollte ich und ich wusste, dass das sehr viel Geld kostete. Meine Eltern hätten mir ein Studium nicht finanzieren können. Mein Vater war Sozialarbeiter und kümmerte sich im Krankenhaus um Menschen mit bipolaren Störungen. Meine Mutter arbeitete als Krankenschwester in Teilzeit. Das Familieneinkommen reichte gerade aus, um unseren Alltag zu bewerkstelligen. Geld war bei uns immer knapp gewesen und dennoch fühlten wir uns nie arm, weil wir glücklich waren. Wir führten ein schönes Familienleben mit vielen Gesprächen und verbrachten die Abende mit Brettspielen. An den Wochenenden bereitete meine Mutter ein Picknick zu und wir fuhren ins Grüne, wann immer es das Wetter zuließ. Meine Eltern legten einige Jahre hindurch etwas Geld zur Seite und als ich acht Jahre alt war, hatten sie genug gespart, sodass wir mit unserem alten Golf ans Meer fahren konnten. Es war die wundervollste Woche meines Lebens. Wir schliefen in einem Zelt am Strand. Am Abend zündete mein Vater ein kleines Lagerfeuer an und wir grillten uns frischen Fisch und Gemüse. Die Tage verbrachten wir mit Baden, Sandburgenbauen und ausgedehnten Spaziergängen entlang des Meeres. Ich konnte mich nicht sattsehen vom Horizont, von jenem schmalen Streifen, wo Meer und Himmel ineinander übergingen. Tagsüber war alles blau, aber je näher der Abend heranrückte, desto wundervoller veränderten sich die Farben von Rosarot zu Orange bis ein roter Feuerball im Meer versank.

Sieh einer an. Das Mädchen wollte etwas aus sich machen. Sie wollte studieren. Das bedeutete, dass sie ein kluges Köpfchen war. Das Abitur musste sie wohl abgeschlossen haben. Aber sie wollte mehr in ihrem Leben erreichen. Ihre Einstellung gefiel mir.

Ihr Vater konnte ihr ein Studium scheinbar nicht finanzieren. Oder er wollte nicht. Die Mutter war nicht mehr am Leben. Der Vater ließ die Kleine aus irgendeinem Grund hängen. Nun sollte ich derjenige sein, der Ihr Leben finanzierte. Als Geschäftsmann wollte ich mich nicht aufs Glatteis führen lassen.

»Dein Vater unterstützt dich nicht?«

»Mein Vater ist auch tot. Meine Eltern starben gemeinsam bei einem Autounfall. Das ist viele Jahre her. Wirst du mir mein Studium bezahlen?« Diese Information konnte er bekommen. Wenn er dafür auf meine Forderungen einging.

Isabells Antwort war knapp und klar. In meinem Kopf arbeitete es. War das Mädchen auf sich selbst gestellt? Mochte das der Grund dafür sein, warum sie auf die Straße gegangen war? Und war ich derjenige, der ihre Notlage ausnutzte? So, wie ich es oft tat, wenn bankrotte Unternehmer in mir die letzte Hoffnung sahen. Wenn ich ihre Betriebe um ein Trinkgeld aufkaufte und mich wenig um die Schicksale scherte, die dahintersteckten.

Geschäftlich gesehen war das Mädchen für mich ein Glücksgriff. Und ich für sie. Sie musste nur einen Mann bedienen, das war für sie ein großer Vorteil. Sie musste nicht auf der Straße stehen und sich jedem anbieten, der an ihr vorbeifuhr. Für mich war es ein finanzielles Kinderspiel, ihr ein Studium zu ermöglichen. Dafür hatte Isabell ihren Beitrag dazu zu leisten. Bei näherer und emotionsloser Betrachtung erkannte ich einen fairen Deal. Eine Win-win-Situation.

Das Gebäude, in dem ich das Dachgeschoß bewohnte, gehörte mir. Es war ein Hochhaus mit siebzig Etagen. Die Büros und Apartments waren vermietet, doch es würde ein Leichtes sein, eine Garçonnière für Isabell frei zu machen. So hätte ich sie gleich in meiner Nähe, wann immer die Lust mich überkam.

