Читать книгу For that Moment - Nena Muck - Страница 18
ОглавлениеEmmi
»Wenn ich dir eine Sache im Leben geben könnte … Ich würde dir die Fähigkeit geben, dich selbst durch meine Augen zu sehen, nur dann würdest du erkennen, wie besonders du für mich bist.«
– Unbekannt
»Puh, das ist doch gar nicht so schlecht gelaufen«, atme ich erleichtert aus, nachdem ich meine Mom verabschiedet und die Tür hinter mir geschlossen hab. Vince lässt hörbar die Luft entweichen und zuckt mit den Schultern.
»War ganz okay.«
Er krallte sich während des gesamten Essens an meine Hand, als wäre ich ein Anker inmitten von meterhohen Wellen und Sturm und anfangs war die Unterhaltung auch noch sehr steif, wurde mit der Zeit aber immer entspannter und letztendlich musste ich ihn nur dreimal in seinen Oberschenkel kneifen, um darauf hinzuweisen etwas netter zu sein. Also alles in allem ein Erfolg.
»Es war mehr als okay«, strahle ich, woraufhin er übertrieben missmutig knurrt.
»Wenn du meinst.«
Ich muss kichern, als ich ihm von hinten die Arme um den Bauch schlinge und ein »Danke« an seinen Rücken flüstere, bevor ich ihm einen sanften Kuss darauf gebe und er brummt.
»Kein Problem.«
»Alles okay?«, frage ich und lasse ihn los, damit ich ihn zu mir umdrehen kann.
»Ja klar«, murrt er, weicht aber meinem Blick aus, indem er mit einer meiner Haarsträhnen spielt, die mir auf das Schlüsselbein fällt. Es war sicher schwer für ihn, hier mit meiner Mom zu stehen, die aus ihrer Abneigung zu ihm noch nicht mal einen Hehl macht. Genau wie die meisten anderen Menschen. Das hat er einfach nicht verdient. Es ist nicht fair und tut mir so unendlich leid. Er hat so viel durchgemacht und dieses gottverfluchte Heim, in das er musste, weil seine Mom starb und sein Vater ihn einfach so weggab, ist nun mal der Ursprung all seiner Probleme: diese ungezügelte Wut, die ihn auffrisst und der mangelnde Respekt vor Frauen. Er behandelt die Frauen auch nicht so, weil er sie zwingend verletzen möchte, er lässt einfach nichts und niemanden an sich ran, weil er Angst hat, er könnte ihnen eines Tages genauso gleichgültig werden, wie seiner Familie. Oder seinem Vater, der verrückt sein muss, wenn er jemanden wie ihn einfach so aus seinem Leben streicht. Es hat ihm nie jemand beigebracht, ein Mann zu sein. Es hat ihm nie jemand gezeigt, wie man liebt. Niemand war je stolz auf ihn oder hat ihm gezeigt, was richtig und was falsch ist. Seit er klein ist, kämpft er einfach nur ums Überleben. Als meine Mom ihm sagte, dass sie ihn für begabt hält, konnte ich sehen, wie sie allein mit dieser Aussage kurz unter seinen Panzer drang. Was sie natürlich mit der Frage nach seinen Eltern sofort wieder zerstört hat.
»Wieso hast du mir nie von deiner Mom erzählt?«, frage ich vorsichtig und er verspannt sich innerhalb eines Wimpernschlags.
»Weil es da nichts zu erzählen gibt«, zuckt er mit den Schultern.
»Ich wusste nicht, dass du dich an sie erinnerst«, sage ich so sanft wie möglich.
»Tue ich auch nicht«, antwortet er jetzt schon wesentlich barscher und ich seufze. Was ich jetzt sagen werde, wird einen Streit heraufbeschwören, aber es muss sein.
»Ist sie das auf dem Foto in deinem Buch?«
Er hört sofort auf, mit meiner Strähne zu spielen.
»Was hast du gesagt?«, knurrt er zwischen zusammengebissenen Zähnen und schiebt mich automatisch ein Stück von sich. Es ist, als würde die Temperatur in diesem Raum schlagartig um 15 Grad fallen und ich zucke mit den Schultern, immer noch mit unendlich viel Verständnis im Blick.
