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Less: Russische Tundra
ОглавлениеSie hatten die Expedition in ein gutes Zeitfenster gepackt, dachte Less, während er den kristallklaren Himmel über sich betrachtete. Auf dem Weg war ihnen kein Schneesturm begegnet, die Temperaturen waren nicht nennenswert gesunken und die meiste Zeit hatten sie mit dem Schlitten fahren können.
Nun rasteten sie seit ein paar Stunden in der kleinen Siedlung, etwa zweihundert Kilometer von ihrer eigenen entfernt. Die Hinreise hatte knapp acht Tage gedauert, weil sie die erste Siedlung offenbar verfehlt hatten. Obwohl Less nicht wirklich daran glaubte. Amal konnte gut Karten lesen und auch Ciernick verstand sich darauf. Die ganze Zeit über hatten sie die Truppe sicher durch die Wälder und über die freien Flächen geführt. Daher kam es Less seltsam vor, dass sie eine ganze Siedlung verfehlt haben sollten. Abgesehen davon war es kein Problem gewesen, die darauffolgende zu finden.
Less ging also eher davon aus, dass die erste Siedlung überhaupt nicht mehr existierte und der Gedanke daran machte ihm Angst. Denn dort hatten sie das letzte Mal vor elf Jahren ihre Daten herbekommen. Wie lange die Siedlung wohl schon verschwunden war? Und warum?
Niemand sprach dieses Thema an, obwohl es die anderen ebenso beschäftigte. Besonders die zarte Maret. Ihre sorgenvollen Blicke entgingen Less nicht.
Glücklicherweise gab es nach dieser ersten Planänderung keine weiteren beunruhigenden Vorkommnisse mehr.
Less konnte nicht leugnen, dass er sich das ganze Vorgehen der Datenbeschaffung spektakulärer vorgestellt hatte.
Sie waren am Dorf angekommen und wurden zunächst misstrau-isch begrüßt. Die Menschen hier lebten in einfachen Häusern, gerade genug gedämmt, um in der Kälte zu überleben. Außerdem hielten sie Tiere in Ställen und ein Fluss lief in einigen Kilometern Abstand durch das Land.
Less konnte verstehen, dass sie die Truppe nicht mit offenen Armen begrüßten. Wann kam es schon einmal vor, dass sich Fremde in solch einen abgelegenen Landstrich verirrten? Wahrscheinlich nie. Ebenso wie es in ihrem eigenen Dorf nie passierte. Noch nie passiert war.
Da Malik und Amal von allen am besten Russisch beherrschten, übernahmen sie die Erklärung, warum sie hier waren und was sie dafür bieten konnten. Less hatte sich auf ewig lange Diskussionen, vielleicht sogar einen Kampf eingestellt, aber bereits nach einer halben Stunde willigte der Siedlungssprecher – oder wie auch immer er sich nannte – ein.
Während Ciernick, Maret und Malik den Leuten ihre Technologien zeigten und ihnen erklärten, wie sie anzuwenden waren, wurden Less und Amal in eine kleine Hütte geführt. Darin fanden sich Schneemaschinen, ausgebaute Motoren, Verkabelungen und anderer technischer Krimskrams. In der Ecke standen ein kleiner Monitor und ein Computer.
Nachdem der Siedlungssprecher sie hergeführt und erklärt hatte, wie alles funktionierte – was eigentlich nicht nötig war, denn selbst Less erkannte die Primitivität der Technologien – ließ er sie allein. Ein Wächter wurde an die Tür gestellt, der sie mit zugekniffenen Augen beobachtete.
Amal hatte Less angewiesen, sich zu setzen, während sie aus ihrer Tasche mehrere externe Speichergeräte kramte. Sie schloss sie an und loggte sich ohne große Probleme ins Netzwerk ein.
Dort bot sich Less eine ganz neue Welt. Soetwas hatte er noch nie in seinem ganzen Leben gesehen. Er sah kleine Würfel auf dem Bildschirm und beobachtete, wie Amal einige von ihnen anwählte und auf den externen Speicher kopierte. In rasender Geschwindigkeit veränderten sich die Zahlen im Infofeld neben den Würfeln. Offensichtlich war das Netzwerk in Datensätze geordnet, die alle verschiedenen Jahren und Unterkategorien zugeordnet waren. Less kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Wir kopieren hier Billionen von komprimierten Daten«, hatte Amal gesagt, aber unter dieser großen Zahl konnte sich Less kaum etwas vorstellen. Sie sagte auch, dass das überhaupt nicht legal wäre und dass er darüber bloß den Mund halten sollte.
