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Nahe Kirjat, Mandura, Frühling/Frühsommer R. D. 19

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Der bärtige Kerl, er roch nicht gerade sauber, lachte dröhnend: „Erzähl mir jetzt nich‘, die Kleine wär‘ deine aktuelle Freundin?“

Vadim winkte ab. „Die Tochter eines guten Bekannten. Ich hab sie ein bisschen unter meine Fittiche genommen, eh sie ganz allein auf Wanderschaft geht. An die falschen Leute gerät.“

Wie diesen Kerl, bestimmt doppelt so alt wie er selbst, den Vadim in der Spelunke kaum einen Tagesmarsch nördlich der Ortschaft traf? Enisa mochte weder das Lokal, die spärlichen Gäste erweckten wenig Vertrauen, noch den Mann, der sie viel zu neugierig musterte, regelrecht anstarrte.

„Aye, treibt sich ziemlich viel Gesindel auf den Straßen rum, du kannst nicht vorsichtig genug sein. Ich lad‘ euch ein, ein Bier verträgt dein kleines Goldstück ja hoffentlich?“

Vadim lachte, gab sich betont locker und offen, die Hand kameradschaftlich auf dem Arm des anderen. „Gerne doch. Sag mal, du hast doch gute Kontakte, ist“, er senkte die Stimme, so dass Enisa den geflüsterten Namen nicht verstand. „... zu sprechen?“

Der Mann, unangenehme alte Kerl, schüttelte fast mit Bedauern den schweren Schädel. „Auf die Schnelle sicher nicht, aber“ Wieder fiel sein Blick auf Enisa, glitt klebrig-anzüglich von ihrem Gesicht aus tiefer; am liebsten hätte sie die Arme vor der Brust verschränkt. „Versuch es übermorgen in der ›weißen Anemone‹, am späten Abend.“

„Am Abend?“

„Spät abends, vormittags haben die keinen Publikumsverkehr. Wie du weißt. Die Kleine lässt du besser bei mir, oder willst du, dass sie dort was lernt?“

„Damit du ihr dann was beibringst?“ Vadim klang skeptisch.

„Ein wenig Weisheit und Lebenserfahrung haben noch keiner geschadet, nicht wahr, meine Hübsche?“ Er tätschelte Enisas Hand, bevor diese sie wegziehen konnte, ein Stück zurückwich. „Sie ist süß.“

„Störrisch und aufmüpfig, tut nie, was man ihr sagt.“

„Ein bisschen Gegenwehr ist doch das Salz in der Suppe, damit weiß ich umzugehen.“

„Ich erinnere mich“, brummte Vadim. Enisa konnte nicht sagen, ob ihm die Erinnerung gefiel. „Du hast ein Mädchen, an Hände und Füßen gefesselt, für drei Tage in eine Truhe gesperrt.“

„Einen Schrank“, verbesserte der Bärtige gönnerhaft. „Danach war sie ganz sanft und folgsam.“ Erklärte er an Enisa gewandt, die die Geschichte, den Mann nur widerlich fand: „Allerdings musste ich sie gründlich säubern und waschen lassen. Mir gefällt nicht, wenn die Weiber stinken, die reinlichen sind mir lieber. Oder die ganz jungen, gerade erblühten.“

Und wenn der Kerl ihr jetzt in die Wange kniff, würde sie laut schreien, aufspringen, ihm ins Gesicht spucken. Vadim hatte ihr geraten, still zu sein, sich nicht ins Gespräch einzumischen, aber der Kerl forderte es doch geradezu heraus. Sie verstand nicht, warum Vadim ruhig blieb, brauchte der ihn, seine Hilfe so nötig?

„Du kannst das Goldstück gern eine Weile bei mir lassen, ich pass‘ schon gut auf sie auf.“

„Bringst ihr womöglich das eine oder andere bei“, scherzte Vadim rau. Er erhob sich, die Hand nach Enisa ausgestreckt. „Ich lass‘ es mir durch den Kopf gehen.“

Er zog sie wenig zärtlich hinter sich her, raus auf die regenfeuchte Straße. Nur wenige Passanten waren noch unterwegs, die falsche Gegend, die falsche Zeit.

„Das war doch nicht ... Das meint der Kerl doch nicht ernst? Und du“

„Sei still“, fuhr Vadim sie an, packte grob ihren Arm.

„Aber du ... Reden Männer so untereinander, immer so schmierig und anzüglich, so“

„Halt einfach den Mund, ja? Er redet doch nur, einer, der seine besten Jahre lange hinter sich hat, er“

„Du brauchst ihn“, fassungslos sah Enisa ihm ins Gesicht.

Vadim presste die Lippen zusammen, nickte. „Ich kenne hier keinen, nicht die richtigen. Er schon.“

„Ich werde nicht mit ihm ... das, das kannst du nicht erwarten!“

„Das hat auch keiner verlangt, verdammt noch mal! Du stellst dir immer gleich ‘ne Menge dreckigen Scheiß vor, aber so ist das Leben doch nicht!“

„Er sperrt Mädchen in Schränke!“

„Und von der Geschichte zehrt er zwanzig, dreißig Jahre! Das sollte dir zu denken geben.“

„So alt bist du doch gar nicht“, wandte sie ein und bemerkte trotz der Dunkelheit das Grinsen in seinen Mundwinkeln.

