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DIE WELT NEU DENKEN

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Es ist eine verrückte Welt, in der wir leben. Wir sind uns einig, dass wir den CO₂-Ausstoß begrenzen müssen, und belohnen gleichzeitig Vielflieger mit exklusivem Zutritt zur Business-Lounge, Kofferanhängern und Statuskarten.18 Wir kompensieren unsere Defizite damit, dass wir uns »etwas gönnen«. Dazu gehört auch, dass »unterm Strich« nur wir zählen und wir uns von Kreuzfahrtanbietern versprechen lassen: »Hier ist das Lächeln zu Hause«, wenn bei uns zu Hause längst der Terror des »Beeil dich!« eingezogen ist. Wir pflegen eine Kultur, in der die Automobilindustrie immer neue Spritschlucker auf den Markt wirft, die wir dann in den Rang von Statussymbolen erheben – ein Anachronismus aus dem Zeitalter fossilen Irrsinns, den wir uns eigentlich längst nicht mehr leisten können.

Macht nichts – fangen wir neu an! Heute!

Lassen Sie uns mal ganz anders denken: Wie wäre es, wenn unsere Kinder keine emotionalen Defizite mehr mit Konsum kompensieren müssten? Wie wäre es, wenn unsere Kinder eine neue Kultur der Solidarität, sozialen Gerechtigkeit und eines sicheren Lebens für alle leben könnten? Wie wäre es, wenn sie von sich aus davon ausgingen, dass sie es wert sind, saubere Luft, saubere Böden, gesundes Essen zu haben – und dass sie das ohne Ängste mit allen Mitmenschen auf dem Planeten teilen könnten, weil genug für alle da ist?

Der Einzelne ist mit der Bewältigung von komplexen Problemlagen wie dem Klimaschutz überfordert. Aber es ist ja nicht unser Job, die Welt allein zu retten.

Wie wäre es, wenn unsere Kinder später mal Leute cool fänden, die eben keinen dicken Geländewagen durch die Stadt fahren, sondern die wenig arbeiten und viel Zeit haben, die sich ehrenamtlich engagieren, nie gestresst sind und lieber kurz vorbeikommen und klingeln, als zehn Kurznachrichten zu schicken?

Wie wäre es, wenn unsere Kinder es wieder cool fänden, wählen zu gehen, etwas zu bewegen, und wenn sie in einer Umgebung aufwüchsen, die es ihnen leicht macht, Autos zu teilen, Abfall zu vermeiden und Fahrrad zu fahren? Wenn wir aufhören könnten, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil es uns die Welt leicht macht, das Richtige zu tun?19 Denn wir alle wollen das Richtige, doch »der Einzelne ist mit der Bewältigung von komplexen Problemlagen wie dem Klimaschutz überfordert«20 – und es ist auch nicht unser Job, die Welt allein zu retten. Aber etwas anderes können wir. Wir können die Generation heranziehen, für die das alles selbstverständlich ist. Denn deren Erziehung wird auch das nächste Jahrhundert prägen.

Wem das zu utopisch ist, der sei an eine sehr alte Erkenntnis aus der Soziologie erinnert, nämlich dass Psychogenese und Soziogenese zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Psychogenese beschreibt, wie menschliches Verhalten, Affekte und Empfindungen entstehen und sich verändern. Unsere Psychogenese sah der deutsche Soziologe Norbert Elias als einen Grundpfeiler unserer Zivilisation21 – wie wir uns verhalten, was wir fühlen und wie wir reagieren, macht aus, ob wir in einer Gesellschaft voller Solidarität oder Egoismus, Rechtsstaatlichkeit oder Willkür, Nachhaltigkeit oder Wachstum leben. Elias sagte, die Gesellschaftsform, in die wir hineingeboren seien, präge unsere Psyche. Aber es gilt auch andersherum: Mit unserer Psyche prägen wir die Gesellschaft, in der wir leben! Wir wirken also auf sie zurück – wir, unsere Kinder und unsere Kindeskinder. Wenn wir eine neue Kultur erschaffen wollen, dann ist es klug, in den kleinen Seelen damit anzufangen.

Die Erziehung unserer Kinder wird die Gesellschaft unseres Jahrhunderts prägen.

Das Gleiche gilt übrigens für Infrastrukturen: Wie wir leben, wohnen, arbeiten, uns ernähren und unsere Freizeit verbringen, prägt nicht nur die Infrastruktur, die wir dafür aufbauen (Straßen, Flughäfen, Rad- und Wasserwege). Die Infrastrukturen prägen auch uns, sie werden sozusagen zu »mentalen Infrastrukturen«, zu inneren Vorstellungen davon, wie die Welt zu sein hat.22 Das macht es einerseits so schwer, Infrastrukturen (zum Beispiel die heute völlig auf den Autoverkehr ausgerichteten Städte) zu verändern, gleichzeitig werden diese Gemeinschaftseinrichtungen sich sofort verändern, wenn wir neue innere Bilder erschaffen.

Und wo könnten wir diese Bilder besser erschaffen als in der Erziehung unserer Kinder? Also schauen wir uns die Bilder doch noch mal an, mit denen wir bisher gearbeitet haben, und holen uns dann neue Perspektiven.

Der Elternkompass

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