Das Kopieren dauerte eine halbe Stunde, weil der Computer so langsam war. Dann zog Amal die externen Speicher ab und schaltete ihn aus. Mit einer Verbeugung bedankte sie sich noch einmal bei dem Wachmann, obwohl der wahrscheinlich überhaupt nicht genau wusste, was sie dort getrieben hatten. Less bedankte sich ebenfalls, verlor aber weiterhin kein Wort über das, was sie getan hatten.
Nun saß er in der Sonne auf seinem Schlitten, aß ein wenig kalte Pute und hoffte, dass sie ebenso problemlos heimfahren würden wie sie hergekommen waren. Er wunderte sich ein wenig, dass die Leute überhaupt nicht reagiert hatten, während sie diese Daten angeblich illegal kopiert hatten. Wussten sie nichts davon oder ignorierten sie es einfach großzügig?
Ihm gegenüber, in ein paar Metern Entfernung, standen Maret und Malik. Sie schienen sich über irgendetwas zu streiten, jedenfalls gestikulierte Malik wild in der Luft herum, woraufhin Maret wütend ihre Fäuste auf die Hüften stemmte. Sie trug keine Mütze, ihre blonden Haare wehten ihr ins Gesicht und sie blickte ihr Gegenüber äußerst unzufrieden an. Less spürte förmlich das Knistern in der Luft und fragte sich, wie lange die beiden wohl brauchen würden, um herauszufinden, dass sie mehr verband als nur gelegentliche Meinungsverschiedenheiten.
Gerade als er das letzte Stück seiner Pute verschlang, sah er aus dem Augenwinkel Amal und Ciernick zügig auf ihre Schlitten zugehen. Sie rannten nicht, aber viel fehlte auch nicht dazu.
»Wir gehen. Jetzt«, sagte sie und wie auf ein unsichtbares Zeichen hetzten alle zu ihren Schlitten, banden die losen Habseligkeiten fest und schnallten die Hunde an. Less hätte sich vor lauter Hektik beinahe an dem Stück Fleisch verschluckt. Amal schnalzte mit der Zunge und ihre Hunde rannten los.
Er sah sich um und bemerkte, dass einige der Dorfbewohner ihnen wütend oder panisch hinterher liefen. Einer startete ein Schneemobil. Unruhig trieb Less seine Hunde an. Immer wieder drehte er sich um und stellte beunruhigt fest, dass sie tatsächlich verfolgt wurden. Das Schneemobil war schneller als die Schlittenhunde. In wenigen Sekunden würde es sie eingeholt haben. Panik stieg in Less auf. Was um Himmels Willen hatte Amal gesagt oder getan, was die Leute so wütend machte?
Er konnte bereits das Gesicht des Mannes auf dem Mobil sehen, mit wutverzerrtem Mund schrie er etwas vollkommen Unverständliches. In der Hand hielt er ein Gewehr.
Nun brach das Entsetzen über Less herein. Völlig unkontrolliert schlackerte er mit den Zügeln herum, nur um die Hunde weiter anzutreiben. Sie spürten seine Angst und rannten um ihr Leben, aber gegen ein Schneemobil kamen sie nicht an.
Die Siedlung lag mittlerweile so weit hinter ihnen, dass Less nur noch braune Flecken als Häuser erkennen konnte. Im Augenwinkel sah er, wie der Mann auf dem Mobil das Gewehr anlegte, während er weiter lenkte. Der Lärm des Fahrzeugs drang kreischend an sein Ohr. Am liebsten hätte er die Zügel losgelassen und sich die Hände auf die Ohren gepresst.
Als er sich ein weiteres Mal umdrehte, sah er, wie der Mann zielte. Er zielte an ihm vorbei auf –
Die Hunde stoppten so unerwartet, dass Less über seinen Schlitten in den Schnee geschleudert wurde. Als er sich aufrappelte schmerzten seine Rippen, sein Arm und seine Schulter.