Und selbst auf die Gefahr hin, dass ich das Interesse an ihr verlor, bevor sie ihr Studium abgeschlossen hatte, war mir ihre Anwesenheit in diesem riesigen Gebäude egal. Sie würde ihre Ausbildung trotzdem fortsetzen können. Das sollte mein wohltätiger Beitrag sein. Vorausgesetzt, sie studierte in der Mindestzeit, denn nur Menschen mit Ehrgeiz verdienten es, unterstützt zu werden.

Isabell lag nackt vor mir und in ihrem Blick glaubte ich, Hoffnung zu erkennen.

»Wir werden eine Vereinbarung abschließen. Du bekommt deine Wohnung, ich bezahle deine Studiengebühren und alles, was du sonst noch zum Leben brauchst. Im Gegenzug dazu bist du meine persönliche Angestellte, die mir für sexuelle Dienste zur Verfügung steht. Andere Männer sind tabu. Die Spielregeln bestimme ich.«

Ich hob das Glas und hielt es ihr entgegen. Isabells kleiner Körper setzte sich auf und ich nahm ihren tiefen Atemzug wahr. Zögerte sie etwa? Dann aber stieß sie ihr Glas an meines.

Ich betrachtete das Mädchen in diesem Moment als meinen Besitz und spürte innerlich eine tiefe Zufriedenheit. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mich ein Deal zuletzt derartig befriedigt hatte. Ich fragte mich, warum ich nicht schon viel früher Dinge erworben hatte, die der persönlichen Freude dienten und nicht der reinen Vermehrung von Kapital.

Uff. Der Deal war beschlossen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich nun freuen, oder losheulen sollte. Hiermit war ich die vertraglich verpflichtete Prostituierte des Herrn Jonathan. Das war demütigend. Ich schüttete das Glas hinunter und verschwand im Bad. Unter der Dusche ließ ich den Tränen freien Lauf. Ich schrubbte meinen Körper, bis er rot war. Ich wollte die widerfahrene Erniedrigung abwaschen.

Als ich nach einer endlosen Dusche meinen Körper mit dem weichen Hotelhandtuch abtrocknete, hatte ich das Gefühl, als hätten die Tränen ihren Beitrag geleistet. Ich fühlte mich der Sache gewachsen.

Ich würde studieren und darauf freute ich mich! Basta.

Als ich das Bad verließ, saß Jonathan an seinem Laptop. Er sah mich an und lächelte.

»Ich habe soeben unseren Deal in schriftliche Form gebracht. Ich hole dich morgen Abend zum Essen ab und wir beide werden die Vereinbarung unterzeichnen. Wo wohnst du?«

Seine Frage nach meiner Adresse kam unerwartet. Aber ich war es seit vielen Jahren gewohnt, zu lügen. Unentdeckt zu bleiben, war stets mein oberstes Ziel. So schlug ich ihm souverän vor, uns wie immer unter der Laterne zu treffen. Jonathan war einverstanden. Wir verabredeten uns also um neunzehn Uhr des nächsten Tages unter der Laterne, um mein neues Leben vertraglich zu regeln. Jonathan stand auf und ging ins Bad, während ich mich anzog und das Hotel verließ. Die Tage in meiner Höhle am Fluss waren gezählt. Bald würde ich das Leben einer jungen Studentin führen können, wenngleich mit einer entscheidenden Abweichung.

Als ich aus dem Badezimmer kam, war Isabell bereits verschwunden. Es war mir recht, ich schätzte ihren distanzierten Umgang. Ich hatte nicht vor, Gefühle ins Spiel kommen zu lassen. Obgleich ich durchaus noch einmal Lust auf sie gehabt hätte.

Allerdings war ich über mich selbst erstaunt. Eigentlich hatte ich Isabell nichts zu sagen. Dass ich die Vertragsunterzeichnung im Zuge eines gemeinsamen Abendessens erledigen wollte, überraschte mich selbst. Eine Unterschrift war schnell gesetzt. Wozu schleppte ich das Mädchen dafür in ein Restaurant?

Dass sie mir ihre Adresse nicht verraten wollte, gefiel mir. Obwohl sie keine Prostituierte im herkömmlichen Sinne war, benahm sie sich doch auf ihre Art sehr professionell.

Ich übernachtete im Hotel und kehrte erst am nächsten Vormittag in mein Apartment zurück. Den restlichen Tag verbrachte ich im Fitnessraum, um meinen Oberkörper zu trainieren und schwamm anschließend noch eine ganze Stunde in der Gegenstromanlage auf meiner Terrasse.

