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DIE GEBURT

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»Hauptsache gesund!«, heißt es, wenn es um die Geburt des Kindes geht. Tatsächlich ist die Sache nicht ganz so simpel. Frauen sind einer brasilianischen Umfrage zufolge dann besonders zufrieden mit der Geburt, wenn sie in der Schwangerschaft schon gut betreut waren und sich hinreichend informiert und respektvoll behandelt fühlten. Besonders wichtig war ihnen die Wahrung ihrer Intimsphäre sowie das Stillen innerhalb der ersten Lebensstunde des Säuglings. Beides in einer modernen Geburt zu bekommen ist auch hierzulande alles andere als selbstverständlich.58 Obwohl 70 bis 80 Prozent der Schwangeren bei Geburtsbeginn der WHO zufolge als gesund gelten dürfen, erlebten 1984 bis 1999 in Deutschland nur noch 6,7 Prozent der Gebärenden eine Geburt ohne medizinische Eingriffe,59 der aktuelle Stand liegt bei höchstens 10 Prozent Geburten ohne Routine-Interventionen.60 Fachverbände kritisieren, dass etwa 90 Prozent aller Interventionen ohne wissenschaftlich abgesicherte Basis durchgeführt werden, darunter Legen eines Zugangs, Geburtseinleitung, Dauer-CTG, Dammschnitt oder das Ausüben von Druck auf die Gebärmutter zur schnelleren Geburt des Kindes (Kristellern).61

Wie sollte eine Geburt ablaufen? Mutter Natur hatte sich das grob gesagt so gedacht: Sobald der Fötus reif genug ist, sendet er ein Signal, und der Körper der Mutter beginnt damit, das Wehenhormon Oxytocin auszuschütten. Stück für Stück werden dadurch die Wehen stärker. Wenn jetzt nichts passiert, bewegen sich Mutter und Kind langsam auf die Geburt zu, die Gebärmutter kontrahiert immer stärker, und es kann losgehen. Aber wenn irgendetwas schiefgeht – zum Beispiel ein Raubtier angreift –, schüttet die Mutter das Stresshormon Adrenalin aus, die Geburt stoppt, und sie kann sich in Sicherheit bringen. Die Geburt steuert dabei nicht der neue Teil des Gehirns, also der fürs Denken zuständige Neokortex, sondern das Säugetiergehirn, das unter anderem für unsere Hormone zuständig ist. Daher sprechen viele Frauen auch davon, dass sie »wie auf einem anderen Stern« sind, während sie gebären, was nichts anderes heißt, als dass planmäßig der Neokortex heruntergefahren wird und andere Teile des Gehirns übernehmen.

Denken, Bewerten, Entscheiden und Planen haben bei einer Geburt nichts verloren. Jede Entscheidungsfrage kann eine Gebärende empfindlich stören.

Im Umkehrschluss heißt das: Denken, Bewerten, Entscheiden und Planen haben bei einer Geburt nichts verloren. Jede Entscheidungsfrage (»Möchtest du einen Tee?«) kann eine Gebärende empfindlich dabei stören, wenn sie dabei ist, ihren Körper die Führung übernehmen zu lassen. Das macht Frauen auch so empfindlich unter der Geburt, wenn es Entscheidungen zu treffen gibt, denn der Entscheidungsteil ihres Gehirns soll eigentlich gerade nicht arbeiten.

Das Wehenhormon Oxytocin wird auch »scheues« Hormon genannt und leicht von Stresshormonen verdrängt. Das heißt, dass alles, was eine Frau unter Druck setzt, die Geburt stören, verzögern oder unterbrechen kann, auch ein Personalwechsel, unfreundliche Menschen, sogar zu helles Licht. Man könnte sagen: Das Kind sollte so herauskommen, wie es, hoffentlich, hineingekommen ist – in einer angenehmen, vertrauten, privaten Atmosphäre. Doch die Wirklichkeit sieht leider oft anders aus.

Der Hebammenverband hat seine Mitglieder befragt, wie die Arbeitssituation von Hebammen in deutschen Kliniken aussieht, und kommt zu dem Ergebnis: »Kaum noch eine Hebamme hat Zeit, eine Frau während der gesamten Geburt ungestört zu betreuen. Die Hälfte der Befragten betreut häufig drei Frauen, weitere zwanzig Prozent sogar vier und mehr Frauen parallel.«62 Nur jede fünfte Hebamme gibt an, Gebärende optimal betreuen zu können. Optimal bedeutet vor allem, emotionale, psychische und soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen und mit so wenig Technik wie möglich zu arbeiten.

Die WHO empfiehlt demgemäß nach Prüfung der Evidenzen keine routinemäßigen Einläufe, Rasuren oder Dammschnitte. Alle Frauen, auch die mit einer schmerzstillenden Periduralanästhesie (PDA, Betäubung durch Einbringung eines Lokalanästhetikums in den Periduralraum der Wirbelsäule [Spaltraum im Bereich der Rückenmarkshäute beziehungsweise des Spinalkanals]), sollten sich frei bewegen können und aufrecht gebären, das Gebären auf dem Rücken liegend wird ausdrücklich nicht empfohlen, ebenso kein Herausdrücken des Babys, indem man »auf den Bauch presst«. Gebärende Frauen müssen essen und trinken können, sollen respektvoll behandelt werden und von einem Menschen ihrer Wahl unterstützt werden. Gesunde Babys sollen nach der Geburt weder sofort abgenabelt noch von der Mutter getrennt oder gebadet, sondern Haut an Haut zwischen die Brüste der Mutter gelegt werden und möglichst bald Gelegenheit zum Stillen erhalten.

Optimale Betreuung unter der Geburt heißt vor allem, emotionale, psychische und soziale Aspekte in den Vordergrund zu stellen und mit so wenig Technik wie möglich zu arbeiten.

Aber wo kann ich so mein Kind bekommen? Es ist Aufgabe der Eltern, einen Geburtsort zu finden, der zu ihren Bedürfnissen passt und ihnen einen stabilen Start ins Familienleben ermöglicht. Denn dieser Start wird lange nachwirken.

Der Elternkompass

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