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Südwestliches Kalimatan, früh im Jahr R. D. 19

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Der Weg, eine Spur, ein Pfad, immer wieder anders, immer wieder gleich, manchmal fast verschwunden, unsichtbar, endlos, wand sich unter dem wolkenverhangenen Himmel dahin, zwischen mit Salbei, vereinzelt auch Lavendel und hartblättrigen Sträuchern bewachsenen schroffen Hügeln hindurch. Stillstand und Veränderung zugleich, es war seltsam beruhigend, besänftigend. Für kurze Zeit, nur eine Weile, aber zumindest wenigstens das: Die Gewissheit, er war auf dem, einem Weg.

Doch besänftigt, er, Jurei musste lachen. Presste gleich darauf die Lippen zusammen, seine Miene wieder düster. „Ich übernehme“, wandte er sich an Treis, den Lenker des Wagens. Einer von einem guten Dutzend des Handelszuges. „Dann kannst du dich hinten aufwärmen, ein bisschen ausruhen.“

Der schlaksige junge Mann war nur wenige Jahre älter als er selbst, knochig und hochgewachsen, das lange, dunkle Haar trug er im Nacken locker zusammengenommen, dazu ein ansprechendes Gesicht; ein richtiger Frauentyp. Obwohl Jurei vermutete, dass Treis mehr auf Männer stand. Er erinnerte ihn an Pola, ein enger, guter Freund trotz des gewaltigen Altersunterschieds. Doch Pola, Inhaber des Rosengärtchens in Samala Elis, hatte nie etwas versucht, nie auch nur Andeutungen gemacht.

Und Treis im Gegensatz zu diesem nicht der hellste. „Ja, klar, damit du mit dem Wagen abhauen kannst.“

Jurei griente halbherzig. „Dreck, du hast mich durchschaut.“

„Nichts für Ungut, Kleiner. Weißt du“, er drückte Jurei etwas grob seinen Schlapphut mit der weichen, breiten Krempe auf den Schädel. „ich kenn‘ halt die Tricks. Das ist mein achter, neunter, bestimmt mein elfter Handelszug ostwärts.“

„Den zehnten hast du ausgelassen?“

„Der“, Treis verzog das Gesicht, zögerte. „... nicht gut, gar nicht gut. Wir wurden überfallen, und die Angreifer waren äußerst brutal. Etliche unserer Leute wurden verletzt, zwei sogar getötet. Du“, er sah Jurei hastig an, schien beinah verlegen. „Singst du mir was?“

„Äh, ich wüsste nicht ...“ Wie kam der Kerl darauf? „Ich kenne keine passenden Lieder.“ Seine Mutter hatte ihm viele Lieder vorgesungen, beigebracht, Jahre her, aber die würde er hier und heute sicher nicht vortragen. Könnte sie vermutlich auch nicht richtig singen.

„Och, bitte! Ich trau dir nicht eine Handbreit über den Weg, aber ich mag deine Stimme.“

Jurei verkniff sich das Lachen, das Kopfschütteln, jeden weiteren Protest und begann leise. Ausgerechnet das Lied der Garde, unpassender ging es kaum, aber es war halt einfach zu singen.

Treis strahlte ihn begeistert an. „Das kennst du?“

„Kennt doch jeder.“ Immer noch, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach dem Krieg; das würde sich nie ändern.

„Bei euch“, betonte Treis. „In Mandura.“

„Jepp. Wird bald dunkel sein.“

Treis stimmte ihm zu. „Ich schätze, wir fahren noch ein Stückchen, dort hinten kreuzt ein Seitenarm des Jamburs unseren Weg. Ist seit vielen Jahren ein guter Lagerplatz.“

Auch seit vielen Jahren bekannt als ein Lagerplatz der Händlerzüge? Jurei unterdrückte seine Skepsis, sein Misstrauen nicht und beäugte, keine halbe Stunde später, die Sonne war noch nicht gänzlich hinter dem Horizont versunken, das Gelände. Zur Ebene hin geschützt durch einen niedrigen, über mannshohen Felsabbruch und einen Wall, zum Fluss hin, der erfreulich viel Wasser führte, aber recht offen. Schnell erblühten zwei, drei, weitere Lagerfeuer in der Dämmerung, versprachen Licht und Wärme, doch er suchte sich seinen Schlafplatz außerhalb des Wagenrunds, etwas abgeschiedener. Er mochte es, über sich die Sterne zu sehen.