Plötzlich herrschte eine furchtbare Stille.
Less sah sich um. Alle Hunde hechelten wie verrückt, Malik und Maret starrten wie versteinert an ihm vorbei, Ciernick zeigte keine Regung und Amal atmete heftig ein und aus. In ihrer Hand hielt sie ein langes Messer.
Mit einem Blick zu dem Mann, der auf dem Mobil gesessen hatte, stellte Less fest, dass ein zweites Messer in dessen Brust steckte. Sein Blut sickerte in den Schnee und tränkte ihn rot. Seine toten Augen starrten in den Himmel.
Zuerst brachte Less kein Wort heraus, wie gebannt starrte er auf den toten Mann.
Maret fing sich als Erste. »Mein Gott, Amal. Was hast du getan?«
Amals Augen blitzten wütend. »Er hätte mich umgebracht, wenn ich nicht schneller gewesen wäre. Wir müssen weiter.«
»Warte mal. Halt. Warum hat der Mann uns verfolgt?«, fragte Malik mit einem Anflug von Zorn in den Augen. »Was hast du ihm erzählt? Was weiß er?«
»Ich habe ihm nichts erzählt, wer denkst du, bin ich?«, zischte sie ihn an. »Er ist wahrscheinlich selbst auf die Idee gekommen, dass - «
»Wahrscheinlich war der Wachposten am Schuppen doch nicht so dumm, wie er aussah, was?«, unterbrach Ciernick sie spöttisch.
Völlig entgeistert sah sie ihn an. »Das ist nicht witzig, Idiot. Wir müssen sofort weiter. Wir nehmen eine andere, längere Route. Es ist wichtig, dass wir unsere Spuren verwischen.«
»Was? Ich verstehe gar nichts mehr! Was ist passiert?«, fragte Less ungeduldig. Er hatte das Gefühl, jeder wusste über etwas Bescheid, nur er nicht.
Alle schwiegen. Amal schien abzuwägen, was man ihm anvertrauen konnte. Da wurde Less wütend.
»Ich bin mit hierher gefahren«, sagte er laut. »Ich stehe die gleichen Gefahren durch und ich muss jetzt wieder mit euch zurück, also wüsste ich gerne, was hier los ist! Ich bin kein kleines Kind mehr, verflucht!« Er sah Amal auffordernd an, wich ihrem harten Blick nicht aus. Bis sie nachgab, wenn auch nur ein bisschen.
»Der Typ im Schuppen hat vermutlich den Login gesehen, das Netzwerk. Das ist nicht das normale Netz und das hat er gesehen.«
»Was meinst du damit, es ist nicht das normale?«
»Wir loggen uns illegal in die Datenspeicher ein«, warf Ciernick ein, wieder mit einem leicht spöttischen Unterton. Less versuchte das zu ignorieren.
»Und warum war der Mann da so wütend?«
Amal verdrehte die Augen und fluchte. »Denk doch nach! Die Datenspeicher werden überwacht, was wann wo kopiert wird, wird aufgezeichnet und dem wird nachgegangen. Wir haben auf unsere externen Speicher Billionen von Datensätzen kopiert, die in sich noch mehr bergen. Wir haben auch militärische, höchst vertrauliche Informationen gezogen. Weißt du, wie schnell man darauf aufmerksam werden wird?«
Less nickte und seine Augen kniffen sich unwillkürlich zusammen. »Wir haben das andere Dorf nicht verfehlt, oder?«
Amal schüttelte den Kopf. »Wir fahren jetzt weiter.«
Less ging zu seinem Schlitten und fuhr hinter den anderen her über die riesige Eisdecke. Den Toten ließen sie hinter sich und binnen einer halben Stunde hatten sie mehrere Kilometer zwischen sich und die Siedlung gebracht. Eine seltsame Gleichgültigkeit hatte sich in Less ausgebreitet. In ein paar Tagen, das wusste er, würde diese einer tiefen Schuld weichen.
Womöglich lud er den Tod vieler Menschen auf sich. Und was tat er? Er fuhr davon.
