Читать книгу Pretty Happy - Nena Schink - Страница 21
ОглавлениеDu schuldest niemandem Schönheit
„Dein Selbstwert wird von dir selbst bestimmt. Du bist nicht auf jemand anderen angewiesen, der dir sagt, wer du bist.“
Beyoncé
Ich gehöre der Generation Filter an, jener Gruppierung, der das eigene Aussehen unfassbar wichtig ist. Auch für mich war es jahrelang von zentraler Bedeutung, als hübsche Frau wahrgenommen zu werden. Mein Selbstbewusstsein zog ich aus meinem Äußeren und mein Erscheinungsbild nahm einen geradezu absurden Stellenwert ein. Jahrelang. Ich hatte das Gefühl, schön und makellos sein zu müssen, um geliebt zu werden.
Damit bin ich nicht alleine. Wie mir geht es vielen jungen Frauen. Eine Umfrage der britischen Non-Profit-Organisation Girlguiding ergab, dass 66 Prozent der Mädchen zwischen elf und 21 Jahren das Gefühl haben, nicht gut auszusehen.39
Die Autorin Erin McKean hat einmal gesagt: „Du schuldest niemandem, schön zu sein. Nicht deinem Freund, nicht deiner Mutter, nicht deinen Kollegen und insbesondere nicht zufälligen Männern auf der Straße. Du schuldest es nicht der Zivilisation im Allgemeinen. Schönheit ist keine Miete, die wir für die Besetzung eines weiblich gekennzeichneten Raums zahlen.“ 40
Manchmal frage ich mich, wie meine Jugend gewesen wäre, wenn ich dies schon früher verstanden hätte. Dachte ich doch zu lange, dass ich der Gesellschaft und meinem Umfeld Schönheit schulde. Mein Drang nach Makellosigkeit und Perfektion begann mit einem Casting.
Sommer 2009
Es ist heiß. Bestimmt über 30 Grad. Ich sitze in einem Raum mit sehr vielen Mädchen. Die meisten sind blond, so wie ich. Wir sind alle ungefähr in demselben Alter. Ich versuche, mich von den Gesprächen der anderen nicht ablenken zu lassen, konzentriere mich auf das Papier in meiner Hand und gehe meinen Text durch. Wort für Wort, Zeile für Zeile. Lautlos murmele ich die Sätze vor mich hin. Gleich beginnt mein Vorsprechen für die Rolle der Betty in dem deutschen Disney-Film Rock It!.
Dieses Mal soll ich nicht nur schauspielern, sondern auch singen. Das Lied La La Land von Demi Lovato habe ich selbst ausgewählt. Noch nie zuvor habe ich in der Gegenwart anderer Menschen gesungen. Deshalb bin ich nervös, streiche mir durch die Haare, schaue auf die Uhr und überlege, wann ich wohl dran bin.
Dann ist er da, der Moment, in dem ich abliefern muss. Ich spiele einige Szenen, singe und verlasse den Casting-Raum mit einem guten Gefühl. So schlimm war das Vorsingen gar nicht. Aber ob ich die Rolle der Betty spielen darf? Ich zweifele. An mir und an meiner Leistung.
Wenige Tage später kommt die Zusage. Ich bin überglücklich. Es folgen vier Wochen Schauspieltraining und Gesangsunterricht. Die Zeit ähnelt einer Klassenfahrt. Es ist nur noch viel schöner. Ich merke, wie sehr ich die Schauspielerei liebe, das Adrenalin vor den Szenen, die Möglichkeit, in eine neue Welt einzutauchen. Das völlige Kontrastprogramm zu meinem Schulalltag.
Dann beginnen die Dreharbeiten. Plötzlich verspüre ich immer öfter den Drang, mich von meiner besten Seite zeigen zu müssen, mich zu perfektionieren. Vielleicht, weil ich Teil dieser Welt sein möchte. Ich habe den Eindruck, makellos schön sein zu müssen.
Dieser Prozess ist schleichend. Irgendwann gehe ich nicht mehr ohne Schminke aus dem Haus. Sitzt mein Make-up? Meine Kleidung? Sehe ich okay aus? Nicht weil ich nach Komplimenten lechze, sondern weil ich meine Unsicherheit verbergen möchte.