„Hast du was dagegen, wenn ich mich auch hier, also, neben dich?“

„Wenn’s dir nicht zu kalt wird?“ Jurei grinste halbherzig, er hatte nicht das Geringste dagegen. „Mach ruhig.“

„Dieses Lied“, begann Treis und schaffte seine Schlafrolle dicht neben Jureis. „Woher kennst du das?“

„Hat mir meine Mutter oft vorgesungen.“ Er verschränkte die Arme unter dem Kopf. „Tatsächlich wohl eins der ersten Lieder, die sie mir vorgesungen hat.“

„Und?“

„Mein Vater war Gardist. Gardehauptmann.“

„Ich höre und staune.“ Treis streckte sich lang aus, ziemlich dicht neben ihm.

„Wieso“, fragte Jurei nach, hörte den Unmut in seiner Stimme.

„Na ja, waren das nicht alles Helden?“, beeilte sich Treis zu erklären. „Im Krieg?“

„Er ist im Krieg getötet worden. Ich habe ihn nie ... gar nicht richtig kennengelernt.“ Wieder diese alte Geschichte, sein ganzes Leben schon, er kniff die Lider zusammen, biss sich auf die Lippen.

Spürte plötzlich Treis tastende Finger auf seinem Gesicht, ganz zittrig und schüchtern, seine Hand schwer auf seiner Schulter. „Es tut mir ... Das wusste ich nicht.“ Sein Kuss, zurückhaltend und fast scheu, vertrieb Jureis Ärger. „Verzeih, ich wollt‘ wirklich nich‘ so ’n blöder, gefühlloser Trampel sein.“

„Ist schon gut. Ist ja nicht deine Schuld, das war damals, im Krieg. Und der ist lange vorbei. Jetzt begleiten wir zwei gemeinsam einen Handelszug.“

„Wir zwei klingt gut“, flüsterte Treis. „Das klingt richtig gut.“

„Aye. Sag mal, was hast du da mit deiner Hand vor?“

Die war über seinen Bauch gewandert und lag jetzt leicht, ein bisschen unruhig auf seinem Unterleib, Treis Finger zupften achtlos und wie beiläufig an seinem Hemd. „Och, ich hoffte, dir gefällt das.“

„Äh, kommt darauf ...“ Jurei atmete tief durch, kämpfte um eine feste Stimme. „Vielleicht.“

„Oh, vielleicht“, wiederholte Treis spöttisch, und Jurei schloss einfach die Augen. Hörte den anderen, Treis, dicht neben sich, ihn atmen, spürte die Wärme seines Körpers und dann seine Hand, die sich zielstrebig in seine Hose schob, warm auf der bloßen Haut seines Bauches. Auf seinem Glied, nun Zentrum seiner Aufmerksamkeit, Treis raue, leise Stimme wie schwebend irgendwo über ihm, außerhalb, in der Nacht, der Dunkelheit. „Ich mag nicht nur deine Stimme, Nordländer.“

„Ich“, ächzte Jurei. „... mag das.“

Am nächsten Morgen, Nebel hing undurchdringlich über dem kleinen, eilig strömenden Flüsschen, das ungeduldig seinem großen Vetter zustrebte, tat Jurei, als wäre nichts gewesen. Treis ja ebenfalls, bis auf zwei, drei sehr intensive Blicke, die dieser ihm zuwarf, ein schlecht verborgenes Grinsen, wann immer Jurei ihn ansah.

Es war kein Thema, passierte halt. Manchmal, in den folgenden Tagen, wenigen Wochen. Und es gefiel ihm, er mochte, schätzte das, Treis Aufmerksamkeit. Zuwendung wäre wohl das passendere Wort.

Derweil das Gelände rauer, karger und trockener wurde, der Boden steiniger. Die Landschaft erinnerte ihn an die Ebenen. Steppe, immer seltener ein mickriges Gehölz, bloß stachlige, hartblättrige Dornenbüsche und langfingriges blasses Gras, büschelweise, in den wenigen sumpfigen Senken. Das Kitaina-Gebirge lag weit hinter ihnen und war nicht einmal mehr als dunkle Schattenlinie am Horizont auszumachen.

