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Politisches Denken ohne Zukunft

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Spätestens im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts teilten sowohl das konservative als auch das liberale und das sozialdemokratische Denken eine Gemeinsamkeit: Jede dieser drei großen politischen Denkströmungen war eine spezifische und durchaus widersprüchliche Synthese mit dem Neoliberalismus eingegangen. Dabei wurden ihre ursprünglichen Werte verwässert und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Konservativen haben – wie am Beispiel USA und Großbritannien zu sehen – den Neoliberalismus politisch zum Durchbruch verholfen. Dabei wurden ihre Werte von Dienst, Pflicht und Verantwortung marktkonform umgedeutet, aber – was die Konservativen vergessen – die Marktlogik laugt jede Ethik aus: Der flexible Marktmensch ist kein ethischer Mensch mehr (siehe dazu auch Kapitel 3). Die Liberalen haben in unterschiedlichem Ausmaß immer mehr die Werte des ökonomischen Liberalismus betont und die des politischen Liberalismus, wie Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte, ausgehöhlt. Kaum jemand im liberalen Lager hat verstanden, dass der politische und der ökonomische Liberalismus immer mehr zu einem Widerspruch geworden sind. In einer ökonomisierten Gesellschaft (siehe Kapitel 2) sind beide zugleich kaum mehr möglich.

Dieser Prozess hat die drei großen Strömungen der Politik in eine gemeinsame Krise geführt. Der Ausweg liegt nicht mehr im Streit dieser Richtungen gegeneinander, der nach wie vor – vor allen vor Wahlen – heftig geführt wird. Er liegt im Betreten einer neuen Ebene oberhalb dieser drei Denkweisen. Aus dieser Warte gilt es, ihre stillschweigende Gemeinsamkeit zu erkennen, nämlich den Glauben an »den Markt«, den alle teilen und auf ihre Weise interpretieren. Dieser Glaube hat dazu geführt, dass sie – jede auf ihre Weise – ihre politische Phantasie verloren.

Spätestens ab den 1990er-Jahren teilen der Konservatismus, der Liberalismus und die Sozialdemokratie eine Politik der Unvermeidbarkeit. Damit kann sich die Geschichte nur mehr in eine Richtung bewegen. Sie kommt 1989, wie eingangs erklärt, nach dem Ende des Staatssozialismus, zu einem fiktiven Ende. Der Marktfundamentalismus hat die drei großen politischen Denkströmungen ausgehöhlt, indem er ihnen die Vorstellung genommen hat, eine andere Zukunft sei möglich. »Die Politik der Unvermeidbarkeit« meint der amerikanische Historiker Timothy Snyder, »ist ein selbstverursachtes intellektuelles Trauma«. Er formuliert dies für die USA, aber Gleiches gilt auch für Europa: »Solange es einen Wettstreit zwischen kommunistischen und kapitalistischen Systemen gab und solange die Erinnerung an Faschismus und Nazismus lebendig war, musste Amerika der Geschichte eine gewisse Aufmerksamkeit schenken und die Konzepte bewahren, die es ihnen erlaubten, sich alternative Zukünfte vorzustellen. Doch wenn man die Politik der Unvermeidbarkeit akzeptiert, geht man davon aus, dass die Geschichte nicht mehr relevant ist. Wenn alles in der Vergangenheit von einer bekannten Tendenz beherrscht wird, gibt es keine Notwendigkeit, die Details zu lernen.«45

Wir wollen unsere Zukunft zurück!

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