»Ich hab es zufällig gesehen.«
Er schnaubt abschätzig »Natürlich.«, bevor er mich wegschiebt und sich an mir vorbei drängt.
»Vince. Ich will dir doch damit nichts Böses, ich …«
»Ach, nein …?«, blafft er mich an. »Ich hab dir gesagt, dass ich nicht darüber reden will und dass du es gut sein lassen sollst. Wieso will das nicht in deinen Sturschädel?«, brüllt er, während das kleine Stück seines Gesichts, das kein Bluterguss ziert, feuerrot wird, und ich einen Schritt auf ihn zumache
»Weil das nichts bringt Vince. Du musst darüber reden. Du kannst es nicht in dir einsperren. Es macht dich kaputt. Ich sehe doch, wie sehr du darunter leidest«, flehe ich und er wendet sich ab.
»Bullshit. Das ist mir einfach scheißegal. Ich erinnere mich ja kaum an sie.« Doch ich kann hinter seiner Abwehr den Schmerz erkennen, den er so verzweifelt versucht, von sich zu drücken. Aber er muss sich hindurch kämpfen und ich werde ihm dabei helfen.
»Das ist es nicht Vince«, protestiere ich sanft, als ich noch einen vorsichtigen Schritt auf ihn zugehe und er hin und her tigert wie ein eingepferchtes Tier.
»Wie alt warst du, als sie gestorben ist?«, frage ich so behutsam wie nur möglich und er knurrt und murrt und rauft sich verzweifelt die Haare.
»Keine Ahnung … fünf oder so.« Er streicht sich verbissen über seine Arme und seine Brust. Es sieht aus, als würde seine Haut jucken, als wollte er aus ihr heraus und einfach jemand anders sein. Es ist schrecklich, es mit anzusehen. Genauso gut könnte man mir ein Messer ins Herz jagen.
»Verstehe … und dein Vater …?«
»Wen interessiert dieser scheiß Wichser?«, brüllt er aus vollem Hals, während die Ader an seiner Schläfe pocht und er die Hände zu Fäusten ballt. »Er hat mich einfach im Stich gelassen …!« Seine Stimme zittert vor Wut. »Er hat mich einfach weggegeben … bevor er Jahre später eine neue Frau geheiratet und ein neues Kind bekommen hat. Das alles gekriegt hat, was er wollte, weil er verflucht noch mal stinkreich war und in einem gottverdammten Schloss gewohnt hat, während ich auf dem kalten, beschissenen Boden schlafen musste.« Er schreit so laut, dass seine ohnehin angeschlagene, raue Stimme versagt und er gegen den Küchenblock tritt.
»Woher weißt du das?«, frage ich völlig mutlos und er schnellt zu mir rum. Die Wut hat ihn vollkommen in Beschlag genommen.
»Weil sie zusammen mit diesem beschissenen Rechtsverdreher von Onkel das Erbe angefochten haben«, knurrt er gereizt, als wäre das glasklar, bevor er zynisch und bitterböse lacht.
»Kannst du dir die bescheuerten Gesichter von dieser perfekten Familie vorstellen …« Er deutet fragend und gehässig auf mich. »In dem Moment, indem sie begreifen, dass das ganze Geld ein asoziales Kind bekommt, was er in ein gottverdammtes Heim abgeschoben hat?«, lacht er bissig.
»Muss beschissen gewesen sein herauszufinden, dass das ganze Leben eine Lüge war.« Seine Stimme ist giftig und kalt und seine Wut ist nicht zu übersehen, aber da ist noch ein anderes Gefühl, das sich unter seinen Zorn gemogelt hat.