Treis grüßte flüchtig zwei knurrig dreinblickende Männer, die einem der kleinen Lagerfeuer zustrebten, und schubste Jurei hinter einen abgestellten Wagen, drängte ihn gegen die eisenverstärkten Speichen des gewaltigen Rades. „Morgen heißt es also Abschied nehmen?“

Wenn sich zu Fuße des Höhenzuges, der wie ein Riegel ihren Weg kreuzte, die Fahrspuren teilten.

„Scheint so“, Jurei zuckte nur die Achseln. „Ich werd‘ wohl bei Yared mitfahren, wir haben das gestern bereits abgesprochen.“

Dahinter, jenseits der schroffen Grate erwartete die Reisenden ›die große Ödnis‹, so Yared, eine wasserlose, lebensfeindliche Wüste, die es zu umfahren galt.

„Na dann ist ja alles geregelt“, Treis verzog abschätzig das Gesicht. „Wieso Lipaicha’an, und doch nicht Dessum?“

„Ich würd‘ gern das Meer sehen.“ Jurei lachte rau und wehrte sich gegen Treis allzu festen Griff. „Nee, ich kenn da ein paar Leute.“ Nicht wirklich, der Mann, Laurean, war bisher nur ein Name, auf den er in den Unterlagen seines Vaters gestoßen war; immerhin. Galt ebenso für Dessum. Ein Grund, so gut, so schlecht wie der andere.

„Geht ja auch immer nur um dich, um deine Wünsche.“ Treis fummelte ungeduldig an Jureis Hose herum, stand viel zu dicht hinter ihm, sein Atem streifte seinen Nacken. „... und du gehst.“

„Ich hab‘ da was zu erledigen, bevor ich nach Dessum ...“

„Mit Yared?“, keuchte Treis und zerrte ihm rüde die Hose runter. „Der ist nur hinter deinem Arsch her.“

„Nein. Blödsinn, ich ...“ Eifersucht? „Wohl eher du. Lass.“, er wand sich, zappelte, kam aber nicht weg, weil Treis ihn regelrecht gegen dieses verdammte Rad quetschte.

„Gefiel dir doch bisher, du hast dich nicht gewehrt.“

„Aber doch nicht so!“, von hinten, schon gar nicht mit Gewalt.

Aber Treis war stärker und schien fest entschlossen, sich zu nehmen, was er wollte. „Sieh ’s als mein Abschiedsgeschenk, du wirst dich beim Reiten noch tagelang an mich, an das hier“, seine Hände, zupackend auf seinen Arschbacken. „Halt still.“

Jurei stieß sich mit einem Ruck zurück, gegen Treis, auch hart gegen dessen entblößtes Glied. Woraufhin dieser einen Moment locker ließ, so dass Jurei sich, gerade so, umdrehen konnte. Noch immer gegen dieses Rad gequetscht.

„Du hast da was missverstanden, Kleiner.“ Treis lachte atemlos, sein Gesicht sehr nah, überlegen. „Das ...“

„Ganz im Gegenteil“, grinste Jurei, flüsterte: „Mein Abschiedsgeschenk für dich“, und ging in die Knie.

„Dein Ernst?“, fragte Treis verblüfft. „Dann mach, wie du willst.“

Es war eine einfache Abwägung: Der zu erwartende, garantierte Schmerz oder ein bisschen Überwindung. So schlimm, gar ekelhaft war es nicht, er hatte Treis schon im Mund gehabt, wenn auch nicht derart endgültig. Abschließend. Und der Gedanke daran, dass der Kerl, wirklich nicht sein Feind, in Momenten der Leidenschaft ziemlich laut und deutlich vernehmbar war, machte es ihm leicht, seine Bemühungen zu intensivieren.

Die Männer am Lagerfeuer waren nicht allzu weit entfernt, in Hörweite; Treis, der breitbeinig und triumphierend über ihm stand, würde auf der Fahrt nach Dessum ausreichend Freunde und Ablenkung finden.

Mein Bruder

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