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SCHWANGERSCHAFT – WAS SINNVOLL IST, WAS NICHT

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Als ich schwanger war, stellte ich fest: Das ist ja wie ein zweiter Job! Obwohl ich eine kerngesunde Schwangere war, hatte ich plötzlich ständig Termine beim Arzt. Was ich nicht wusste: Die meisten Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft haben keinen messbar positiven Effekt auf die Gesundheit von Mutter und Kind. Ernsthaft? Ernsthaft.25

In Deutschland sieht das so aus: Im Jahr 2013 wurde bei über 90 Prozent der Schwangeren vorgeburtlich routinemäßig eine kardiotokografische Untersuchung (CTG) durchgeführt, im Schnitt waren es vier bis sechs CTGs – und das, obwohl diese Herzschlagmessung des Ungeborenen keine Routinemaßnahme ist und nur unter speziellen Umständen empfohlen wird. Statt der drei vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen nehmen fast die Hälfte aller unbelasteten Schwangeren fünf und mehr in Anspruch. Und warum tun sie das? Sie geben an, dass sie es für Routine halten – und sind bereit zu zahlen, auch wenn sie nicht über ein höheres Einkommen verfügen.26

Insofern sollten Eltern gut darauf achten, welche Untersuchungen sie machen möchten und welche nicht. Und bei wem – denn grundsätzlich kann die gesamte Vorsorge auch von der Hebamme vorgenommen werden, ein Arzt ist dazu nicht notwendig. Nur Ultraschalluntersuchungen sind Ärzten vorbehalten. Die Sonografie zur Feststellung der Schwangerschaft und die Untersuchung auf Anomalien zur zwanzigsten und dreißigsten Woche gelten als sinnvoll – jede weitere kann bei einer komplikationslosen Schwangerschaft als »Babyfernsehen« betrachtet werden und auch unterbleiben.

Wie schädlich Ultraschall sich tatsächlich auswirkt, ist übrigens nicht geklärt – manche Studien lassen vermuten, dass er das Ungeborene zumindest unter Stress setzt, aber andere finden keine Effekte (oder nur bei Mäusen, die absurd hohen Schallwerten ausgesetzt waren).27 Es kommt für den Fötus offenbar stark darauf an, wie oft, wann, wo und wie lange Ultraschall angewendet wird, und es gilt die Regel: Möglichst spät, möglichst nicht an kritischen Strukturen und möglichst kurz. Einig sind sich die Mediziner darin, dass er nur auf medizinische Zwecke begrenzt werden sollte, kanadische Forscher klammern hier übrigens auch die Geschlechtsbestimmung aus. Und hier haben wir auch schon das Dilemma der Ärzte: Eltern wollen ihr Baby »sehen« und versprechen sich sichere Informationen, sind aber oft nicht darauf vorbereitet, dass ein Ultraschalltermin auch schlechte und falsche Nachrichten bringen kann.28

Ultraschall sollte möglichst spät, möglichst nicht an kritischen Strukturen und möglichst kurz zum Einsatz kommen und nur auf medizinische Zwecke begrenzt werden.

Die Nackenfaltenmessung in der zwölften Schwangerschaftswoche zum Beispiel, die Hinweise auf eine potenzielle genetische Störung des Ungeborenen geben soll, ist eine reine »Suchmaßnahme« – denn einen gesundheitlichen Effekt hat diese Untersuchung nicht. Sie ist als alleiniger Messwert wenig aussagekräftig, sie hat keinen therapeutischen Nutzen (auch ein Kind zum Beispiel mit Downsyndrom kann ganz normal geboren werden), und sie kann Paare bei einem falsch positiven Ergebnis unter großen Stress setzen (der oft unnötig ist, weil das Kind trotzdem kerngesund auf die Welt kommen kann). Eltern sollten sich also gut überlegen, welche Vorsorgeuntersuchungen sie durchführen lassen und wie sie mit einem – eben möglicherweise falsch positiven – Befund umgehen würden.

Überhaupt müssen wir damit leben, dass die vermeintliche Sicherheit der modernen Medizin uns oft in trügerischer Gewissheit wiegt. Zum Beispiel ist die Schätzung, wie schwer das Baby bei der Geburt sein wird, nicht mehr als genau das: eine Schätzung. Diese oft aus Ultraschallbildern errechneten Werte sind in mehr als der Hälfte der Fälle falsch, weswegen Forscher in einem großen Review ausdrücklich davon abraten, bei einer unauffälligen Schwangerschaft wegen eines angeblich »zu großen« Babys eine Geburt einzuleiten oder sogar einen Kaiserschnitt zu planen.29 In den USA bekommt jede dritte Frau nach einem Ultraschall die Information, ihr Baby sei »zu groß«. In einer Studie mit fast 2000 Frauen hatten diese Mütter deutlich höhere Risiken, dass in die Geburt medizinisch eingegriffen wurde – und das, obwohl die Ärzte mit ihrer Schätzung in neun von zehn Fällen falsch lagen.30

Gleiche Verwirrung gibt es um den errechneten Entbindungstermin. Er kann aufgrund der unterschiedlichen Zykluslänge und Tragzeit des weiblichen Homo sapiens um bis zu vier Wochen danebenliegen.31 Auch genetische Effekte spielen dabei eine Rolle – wer selbst lange ausgetragen wurde, hat hohe Chancen, eine Schwangerschaft von 42 Wochen oder länger zu haben, zeigt eine schwedische Studie an über 400 000 Geburten.32 Wenn Ärzte bei Übertragung dringend zu einer Einleitung raten, sollten Eltern das also kritisch hinterfragen.

Der Elternkompass

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