Später informierte ich den Hausverwalter, dass ich binnen einer Woche ein freies und gleichzeitig möbliertes Apartment in meinem Gebäude benötigte. Seinen Einwand, dass dies so schnell nicht möglich sein würde, weil sämtliche Immobilien vermietet waren, ließ ich nicht gelten. Ich wies ihn darauf hin, dass mit Geld alles machbar war.

Bevor ich mich für den Abend zurechtmachte, druckte ich den vorbereiteten Vertrag in zweifacher Anfertigung aus.

Ich rasierte mich und zog mir einen dunkelgrauen Anzug von »Valentino« an. Der Blick in den Spiegel stellte mich zufrieden. Dass ich mich so herausputzte, hatte nichts damit zu tun, dass ich Isabell gefallen wollte. Das Mädchen hatte ich gekauft, ich musste sie nicht erobern. In dem Fall war mein Aussehen nur mir selbst wichtig.

Kurz vor halb sieben stieg ich in den Porsche und machte mich auf den Weg zu Isabells Laterne. Ich hatte einen Tisch im »Nestor« reserviert und hoffte, Isabell würde Tischmanieren vorweisen können. Das »Nestor« gehörte zu den nobelsten Restaurants der Stadt und viele meiner Geschäftspartner verkehrten dort.

Als ich um die Kurve bog, sah ich sie bereits unter der Laterne stehen. Zu meinem Entsetzen trug Isabell auch heute wieder ihr gleiches Kleid und ihre geschmacklosen Schuhe. Ich sah auf die Uhr. Mist, um diese Zeit hatten die Boutiquen natürlich bereits geschlossen.Ein Mädchen in einem derart billigen Outfit ins »Nestor« zu führen, diente nicht unbedingt meinem Ruf als gediegener Ästhet. Es war vielmehr peinlich und sah so aus, als hätte ich gerade ein kleines Flittchen von der Straße aufgelesen. Im Grunde sah es genau so aus, wie es war.

Ich stieg aus dem Auto, um Isabell die Beifahrertür zu öffnen. Wortlos fuhren wir zum »Nestor« und es entging mir nicht der kritische Blick des Empfangskellners, als er uns die Tür öffnete.

Wir folgten ihm zu unserem Tisch. Ich rückte Isabell den Stuhl zurecht und setzte mich ihr gegenüber. Das Mädchen war hübsch. Im Licht der Kerze sah sie aus wie eine Prinzessin aus einem geheimnisvollen Land. Das warme und gedämpfte Licht verzauberte selbst das billige Kleid in eine Abendrobe, obwohl sich bei genauerem Hinsehen bereits Fäden vom Stoff lösten.

Ich bestellte eine Flasche weißen Dom Pérignon Vintage 1998 und der Ober überreichte uns die Speisekarte.

In meinem Hohlraum angekommen, schlief ich sofort ein. In dieser Nacht träumte ich viel und erwachte am nächsten Morgen voller bizarrer Erinnerungsfragmente. Ich wusch mein Kleid im Fluss, damit es bis zum Abend auch bestimmt trocken sein würde. Es war ein wolkiger Tag und die Sonne zeigte sich nur selten.

Den restlichen Tag verbrachte ich mit Tagträumen, in denen ich mir meine Zukunft ausmalte. Tagträume hatten mir all die Jahre hindurch geholfen, meine Trostlosigkeit in eine schöne, bunte Welt zu verwandeln. In diesen Träumen war ich die Heldin. Eine Heldin, die ein erfolgreiches Leben führte.

Mein heutiger Tagtraum brauchte keine Fantasiegeschichte zu sein. Vielmehr versuchte ich, mir die Wirklichkeit vorzustellen, die vor mir lag.

Am frühen Abend quälte ich mich in gewohnter Weise in meine High Heels und zog mein Kleid über.

Mehr als pünktlich stand ich an meinem Platz und erwartete Jonathan. Er rauschte in seinem Geschoss um die Kurve und öffnete mir die Wagentür. Ich roch sein feines Männerparfum. Jonathan trat an diesem Abend ausgesprochen elegant auf.