„Du weißt ja nicht, wie alt ich damals war.“

Enisa stellte sich ihm einfach in den Weg, aufmüpfig und in genau der richtigen Stimmung. „Wie alt?“

„Sieben, acht“, er packte ihre Oberarme, zog sie dicht an sich und küsste sie brüsk auf den Mund. „Können wir weiter?“

„In unsere lauschige Unterkunft?“

„Regnet zumindest nicht hinein und die Tür lässt sich verriegeln.“

„Willst du mich jetzt einsperren?“

„Relativ ungestört schlafen.“

„Du bist langweilig.“ Aber sie folgte ihm die enge, von Dreck und Unrat übersäte Straße hinunter, sie roch den nahen Fluss. Um zwei Ecken und hin zu dem heruntergekommenen niedrigen Haus, kaum schäbiger als die Taverne, in dem sie tags zuvor ein Unterkommen gefunden hatten.

Sie ließ sich auf das klapprige Bett plumpsen, blickte Vadim aufmerksam an. Der Kuss eben war der erste Kontakt seit dem, was im Wald geschehen war. Er hatte sie nicht mehr angerührt, nichts versucht, obwohl sie jede Nacht eng nebeneinanderliegend schliefen.

„Es gibt doch aber auch andere Möglichkeiten, Arten, wie man, ich meine ... ohne das ich, also du ...“

„Die gibt es wohl.“ Er hockte sich dicht vor sie. „Wenn man das will.“

„Aber du willst nicht.“

„Nein. Das eine Mal war ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde.“

„Ich bin nicht schwanger“, war sie sich ziemlich sicher.

„Gut.“

„Magst du mich denn gar nicht?“

„Darum geht es nicht, wir ...“ Er ächzte (dumpf), rieb sich die Stirn. „Enisa, ich bin der völlig falsche für dich, ich ...“

„Kennst die falschen Leute“, murmelte sie betrübt.

„Das auch noch. Ich bin keiner, den sich deine Eltern für ihr Töchterchen wünschten, auch nur vorstellen, glaub‘ mir.“

„Es gibt doch noch viel schlimmere.“

„Das ist auch ein Trost. Wir sind kein Liebespaar, wir ...“

„... haben nur zufällig den gleichen Weg?“

„Ja.“

„Und manchmal küsst du mich?“

Er zog vage die Schultern hoch. „War wohl auch falsch, ich werd ’s nicht ...“

„Doch! Doch, bitte“, sie langte nach seiner Hand, seinen Händen. „Ich mag das, das war ...“

„Nur reicht es dir nicht.“

„Ja. Nein, aber mehr krieg ich ja nicht.“

„Nicht von mir.“

Unglücklich sah sie ihn an. Sie wollte nicht weinen, sollte nicht immer wieder, nochmal und nochmal dieses sinnlose Gespräch, zigmal geführt, das sie doch nur immer trauriger ...

Vadim strich über ihre Wange. „Es gibt noch viele, viele andere Männer auf der Welt.“

„Ich treffe nur die falschen, immer!“

„So? Wen denn noch?“

Sie schüttelte den Kopf, wich seinem Blick aus. „Das willst du gar nicht wissen.“

„Ich bin hier und hör‘ dir zu, braucht es mehr? Du?“

„Du wirst mich ... Mein Bruder.“

Vadim nickte nur, setzte sich dann dicht neben sie aufs Bett und legte den Arm um sie. „Der, zu dem du unterwegs bist?“

„Ja“, schluchzte sie, den Kopf an seiner Schulter. Was eigentlich recht unbequem war, hart und ... und überhaupt. Er wollte sie nicht, Jurei war ihretwegen weg und alles ... Laut jammernd schlang sie die Arme um Vadim, wollte doch nur ... Er hatte sie geküsst, mehr als das, viel mehr, und es hatte ihm gefallen, mochte er reden. „Du bist blöd.“

„Ja. Oft.“

„Ein elender Dreckskerl und ein Lügner.“

„Da würden dir manche, viele zustimmen.“

„Du ... Könntest du mich jetzt nochmal küssen? Richtig, also ...“

„Weiß nicht, ob das richtig“, murmelte er, umfasste ihr Gesicht, bevor er sie küsste. Zart und behutsam küsste, ehe sich dann seine Zunge zwischen ihre Lippen drängte, tiefer.

Enisa war versucht zuzubeißen, keuchte leise, vielleicht war es auch ein Stöhnen, begegnete seiner Zunge mit ihrer. „Oh, das ist ... Das ist gut.“

„Ja?“

„Ja. Küssen kannst du.“

„Immerhin. Willst du mir jetzt von deinem Bruder erzählen?“

„Nein“, überlegte sie. „Später. Ich bin müde und ...“

„Dann sollten wir schlafen“, Vadim machte sich lang, entließ sie aber nicht aus seinem Arm, und zog die Decke über sie beide.

Mein Bruder

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