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Wie entstand der Mythos Schönheit?

„Für eine Frau ist Schönheit unbedingt wichtiger als Intelligenz, denn für Männer ist Sehen leichter als das Denken.“

Lil Dagover, Schauspielerin

9. August 1992

Das Cover des prestigeträchtigen Magazins Spiegel ziert eine barbusige Brünette mit wallenden Haaren, dem gängigen Schönheitsmaß 90-60-90 und perfekt geschminkten Augenbrauen. Die Überschrift: Der Schönheitswahn – makellos um jeden Preis.7 Als ich geboren wurde, diskutiert Deutschland also über die steigende Zahl von operativen Eingriffen. Im Namen der Schönheit.

Der Grund: Mehr als 100 000 Männer und Frauen legen sich pro Jahr auf die OP-Tische von plastischen Chirurgen. Für die Redaktion des Spiegels ein alarmierendes Signal, dass sich der Mythos Schönheit zum käuflichen Symbol für Erfolg und Lebensart gewandelt hat.

Seitdem hat sich der Wahn der Makellosigkeit stetig gesteigert. Die Anzahl der Schönheitsoperationen hat sich gar verdreifacht. Im Jahr 2019 wurden 386 000 Operationen im Namen der Schönheit erfasst. 86,8 Prozent davon wurden an Frauen durchgeführt, 12,3 Prozent an Männern, 0,1 Prozent sind nicht erfasst.8 Die beliebteste Schönheitsoperation war mit 8,3 Prozent die Brustvergrößerung.9

Für uns Autorinnen besonders erschreckend: Jede zweite deutsche Frau ist einer Schönheitsoperation gegenüber nicht abgeneigt.10

Übrigens wurde auch die erste Schönheitsoperation in der Geschichte an einer Frau durchgeführt:

„Erst die Prinzeß mit einem Trunk aus fiel heissem Branntewein und Stinwacholder zum Schlaffen gebracht; als dann ein Stück vom Nasbein herausgesäget, in der Mitten, wo es zufiel gewesen; als dann die zween Hälften zusammengefüget, alsdann ein Flecken Haut vom Schenkel drübergepflanzelt; alsdann das gantze feste verbunden.“ 11

Das war im Jahr 1759, als ein hessischer Landgraf nach dem Chirurgen Johann Balthasar schicken ließ, weil eine nette junge Frau in dem Adelshaus zur Vermählung anstand. Doch war sie im Gesicht mit einem Gewächs geschlagen, das eher einer Knollenfrucht glich. Als der Medikus Nadel und Faden aus der Hand legte, zierte eine feine Prinzessinnennase das blaublütige Gesicht. Die Chance auf eine Heirat war gerettet.

Bei der ersten Schönheitsoperation in der Geschichte stand also nicht das eigene Wohlbefinden im Vordergrund, sondern die Hoffnung auf eine baldige Vermählung. Die Prinzessin sollte durch eine Hochzeit finanziell abgesichert werden. Dafür musste ihr Antlitz den Männern gefallen.

Der Wunsch, dem männlichen Geschlecht zu gefallen, war schon im Mittelalter stark ausgeprägt, wo sich die wahrhaft vornehmen Damen eine Paste aus Essig, Eiweiß und Bleiweiß auf die Wangen strichen. Der bleiche Teint sollte sie von den sonnengebräunten Bäuerinnen und von Prostituierten unterscheiden, die frivoles Rouge auf blasse Grundierung platzierten.

Die englische Königin Elisabeth I. musste im Alter übrigens zentimeterdick spachteln – das Blei hatte ihre Haut zerfressen. Doch auch die Männer stäubten im 18. Jahrhundert kräftig Puder auf.

