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Ein großer Rückschlag: Das System von Bretton Woods
ОглавлениеAm 1. Juli 1944 passierte etwas, das den Neoliberalen gar nicht gefiel. An diesem Tag begann im US-Bundesstaat New Hampshire die Konferenz von Bretton Woods. Es war die Zeit des Zweiten Weltkriegs, Europa lag in Schutt und Asche. Das System von Bretton Woods gab nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1970er-Jahre dem Kapitalismus einen globalen Rahmen. Es basierte auf Ideen eines politischen Liberalismus. Auch John Maynard Keynes war in Bretton Woods, einem kleinen Ort an der Ostküste der USA. Seit Beginn der 1940er-Jahre hatte Keynes mehrere Entwürfe verfasst, wie eine global gültige Ordnung für den Kapitalismus aussehen könnte. Nach Bretton Woods reiste er als Delegationsleiter von Großbritannien und wurde mit stehenden Ovationen begrüßt. Keynes verfolgte bei der Konferenz die Interessen des Britischen Empires, dessen Abstieg schon längst begonnen hatte. Sein Gegenspieler war der amerikanische Volkswirt Harry Dexter White, der als Chefverhandler der USA auftrat.10
Die USA waren der große Sieger des Zweiten Weltkriegs und dominierten die globale Wirtschaft – ihre Wirtschaftsleistung machte ungefähr die Hälfte der damaligen Welt aus.
Das System von Bretton Woods, das vertraglich festgelegt wurde, kann als ein keynesianisches Weltsystem verstanden werden. Es verfolgte das Ziel, der globalen Wirtschaft einen stabilen Rahmen zu geben, damit sich das Desaster der Weltwirtschaftskrise der 1920er- und 1930er-Jahre und der nachfolgenden Handelskriege nicht wiederholen könne. Dieses Ziel wurde nach 1945 in hohem Maße erreicht – und später dann wieder vergessen. Das System von Bretton Woods sollte es jedem Land möglich machen, eine eigenständige Wirtschaftspolitik durchzuführen und Vollbeschäftigung herzustellen. Das neue Regelwerk war, wie Hans Morgenthau, Finanzminister unter dem demokratischen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, meinte, »ein Instrument souveräner Regierungen und nicht privater Finanzinteressen«. Mit Pathos sprach er bei der Schlusssitzung der Bretton-Woods-Konferenz am 22. Juli 1944 davon, dass die Regierungen »die wucherischen Geldleiher aus dem Tempel der internationalen Finanzen vertreiben« sollten.11 Diese Stoßrichtung fand sich in den Regeln des Systems von Bretton Woods. So wurden zum Beispiel die internationalen Finanzbeziehungen streng reglementiert. Die Staaten hatten das Recht, alle Kapitalbewegungen zu kontrollieren, auch mit dem Ziel, spekulative Bewegungen gegen die eigene Währung zu verhindern.12
Neoliberale Ökonominnen und Ökonomen mussten das System von Bretton Woods aus Prinzip ablehnen. Für sie war es eine Weltordnung, die der nationalen Politik einen dauernden Einfluss auf die Wirtschaft erlaubt. Genau das widersprach ihrer Vorstellung von Ökonomie. Für Hayek zum Beispiel gab es im Kapitalismus überhaupt kein Stabilitäts- und Steuerungsproblem und daher auch keinen Grund, den Kapitalismus durch die Politik zu beeinflussen. Keynes und das System von Bretton Woods wurden im neoliberalen Lager von Anfang an als Gefahr gesehen, später wurden die Keynesianer als »Sozialisten« abgetan. Bereits 1938 erklärte der deutsche Ökonom Röpke im Walter-Lippmann-Kolloquium: »Die größte Gefahr ist die neue Konjunkturpolitik: die Politik der wirtschaftlichen Autonomie, die Politik des wirtschaftlichen Nationalismus in Kombination mit Planwirtschaft und Autarkie.«13 Dieser »wirtschaftliche Nationalismus« war nach neoliberalem Urteil im System von Bretton Woods systematisch angelegt. Genau das sollte verändert werden.
Dieses Ziel erreichten die neoliberalen Kräfte auch – wenn erst nach längerem Bemühen, mit viel unerwarteter Hilfe und durchaus auch aus Zufall. Bereits ab dem Jahr 1945 waren prominente Neoliberale daran mitbeteiligt, die geplante Internationale Handelsorganisation zu Fall zu bringen, welche die neuen Institutionen im Bretton-Woods-System, vor allem den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, vervollständigen sollte.14 Die neue Organisation sollte bei den Vereinten Nationen beheimatet sein, den Welthandel überwachen und wie der UN-Sicherheitsrat ein Gremium sein, in dem ausgesuchte Länder entscheidungsbefugt sind. Mit der Internationalen Handelsorganisation hätte es eine globale politische Ebene gegeben, die direkt über Belange des internationalen Handels entscheiden hätte können.
Aber so weit kam es nie. Einzelnen Mitgliedern der neoliberalen Gemeinschaft gelang es, Einfluss auf die Internationale Handelskammer auszuüben, die wiederum republikanische Vertreter in den USA überzeugen konnten, dieses Vorhaben im US-Parlament zu blockieren. Jahre später versandete die Initiative und wurde niemals wiederbelebt. Die spätere Ausgestaltung des globalen Handelsregimes folgte weitgehend marktfundamentalen Vorgaben. Die Globalisierung ab den 1990er-Jahren wurde ohne eine politische Institution auf globaler Ebene unternommen. Ein diesbezügliches demokratisches Moment konnte sich niemals entfalten und der Gedanke einer Internationalen Handelsorganisation war bald in Vergessenheit geraten.15