Er führte mich in ein piekfeines Restaurant. Mit meinen Eltern war ich, wenn überhaupt, nur in einfache Gaststätten zum Essen gegangen. Hier hingegen handelte es sich um etwas sehr Nobles. Das war auf den ersten Blick zu erkennen. Jonathan schob mich vor sich her zu unserem Tisch und half mir, den Sessel zurechtzurücken. Im Licht der Kerze sah er gut aus. Er war mehr als doppelt so alt wie ich und somit für mich wirklich steinalt. Aber er war ein attraktiver Mann, das musste man ihm lassen. Seinen Verfall würde ich nicht mehr miterleben, bis dahin würde ich mein Studium abgeschlossen haben und über alle Berge sein. Für den Moment jedoch erfüllte er seinen Zweck.

Der Gedanke amüsierte mich und ich musste lachen. Als Beweis dafür, dass er nicht Gedanken lesen konnte, lachte Jonathan zurück.

Er bestellte unser prickelndes Getränk, das mir allmählich zu schmecken begann. Als er den Kellner fragte, welchen Champagner das Haus führte, erfuhr ich erstmals, um welches Getränk es sich dabei eigentlich handelte. Ich hatte Champagner zeitgleich mit Jonathan kennengelernt und würde seinen Geschmack für immer mit ihm in Verbindung bringen.

Wir stießen an und lächelten uns zu. Zu sagen hatten wir uns nichts.

Jonathan forderte mich auf, die Speisekarte zu öffnen. Beim Anblick der Preise glaubte ich, vom Sessel zu fallen.

Jonathan bemerkte meinen entsetzten Blick. »Was ist los?«

»Ich kann hier nichts bestellen.« Er schien meine Antwort misszuverstehen und wirkte augenblicklich genervt.

»Ich meine damit, es ist hier alles so schrecklich teuer.«

Jonathan winkte sichtlich erbost den Ober herbei. Wirsch fragte er ihn, warum die Dame eine Karte mit Preisen erhalten hatte und der Kellner beeilte sich mit einer überschwänglichen Entschuldigung, mir eine Karte ohne Preisangaben zu überreichen.

»So«, schloss Jonathan die kurze Unterhaltung und widmete sich wieder der Auswahl seiner Nahrungsmittel. So einfach war das für ihn. So schwierig hingegen war es für mich. Ich konnte nicht binnen Sekunden in eine andere Welt eintauchen und mein altes Leben einfach abschütteln.

Als der Ober kam, sah mich Jonathan erwartungsvoll an. Ich sagte nichts. Ich hatte mir nichts ausgesucht. Und so bestellte Jonathan ohne weitere Diskussion zwei Steaks medium rare.

Noch bevor das Essen kam, zog Jonathan den Vertrag hervor und überreichte ihn mir.

Ich nahm ihn entgegen und begann, zu lesen. Es war alles, wie wir es vereinbart hatten, schriftlich festgehalten.

Jonathan würde mir ein möbliertes Zimmer zur Verfügung stellen. Er würde für sämtliche Universitätsgebühren und Lernmaterialien aufkommen. Zudem würde er mir ein monatliches Gehalt überweisen, das mir zur freien Verfügung stand. Benötigte ich darüber hinaus Geld, musste ich ihm dies plausibel erklären und es wäre situationsbedingt verhandelbar. Über die Höhe des Gehalts stand nichts geschrieben.

Im Gegenzug waren seine Forderungen an mich, dass ich ihm sexuell uneingeschränkt zur Verfügung stand. Zu jeder Zeit und in jeder Form, die ihm verhalf, seine Lust zu befriedigen. Ich hatte nicht das Recht, mit einem anderen Mann sexuell zu verkehren. Ich hatte nicht das Recht, Ansprüche zu stellen, die nicht im Vertrag festgelegt waren. Ich versicherte mit meiner Unterschrift, dass er das alleinige Recht auf meinen Körper hatte. Bei Vertragsbruch würde er mich fristlos und mit sofortiger Wirkung entlassen und mir alle bisher getätigten Zahlungen in Rechnung stellen.

Würde er das Interesse an mir verlieren, dann räumte er mir das Recht ein, mein Studium in der Mindestzeit zu Ende zu bringen und weiterhin dafür aufzukommen.

Es war mir insgesamt untersagt, ihn aufzusuchen. Während der Vertragsdauer, die sich auf die Zeit des Studiums beschränkte, lag es einzig an ihm, mich zu sich zu rufen oder mich aufzusuchen, wenn ihm danach war.