Enttäuschung? Alles, was er sagt, trieft vor Zynismus und Verachtung, dennoch kann man ganz klar den Schmerz und die Bitterkeit hinter seiner Boshaftigkeit erkennen, während er ins Leere starrt und mit der Dekopfeffermühle auf unserem Küchenblock spielt. »Ich hab sie gesehen.« Er faucht abschätzig. »Scheiß Proleten. Am liebsten hätte ich …« Er beißt sich so sehr auf die Lippe, dass ich sehen kann, wie sehr es schmerzt, » … ich brauche sein scheiß Geld nicht …« Er stößt die Mühle zurück auf den Tresen. » … als würde das irgendwas wieder gut machen.« Ich sehe, wie die Empfindung des Nichtgewolltseins in ihm nachhallt und er dichtmacht, als er sich an die Küche lehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich stehe einfach nur sprachlos da und sehe ihn an, während seine Worte an meinem Herzen zerren und es zu zerreißen drohen. Er hat so viel Potenzial und so verdammt viel Talent. Er ist gütig und witzig und hat so viel Liebe zu geben. Er ist eine Ausstellung voll von außergewöhnlichen Kunstwerken, doch die Welt hat die Augen geschlossen. Aber ich kann sie sehen. Ich sehe ihn. Ich wünschte, ich könnte ihm klarmachen, was für ein Privileg das ist, doch zuerst muss er aufhören, sich vor mir zu verschließen. Ich nähere mich ihm vorsichtig und lege meine Hand auf seine Schulter, doch wie erwartet weicht er vor der Berührung zurück.
»Nein Emmi … Bitte … lass!«
Aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Ich greife um seine Schultern und schmiege mich an seinen Rücken, um die kindliche Angst, die ihn erfasst hat, zu vertreiben, doch er schüttelt mich ab und knurrt. »Hör damit auf. Ich meine es ernst.«
»Nein«, protestiere ich und umgreife ihn wieder. »Ich brauche dich«, flüstere ich sanft an seine Schulter, während er sich wehrt.
»Nein verflucht, hör auf.«
Doch ich umschlinge seinen Bauch erneut.
»Nein.«
»Verdammt, Emmi«, blafft er, während ich mir vorkomme, als würde ich versuchen, auf einem wilden Bullen zu reiten, doch ich lasse nicht los, während er sich unter mir windet.
»Ich liebe dich«, hauche ich an seinem Hals.
»Nein …« Seine Stimme wird sanfter, trauriger, gebrochener, während seine Bewegungen ruhiger, doch ruckartiger werden. »Bitte lass mich …«, seufzt er fast ergeben, doch ich schüttele den Kopf.
»Ich werde nicht loslassen«, wispere ich, während ich den Griff um seinen Bauch lockere und meine Hände auf seine Brust lege. Sein Widerstand wird geringer. »Ich bin hier,«, flüstere ich, als er langsam aufgibt und seine Schultern erschöpft nach vorne fallen. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Rücken und warte einen Moment, bevor ich mich langsam löse und ihm bedeute sich umzudrehen. Er tut es und ich lege meine Hände an sein Gesicht. Er meidet meinen Blick, doch ich zwinge ihn dazu. In seinen Augen tobt ein wilder Sturm, während der Schmerz seine Kieferpartie versteinert. Ich streiche darüber und wiederhole meine Worte.
»Ich bin hier.« Ich streiche zu seinen Haaren, vergrabe meine Finger darin. »Ich liebe dich.« Und er lässt seinen Kopf auf meine Schulter sinken, bevor er mich umschlingt und so fest an sich presst, dass ich den Boden unter den Füßen verliere und ich glaube, er merkt es nicht einmal. Ich streiche ihm in kleinen kreisenden Bewegungen über den Rücken und lege meinen Mund an sein Ohr. »Ich lasse nicht los.«
Er lässt sich mit dem Rücken an die Wand fallen und rutscht langsam an ihr zu Boden, während ich automatisch auf seinen Schoß sinke, als wir am Boden ankommen. Ich streiche ihm durchs Haar, bis er seinen Griff lockert. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, bis er seinen Kopf nach hinten fallen lässt und mich ansieht, bevor ich tröstend über sein Gesicht fahre. Ich fahre über die ausgeprägte Kieferpartie und seine vollen Lippen, über seine zarte Nasenspitze und über die dunkeln, dichten Augenbrauen, unter denen sich Augen verstecken, die ich nie vergessen werde. So stürmisch und geheimnisvoll wie der endlose Ozean. Er atmet geräuschvoll aus »Jetzt tu ich dir leid«, brummt er, als wäre er enttäuscht von sich selbst, doch ich schüttele nur den Kopf und lächle tröstend, während ich weiter über diese makellosen Gesichtszüge streiche und ihm in die Augen sehe. »Sie tun mir leid.« Er zieht fragend die Brauen zusammen und ich wische mit dem Finger darüber.
»Wenn du dich doch nur mit meinen Augen sehen könntest.«