Der Wunsch nach Schönheit und Perfektion vereint also seit Jahrhunderten beide Geschlechter. Aber wieso gehen wir Frauen in puncto Aussehen stets weiter als die Männer, notfalls bis auf die Knochen? Die Psychologin Bärbel Wardetzki erklärt es im Spiegel wie folgt: „Aufgrund von Ermangelung anderer Aufgaben kümmerten sich die Damen über Generationen aufopferungsvoll dem rechten Verhältnis von Busen, Taille und Po.“ Frauen seien dafür besonders anfällig, weil ihre „Maske aus Schminke, Kleidung und äußerer Attraktivität“ nicht selten „Hauptquelle von Bewunderung und Zuneigung sei“.12

Diese Aussage ist auf den Tag so alt wie ich. Sie stammt aus dem Jahr 1992. Das Schlimme daran ist, viel hat sich seitdem nicht verändert. Im Gegenteil, der Schönheitswahn ist schlimmer geworden. Die Frauenmagazine präsentieren auch noch im Jahr 2020 fröhlich Diät- und Schminktipps. In einer gewissen Dosierung ist dagegen nichts einzuwenden. Doch zu viele Cover wirken gar den 1950er-Jahren entsprungen.

Warum uns manch ein Medienunternehmen nicht mehr zutraut, als den richtigen Lidstrich zu setzen, werde ich niemals verstehen. Ich bin mir sicher, die stetig sinkenden Auflagen eines Großteils der Frauenmagazine sind den nicht zeitgemäßen Artikeln, gepaart mit fehlendem Innovationsgeist, geschuldet.

Nicht nur die Verlage, auch die Werbung spielt eine entscheidende Rolle beim Entstehen des gesellschaftlichen Schönheitswahns. Vor einigen Monaten hing am Züricher Hauptbahnhof ein gigantisches Werbeplakat. Es zeigte eine junge, hübsche Frau, die sich entschieden hat, ihre Brüste operieren zu lassen. „Meine Dinger, mein Ding“, prangte als Botschaft auf dem Plakat. Die Wortwahl spricht Bände. Für Dagmar Pauli, Chefärztin im Bereich Kinder- und Jugendpsychologie, ist diese Verdinglichung „erschreckend und alarmierend“ 13 zugleich. Ich gebe ihr voll und ganz recht.

Wir sind von dem Fehlglauben geleitet, Glück und Liebe entstünden durch perfektes Aussehen. Auch empfinden wir den intrinsischen Wunsch, den Männern zu gefallen, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, anstatt den Fokus auf unsere eigene persönliche Entwicklung zu legen.

Die Gründe dafür sind vielseitig. Ebenso wie im Mittelalter beginnen Frauen und Mädchen früh, Schönheit als Hauptquelle für Glück und Anerkennung zu identifizieren. Der Wunsch nach dem perfekten Erscheinungsbild prägt das Denken. Das aber macht angreifbar, verletzlich. Es schwächt die eigene Entwicklung.

Im Laufe der Geschichte haben viele großartige Frauen über das Konzept Schönheit geschrieben, sei es Naomi Wolf mit ihrem Buch The Beauty Myth oder die großartige Chidera Eggerue mit ihrem Werk What a Time to Be Alone. Pretty Happy ist unsere eigene Interpretation, und anstatt kategorisch zu urteilen, möchten wir dich mit unserem Buch zum Nachdenken anregen.

Bevor wir dich nun auf eine Reise durch die vergangenen Jahrzehnte mitnehmen und das ein oder andere Schönheitsideal hinterfragen, bitten wir dich, die folgenden Fragen einmal ganz für dich allein zu beantworten. Du musst deine Antworten mit niemandem teilen.

Zweifelst du an deinem äußerlichen Erscheinungsbild? Falls ja: warum?

Vergleichst du dich mit anderen?

Hast du manchmal das Gefühl, nicht der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen?

Fühlst du dich von dem Schönheitswahn unter Druck gesetzt?

Wünschst du dir eine Schönheitsoperation?

Möchtest du mit deinem Aussehen anderen gefallen, vielleicht gar Likes in den sozialen Medien erzielen, um anerkannt zu sein?

Bearbeitest du deine Fotos? Falls ja: aus welchem Grund?

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