Mir war es meinerseits untersagt, während der Vertragsdauer aus dem Vertrag auszusteigen. Wenn ich dies in Erwägung zog, würde er mir auch hier sämtliche getätigten Ausgaben in Rechnung stellen.

Er erklärte sich bereit, nach Vorlage meines universitären Stundenplanes, die verpflichtenden Vorlesungen und Seminare zu respektieren und während dieser Zeit nicht nach mir zu verlangen. Darüber hinaus musste ich ihn schriftlich um Freistellung bitten und ansonsten war ich verpflichtet, binnen einer Stunde in meinem Apartment zur Verfügung zu stehen, wenn er telefonisch nach mir verlangte.

Ich las mir jeden Satz aufmerksam durch.

Ich beobachtete Isabell mit Argusaugen, während sie las.

Es war mir klar, dass unser Vertrag jeden Juristen höchstens zum Schmunzeln gebracht und dieser ihn als völlig unsinnig zurückgewiesen hätte. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht war es weder legitim, einen vertraglichen Anspruch auf einen menschlichen Körper zu stellen, noch würde ich irgendeine getätigte Zahlung in diesem Fall zurückverlangen können. Dass im Vertrag nur die Vornamen Jonathan und Isabell ohne weitere persönliche Daten erschienen, war der Gipfel der Stümperhaftigkeit.

All das war mir jedoch egal. Es handelte sich hier um einen internen Profitausgleich zweier Menschen. Die Außenwelt sollte von diesem Deal nichts erfahren.

Was Isabell tat, war illegal und was ich tat, war es wohl auch. Sie versteuerte weder ein Einkommen, noch erfüllte sie die Auflagen nach dem staatlichen Geschlechtskrankheitengesetz. Ich hielt ihr einen völlig haltlosen Vertrag unter die Nase. Zwei Kleinkriminelle warteten auf ihre Steaks.

Meinem scharfen Blick entging nicht der tiefe Atemzug, den ich bereits von Isabell kannte. Sie tat dies scheinbar immer dann, wenn sie eine Entscheidung getroffen hatte und kurz davorstand, diese umzusetzen. Ihr tiefes Einatmen war für mich das Zeichen, dass ich ihr den Füllhalter reichen konnte. Ich selbst hatte bereits in meinem Apartment unterzeichnet. Isabell ergriff den Stift und setzte ihren Namen unter den Vertrag.

Unser Geschäft war beschlossen und besiegelt.

Jonathan hielt mir einen Füllhalter entgegen. Ich unterzeichnete. Wirklich wohl war mir dabei nicht zumute. Einige Punkte machten mir Sorgen. Woher sollte ich all das Geld nehmen, wenn ich aus irgendwelchen Gründen den Vertrag nicht mehr einhalten konnte? Was, wenn ich seinen Telefonanruf überhörte und nicht binnen einer Stunde zu Hause war? Was meinte er mit »jeder Form, die ihm verhalf, seine sexuelle Lust zu befriedigen«? Ohne Jonathan zu kennen, konnte ich jedoch bereits jetzt mit Bestimmtheit sagen, dass er kein Mann war, mit dem man verhandeln oder Kompromisse schließen konnte. Ich unterschrieb, weil ich wusste, dass er den Vertrag nicht zu meinen Gunsten abändern würde. Und ich unterschrieb, weil ich befürchtete, er würde sonst im selben Moment aussteigen und mein Traum, zu studieren, wäre mit einem Schlag geplatzt. Kaum hatte ich meine Unterschrift gesetzt, nahm er mir ein Schriftstück ab. Das andere blieb mein Exemplar, das mich für die nächsten Jahre stets daran erinnern sollte, dass ich von nun an die vertraglich verpflichtete Gespielin von Jonathan – Nachname unbekannt – war. Ich hob meinen Hintern und schob den Wisch darunter. Damit wollte ich nichts symbolisieren, ich wusste nur nicht, wohin ich ihn sonst legen sollte.