Nun wusste er, was Hanah gemeint hatte, als sie davon sprach, wie furchtbar sie es fände, etwas Verbotenes zu tun. Es gab immer Unschuldige, die darunter litten.
Der Blick zurück machte ihm zu schaffen. Es schien, als wäre in der kleinen Gruppe eine Krankheit ausgebrochen, die jeden alle fünf Minuten über die Schulter sehen ließ. Less fühlte sich verfolgt. Und dieses Gefühl war neu für ihn und furchtbar. Es machte ihn krank.
Seit zwei Tagen fuhren sie nun durch die verschneite Landschaft, Kilometer von der geplanten Strecke entfernt. Sie vertrauten Amal, dass sie sie sicher führen würde.
Sie reisten nur bei Nacht und trugen helle Mützen und Jacken, damit sie auf dem leuchtenden Schnee schwerer zu erkennen waren. Tagsüber schliefen sie in den Wäldern und ketteten die Hunde an Bäume, damit sie nicht hinausliefen.
Maret, Malik und die anderen schwiegen über diesen angespannten Zustand. Ohnehin sprachen sie wenig miteinander. Und auch das machte Less zu schaffen. Er schwieg Dinge nicht gerne tot, besonders, wenn es wichtige Dinge waren, über die man unbedingt reden sollte. Aber niemand machte auch nur Anstalten, darüber zu sprechen, und wenn er versuchte, das Thema aufkommen zu lassen, schnitt man ihm das Wort ab. Less war kurz davor, Ciernick zu löchern, obwohl er das nur ungern tun wollte. Nach wie vor war ihm der Mann nicht geheuer. Aber Less hatte auch das Gefühl, dass er ihm Antworten geben konnte. Würde er seine Loyalität zur Gruppe verletzen, wenn er Ciernick fragte? Gab es hier überhaupt so etwas wie Loyalität? Amal schien nicht sehr loyal zu sein, jedenfalls nicht gegenüber schwächeren Mitgliedern wie ihm. Sie schien alles dem Gelingen der Mission zu unterstellen und diese Einstellung gefiel Less nicht. Es gab ihm das Gefühl, dass hier mehr vor sich ging, als er wusste. Viel mehr. Wie ein tiefer Ozean, in dem Kreaturen lebten, die man weder sehen noch hören konnte, denen man aber auch niemals über den Weg laufen wollte. Und das Wasser hier schien sehr, sehr tief zu sein.
Auf was hatte er sich da nur eingelassen?
Ciernick starrte in die verrauchende Glut. Er saß auf seinem Schlitten, den Oberkörper gebeugt wie ein alter, grimmiger Mann. Für Less war er genau das. Ergrautes Haar lag wirr auf Ciernicks Kopf und unter seinem graubraunen Bart, der ihm in den letzten Tagen gewachsen war, schimmerte seine wettergegerbte Haut wie rostiges Eisen.
Er saß alleine am ausgehenden Feuer. Die anderen lagen bereits in den Zelten und versuchten, ein wenig Schlaf zu bekommen. Erst in ein paar Stunden, wenn es die Abenddämmerung begann, wollten sie weiterfahren.
Less gab sich einen Ruck und stand von seinem Platz am nächsten Baum auf. Ciernick hatte ihn ohnehin schon bemerkt. Gezwungen ruhig setzte Less sich ihm gegenüber auf ein Alu-Kissen, das ihn vor der Kälte des Bodens schützte.
Ciernick sah ihn nicht an. In seinen Augen spiegelte sich das letzte, aufkeimende Gold des Feuers. Beim näheren Hinsehen bemerkte Less, dass Ciernick lange nicht so alt aussah, wie er vermutet hatte oder wie er ihn einschätzte. Im Gegensatz zu Murray sah er sogar richtig jung aus.
Eine lange Narbe verunzierte sein Gesicht. Sie zog sich von der linken Schläfe bis zum Mundwinkel. Less wusste nicht, woher sie kam.
»Was willst du, Junge?«, brummte Ciernick, nachdem Less eine Weile einfach nur dagesessen hatte.
»Ich? Gar nichts.«
»Hmhm.« Ciernick blickte Less in die Augen und reflexartig wich dieser seinem Blick aus.