Während der deutschlandweiten Promo-Tour für Rock It! ist mein Terminkalender jetzt eng durchgetaktet. Premieren, Talkshow-Auftritte, Blitzlichtgewitter. Es geht nur noch darum, wann ich wo zu sein habe. Und wie ich aussehe.
Zunächst stört es mich nicht, will ich doch genau das, nämlich Teil dieser Glamourwelt sein. Ein Wermutstropfen ist jedoch, dass ich gerade wenig Kontakt mit meinem Vater habe. Er findet, ich würde mich zum Negativen verändern. Rock It! hätte mich oberflächlich werden lassen.
Je öfter ich in der Öffentlichkeit stehe, umso mehr beginne ich, mein Aussehen zu überprüfen – und die Reaktionen auf meine Person. Manch negativer Kommentar unter dem YouTube-Trailer von Rock It! trifft mich wie ein Dolch ins Herz.
Eigentlich müsste ich total glücklich sein. Mein Traum, in einem Kinofilm mitzuspielen, ist wahr geworden. Nach außen hin bin ich das auch: das glückliche, erfolgreiche Mädchen. Doch in meinem Inneren bin ich unsicher, nicht mit mir im Reinen. Unglücklich.
Sommer 2020
Es gibt Ereignisse im Leben, die dich nachhaltig verändern. Wo dir erst in der Rückblende bewusst wird, wie sehr dich diese Momente prägten.
Ich bin mir sicher, dass mein zu lang gelebter Wahn der Schönheit und äußerlichen Perfektion durch Rock It! entstanden ist. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen bin ich zu jung in diese Welt reingeschlittert und hatte zu wenig Selbstbewusstsein für das, was auf mich zukam. Zum anderen war ich nicht in der Lage, zwischen Arbeit und Privatleben zu unterscheiden.
Wie auch? Ich war 16 Jahre alt. Wenn ich heute einen Film beende, ist es mein Job, der endet. Die konstante Bewertung meines Aussehens, die mit der Schauspielbranche einhergeht, hat nichts mit mir als Privatperson zu tun.
Jetzt, an diesem lauen Sommerabend, bin ich traurig, mich in meiner Teenagerzeit nicht weniger um mein Aussehen geschert zu haben. Ich hätte weniger lange mein Selbstbewusstsein von äußeren Faktoren wie Schönheit abhängig machen sollen.
Wenn man immer nach Bestätigung von außen sucht, wird man sich selbst nie genug sein. Auch heute passiert mir das ab und an, doch im Gegensatz zu früher wird es mir bewusst und ich höre sofort auf mit dem Quatsch.
Meine goldene Regel lautet: Kenne ich meinen Wert und weiß, dass ich genug bin, brauche ich die Bestätigung von außen nicht.
Ich würde mein jüngeres Ich jetzt gerne in den Arm nehmen, ihr über den Kopf streichen, in die Augen sehen und sagen: „Rede dir bitte nie, nie, nie wieder ein, dass du für irgendetwas nicht gut, nicht schlau, nicht schön, nicht witzig genug bist. Konzentriere dich auf dich selbst. Schönheit kommt und geht. Die Werte, die am Ende des Tages zählen, haben nichts mit Aussehen oder Schönheit zu tun. Es geht vielmehr darum, ein liebevoller, freundlicher, bodenständiger und herzlicher Mensch zu sein. Am Ende des Tages erinnern sich die Leute nicht an dein Aussehen, sondern daran, was du sie hast fühlen lassen. Vor allem bist du es verdammt nochmal niemandem schuldig, schön zu sein! Nicht einmal dir selbst.“
Alle Leben sind unterschiedlich. Aber solltest du dich aufgrund deines Aussehens unsicher fühlen, an dir zweifeln oder dich fragen, ob du den Ansprüchen genügst, solltest du überlegen, woher dieses Gefühl kommt. Wann und vor allem wodurch wurde es in dir geweckt? Es gibt für alles immer einen Ursprung.
Es ist wichtig, zu diesem Ursprung zurückzukehren. Der Prozess ist schmerzhaft und hat viel von einer Versöhnung mit unserem jüngeren Ich. Aber es ist heilsam.
Notiz an uns selbst:
∞Unsicheres Auftreten hat immer einen Ursprung.
∞Werte, die wirklich zählen, haben nichts mit Schönheit zu tun.
∞Die Fokussierung auf unser Aussehen hemmt das Glück.