Isabell legte durchaus ein unkonventionelles Verhalten an den Tag. Sie trug ausnahmslos dieselbe Kleidung und schien kein Problem damit zu haben. Sie hatte auch nie eine Handtasche bei sich, jenem Gegenstand, von dem ich dachte, eine Frau könnte ohne ihn nicht überleben. Isabell war ungeschminkt. Und sie schaffte es, ihre Hände von ihren Haaren fernzuhalten. Nun setzte sie sich auf den Vertrag, weil sie wohl nicht wusste, wohin sie den Bogen sonst stecken sollte. Isabells Natürlichkeit faszinierte mich. Sie war durch und durch sie selbst. Das war in unserer Gesellschaft, in der so viele Menschen eine Rolle einnahmen, alles andere als alltäglich. Ihre Verhaltensweise amüsierte mich und machte das Mädchen unheimlich sexy.

Als der Ober die Steaks brachte, riss sie Augen und Mund wie ein kleines Kind beim Anblick des Weihnachtsmannes auf. Man hätte meinen können, Isabell hätte seit langer Zeit nichts zu essen bekommen und war völlig ausgehungert. Zu meiner Erleichterung legte sie respektable Tischmanieren an den Tag. Es machte Freude, ihr beim Essen zuzusehen. Und es erstaunte mich, wie viel so ein kleiner Körper verdrücken konnte.

Der Fauxpas geschah kurz nach dem Essen, als sich wohl ein Stück Fleisch in Isabells Zähnen verfangen haben musste. Ich bemerkte ihren suchenden Blick, konnte ihn aber erst einordnen, als Isabell sich bereits mit einem – vielleicht waren es auch zwei – ihrer Haare in den Mund gefahren war. Das konnte nicht ihr Ernst sein! Isabell verwendete tatsächlich ihr Haar als Zahnseide? Hier, im »Nestor«? Die Situation war mehr als peinlich. Ich musste reagieren! Gleichzeitig war es aber genau das, was mir gefiel: Isabells Authentizität jenseits gesellschaftlicher Zwänge und Etiketten.

Wir sahen uns immer wieder an, ohne den Wunsch zu verspüren, uns gegenseitig etwas mitzuteilen. Ich zumindest verspürte diesen Wunsch nicht und ich schätzte es an Isabell, dass auch sie mich nicht mit irgendwelchen Banalitäten aus ihrem Leben konfrontierte. Das Mädchen blieb in ihrer eigenen Gedankenwelt verhaftet. Genauso gefiel es mir.

Das Essen war großartig und ich hatte riesigen Hunger. Am liebsten hätte ich geschlungen, aber ich riss mich zusammen und kaute langsam und manierlich. Meine Eltern hatten stets großen Wert auf gutes Benehmen gelegt. Für sie war es immer wichtig gewesen, mit Stil und Würde durchs Leben zu gehen. Auch wenn wir nie der Oberschicht angehört hatten. Es war lange her, dass mir jemand beim Essen auf die Finger gesehen hatte, aber ich konnte mich an all ihre Regeln noch gut erinnern. Ich gab mir Mühe, dem Rahmen zu entsprechen und empfand Freude dabei, wie eine richtige Dame ausgeführt zu werden.

Vor einigen Jahren hatte ich mir ein Stück Stockzahn ausgebissen. Seither blieben in diesem kleinen Zwischenraum ständig Nahrungsreste hängen. Dass ich meine ärgerliche Zahnlücke mit einem Haar von einem Stück Fleisch zu befreien versuchte, passierte unbewusst. Jonathans »Isabell, bitte!« war mir peinlich und ich spürte, wie mein Gesicht zu brennen begann. Mein neues Leben inmitten der Gesellschaft würde meinem Verhalten einige Veränderungen abverlangen.

Jonathan beobachtete mich, ohne ein Wort zu sagen. Und ich sagte auch nichts.

Wir leerten die Flasche Dom Pérignon und Isabell ließ keinen einzigen Bissen auf ihrem Teller übrig. Das Kerzenlicht flackerte zwischen uns und von rundum waren die leisen Gespräche der anderen Gäste zu vernehmen. Mir gegenüber saß eine bildhübsche Frau, die mir nicht auf die Nerven ging. Es war ein absolut gelungener Abend, wie ich ihn seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatte. Ich bestellte für Isabell noch eine Crème brûlée und für mich meinen Lieblingscognac, einen Remy Martin Louis XIII. Es machte mir Spaß, Isabell zu beobachten. Genüsslich ließ sie jeden Bissen in ihrem hübschen Mund zergehen. Was war sie nicht für eine appetitliche junge Frau.

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