»Es ist nur... «, begann Less und wurde sich gewahr, dass er sehr laut sprach. »Es ist nur«, flüsterte er weiter, »wir sind jetzt schon länger als zwei Wochen unterwegs, seit Tagen fahren wir durch diese endlose Landschaft. Kommt dir das nicht auch komisch vor?«
Der Mann blickte erneut in die Glut, nahm sich dann ein Stöckchen und stocherte ein wenig darin herum. »Du solltest nicht an Amal zweifeln.«
»Ich zweifle weniger an ihr als an der ganzen Unternehmung hier.«
»Nun, du bist jung. Ich schätze, das ist normal.«
Seine Worte schürten Less‘ Zorn. Er hasste es, wenn seine Jugend ihm vorgehalten wurde, nur um einer Antwort zu entgehen. »Ich mag jung sein, aber nicht naiv«, zischte er.
Ciernick sah ihn abschätzend an, Less konnte seine Abneigung gegen sich förmlich sehen.
»Jeder ist naiv, wenn er jung ist«, brummte der Mann.
»Ich weiß eine Menge mehr als andere in meinem Alter.«
Wieder sah Less diesen herablassenden, beinahe gelangweilten Blick in Ciernicks Augen, was ihn innerlich zur Weißglut trieb.
»Allein, dass du diese Tatsache so vehement verteidigst, zeigt doch, wie wenig du wirklich weißt oder verstanden hast. Und ich sehe die Wut in deinen Augen.«
»Du bist scheußlich und arrogant!«
»Ich bin ein Säufer. Natürlich bin ich scheußlich und arrogant.«
»Herrgott!«, rief Less aus und stand auf.
»Der hat damit gar nichts zu schaffen«, hörte er Ciernick hinter sich brummeln.
Wütend drehte Less sich zu ihm und starrte auf ihn nieder. »Ich weiß nicht, was dein Problem ist und warum du mich nicht magst, aber ganz ehrlich? Dich mag auch niemand. Du bist kaltherzig, du bist mürrisch und unfreundlich. Dein einziger Freund ist der Alkohol. Ich verstehe wirklich nicht, warum man dich mit auf diese Expedition genommen hat!« Less stapfte davon zu seinem Zelt.
»Du hast Angst« Ciernick war aufgestanden und hatte den Stock beiseite geworfen. »Du schlotterst ja beinahe.«
Rasend drehte Less sich ein weiteres Mal um. »Ich habe keine Angst!«
»Was ist hier los?« Amal stand vor ihrem Zelteingang. Sie hatte ihre Haare streng zusammen gebunden und einen dicken Mantel an. »Warum schreist du hier so herum?«
Less zeigte auf Ciernick. »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit.«
»Er mag mich nicht und ich ihn nicht«, erklärte Ciernick mit dunkler Stimme.
Amal schüttelte genervt den Kopf. »Lasst diese unreifen Geschichten. In ein paar Tagen sind wir wieder in der Siedlung, dann könnt ihr euch aus dem Weg gehen. Bis dahin haltet einfach euren Mund!« Sie warf Ciernick einen vernichtenden Blick zu, den er nur mit einem leichten Lächeln erwiderte. Ihre Kälte schien völlig an ihm abzuprallen. Less hingegen wich ihrem Blick aus. Er fühlte sich furchtbar klein, unerfahren und vor allem unreif. Er hatte sich nicht zügeln können und war aus der Haut gefahren, im Gegensatz zu Ciernick, der ruhig geblieben war. So etwas geschah nur naiven jungen Leuten, da musste Less ihm Recht geben.
In dieser Nacht verdrängte er seine Gedanken an die Verfolgung und an die Schuld, die er womöglich am Tod des Mannes trug. Er beschäftigte sich nur mit den Gedanken daran, dass ihm Teile für das Puzzle, das hier gelegt wurde, fehlten. Um jeden Preis wollte er diese Teile bekommen. Er nahm sich vor zu lernen, zu fragen und zu wissen. Mehr zu wissen als alle in der Siedlung.
Ganz tief in seinem Inneren wuchs ein Wunsch heran, ein Plan und ein Ziel, das erst in vielen Jahren ein Gesicht bekommen würde.