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WARUM SCHWANGERE NICHT »WEITER FUNKTIONIEREN« MÜSSEN

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Man hört ja oft den Satz »Ich bin schwanger, nicht krank!«, und so gibt es auch keinen prinzipiellen Grund, als Schwangere nichts mehr zu tun. Im Gegenteil kann sich »extensiv auf der Couch zu sitzen« negativ auf die Kindslage und damit negativ auf die Geburt auswirken. In dem Buch Die Optimierung der Kindslage zum Beispiel raten die Autorinnen Jean Sutton und Pauline Scott dringend davon ab, sich zu viel auf dem Sofa und im Auto aufzuhalten. Stattdessen sollten schwangere Frauen sich bewegen, schwimmen und körperlich aktiv sein, damit sich das Kind im Bauch in die richtige Lage für die Geburt bringen kann. Die Autorinnen vermuten, dass die inaktive Lebensführung moderner Frauen zu vermehrten Steißlagen und Sternenguckern führen kann.33 Dennoch kann es sich auf der anderen Seite negativ auf Mutter und Kind auswirken, wenn schwangere Frauen sich überfordern und meinen, um jeden Preis »funktionieren« zu müssen. Also: Schwangere Frauen müssen nicht »geschont« werden. Aber sie sind auch nicht unverwundbar.

Besonders die Auswirkungen von Stress auf die Gesundheit des Gehirns beginnen im Mutterleib. Studien sowohl an Tieren als auch an Menschen haben gezeigt, dass vorgeburtlicher mütterlicher Stress das Gehirn und das Verhalten der Nachkommen beeinflusst.

Wenn die Mutter unter Druck gerät, schüttet sie Stresshormone aus, die durch die Plazenta auch das Ungeborene erreichen. Normaler Stress gehört natürlich zum Leben dazu, und auch Ungeborene können damit umgehen. Aber für chronischen Stress sind Mutter und Kind (und übrigens auch alle anderen) nicht gemacht. Lang anhaltender Stress belastet den Körper der Mutter und auch den des Babys. Dennoch ist der menschliche Körper offenbar sehr, sehr belastbar. In entsprechenden Studien geht es oft um massive Stressoren – dort werden die Effekte besonders sichtbar.

Auch wenn man viele andere Störfaktoren in der Schwangerschaft herausstreicht – einer der größten ist Stress.

Zu massiven Stressoren gehören zum Beispiel externe Effekte wie Naturkatastrophen, aber auch interner Stress wie Angstzustände und Depressionen bei den Müttern. Sie alle erhöhen das Risiko des Kindes im späteren Leben für emotionale, Verhaltens- oder Lernprobleme. Dazu gehören bei den Kindern wiederum Depressionen, Angstzustände, eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und/oder Verhaltensstörungen.34 Die Daten weisen deutlich darauf hin, die Studien sind oft mit vielen Teilnehmern bestückt, und wenn die Forscher auch viele Störfaktoren herausstreichen, die ebenfalls die Entwicklung beeinflussen könnten, bleibt immer noch einer: der Stress.

STRESS UND SCHWANGERSCHAFTSDEPRESSION

Hat die Mutter eine Schwangerschaftsdepression, ist es gut belegt, dass sie – kurz gesagt – ein unruhigeres Kind zur Welt bringt. Eine Überblicksarbeit von 2017 kommt zu dem Ergebnis, dass sich unbehandelte Schwangerschaftsdepressionen und sogar »nur« depressive Symptome während der Schwangerschaft nachteilig auf das Baby auswirken. Schon der Fötus hat höhere Risiken für Hyperaktivität und eine unregelmäßige Herzfrequenz im Mutterleib. Das Neugeborene zeigt eher erhöhte Stresswerte (hier: Cortisol- und Noradrenalinspiegel) und schüttet weniger Belohnungs- und Zufriedenheitshormone aus (das heißt dann: verringerte Dopaminspiegel). Sogar ganz kleine Babys zeigten in den Studien ein stress- oder depressionsähnliches Verhalten. Wurden die gestressten Babys älter, war der Stresspegel später ebenfalls erhöht, wenn man ihren Speichel untersuchte, und sie neigten stärker zu Übergewicht.35 Gleichzeitig heilt eine Depression gut aus, wenn sie behandelt wird. Daher sollten wir gut darauf achten, wie es uns wirklich geht.

Wie genau der Mechanismus funktioniert, weiß man nicht. Eine Überblicksstudie versuchte herauszufinden, ob es schlicht an den ausgeschütteten Stresshormonen (hier im Fokus: Cortisol) liegt. Und der Stresspegel der Mutter während der Schwangerschaft beeinflusst tatsächlich einigen Studien zufolge die Cortisol-, also Stresshormon-Antwort des Babys auf einen Stressor – allerdings nicht in allen. Sie kam zu dem Schluss: 76 Prozent der Studien sagen, dass es nicht der Fall ist. Die anderen Studien behaupten: Doch, das ist so. Die Autoren mutmaßen: Vielleicht ist Cortisol nicht der einzige Faktor, aber wahrscheinlich ist es einer.36 Andere Forscher vermuten, es läge an der erhöhten Herzschlagrate der Mutter bei Stress oder ihrer flachen Atmung, die sich direkt auf das Ungeborene auswirkt.

Stress kann laut einer Studie unter 340 Frauen auch zu Frühgeburten führen, in diesem Fall galt als Stress »eine psychiatrische Diagnose wie Depression, Angst, Angst vor Geburt, Psychose, Phobie und/oder Essstörung«.37

Angst vor der Geburt dürfte etwas sein, was viele Frauen kennen. Es ist also wichtig, dass diese Frauen alle Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Außerdem berichteten die Schwangeren über frühere traumatische Erfahrungen aus Schwangerschaft und Geburt, Angst vor angeborenen Defekten des ungeborenen Kindes, mangelnde soziale Unterstützung oder eine problematische Beziehung zwischen der Frau und ihrem Partner sowie wirtschaftliche und arbeitsbedingte Probleme. Das bedeutet: Schon eine falsch positive Nackenfaltenmessung mit dem Ergebnis, dass das Kind möglicherweise behindert sein könnte, kann solchen Stress auslösen. Ganz zu schweigen von dem Stress, in den Paare geraten können, wenn sich ein (ungeplantes) Kind ankündigt.

Hier gilt das Prinzip des Schutzes: Wir sollten als Gesellschaft ein großes Interesse daran haben, Schwangere vor allen vermeidbaren Stresssituationen zu schützen, wo immer es möglich ist.

Der Elternkompass

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