Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 13

Ein langer Weg ins Fernsehen Slapstick!

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«Treten Sie näher, meine Damen und Herren. Kommen Sie und lachen Sie im Kinematographen. Erleben Sie unser unvergleichliches Programm mit den größten Komikern vom Anfang unseres Jahrhunderts. […] Hereinspaziert, hereinspaziert, meine Damen und Herren, die Vorstellung beginnt!» So preist Ulrich Tukur, zum Schluss fast schon heiser, die Folgen der arte-Serie FRÜHE KOMIKER aus dem Jahr 1995 an.

1995 wurden «100 Jahre Kino» begangen. An seiner Wiege standen 1895 die Gebrüder Auguste und Louis Lumière aus Frankreich und die Gebrüder Emil und Max Skladanowsky aus Deutschland. Die ersten Gehversuche haben mit dem Filmschaffen, wie wir es heute kennen, wenig gemein. Man filmte zuerst, um den Menschen bewegte Bilder vorzuführen. Sie wurden als Jahrmarktsattraktionen gezeigt, und niemand erwartete in der Frühzeit eine Spielhandlung. In den allerersten Jahren war kaum ein Film länger als 60 Meter (von Zglinicki, S. 215 ff.). Der Film-Pionier Georges Méliès begann allerdings schon 1896, kleine Geschichten zu erzählen, und er nutzte die Kamera für Filmtricks, die ausschließlich mit optischen und fotografischen Mitteln erzeugt wurden (Ezra, S. 24 ff.). 1907 veröffentlichte er im Annuaire général et international de la photographie dazu seinen Beitrag «Les vues cinématographiques». Zu den Filmtricks gehörten damals zum Beispiel Filmschnitt, Überblenden, Zeitlupe, Zeitraffer und rückwärts abgespielte Aufnahmen. Méliès schuf um 1902 erste utopisch-fantastische Filme, die unter anderem an Jules Verne angelehnt waren. Zuweilen hatten seine Filme auch groteske Inhalte (Malthête / Laurent Mannoni) mit einer Art Komik, die die Menschen womöglich von Boulevard-Bühnen kannten. Bis es ortsfeste Kinos gab und Film ein gesellschaftlich akzeptiertes Medium wurde, von einer Kunstform ganz zu schweigen, sollten noch Jahre vergehen. Kulturkritiker beschworen die sittlichen Gefahren des Films und zogen gegen ihn zu Felde (von Zglinicki, S. 367 ff.).

Der Film deckt heute alle möglichen Genres ab, und auch die Entwicklung dorthin begann in der experimentellen Frühphase des Films. Eines der Genres ist der Slapstickfilm. Man hat ihn abgetan als billige Possenreißerei, als unseriös, unkünstlerisch und ordinär. Auf der Bühne wie bald auch im Film waren vor allem Dramen das Maß der Dinge. Dementsprechend groß war die Kluft zwischen anerkannter Kunst und «bloßer» Unterhaltung. Da man sich gern einmal gruselte, fanden auch Kriminal-, Ritter- und Schauergeschichten in die Welt des Dramas Eingang und waren wohl nicht immer künstlerische Genüsse. Unterhaltung um der Unterhaltung willen war verpönt. Heute ist die Sicht auf Slapstickfilme und Filmkomödien eine andere. Tatsächlich gehört Slapstick zu den Pionierleistungen des Films als eigenes, innovatives Genre (zur Entwicklung: Durgnat, S. 67 ff.; Kerr, S. 50 ff.; Montgomery, S. 15 ff., 72 ff.; Stavecare, S. 26 ff.).

Der Begriff Slapstick kommt vom Theater und bedient die Schadenfreude des Publikums, wenn der Narr eine andere Bühnenfigur möglichst lautstark mit einem Schlagholz bearbeitet. Wirkliche Schmerzen verursacht er natürlich nicht. Der Geprügelte ist der Dumme, weil er zum Gespött gemacht worden ist. Das wirkt besonders komisch, wenn es Respektspersonen oder aufgeblasene Honoratioren trifft. Zur Verstärkung des Effektes wurde das Schlagholz zu einer Klappe, die beim Hieb laut zusammenschlägt. Die Lautstärke wurde gesteigert, wenn dabei Zündplättchen eingelegt wurden. Diese Haudrauf-Komik hat der Slapstickfilm aufgegriffen. Die frühen Streifen waren verständlicherweise noch ungeschliffen und rau, aber Fähigkeiten mussten Produzenten und Darsteller schon mitbringen, um den Hunger des Publikums nach wildem Slapstick zu stillen. Recht treffend, wenngleich nicht ganz frei von Klischee, hat dies die Informationen des Berliner Werbefernsehens zusammengefasst, als sie für Oktober 1963 die Folge DIE SPASSFABRIK aus der Serie AUS DEN KINDERTAGEN DES FILMS ankündigte: «Schon in den Kindertagen des Films erkannte man, dass sich der Spaß besonders gut verkauft. 1909 begann Mac [sic] Sennett, aus Sahnetorten, Feuersbrünsten, tölpelhaften Polizisten, Badenixen und Überschwemmungen zwerchfellerschütternde Burlesken zu mixen, die schnell in aller Welt berühmt wurden. Dieser ‹geräuschlose Klamauk› lebte vom gespielten Witz, vom pantomimischen Gag, und die Schauspieler mussten damals Komiker, Equilibristen und Tänzer zugleich sein und über eine beachtliche Konstitution verfügen.» Die Einbeziehung von Sahnetorten, die zweifelsohne in manchem Slapstickfilm flogen, gehört durchaus nicht zur unverzichtbaren Grundausstattung jeder Groteske. Der Stummfilm-Komiker Bobby Vernon berichtete 1929, welch körperliche Strapazen er für die Produktion seiner Streifen auf sich genommen hatte, die ihn sogar zu einer Wirbelsäulen-Operation zwangen (Picture Play Magazine September 1929, S. 71). 1919 verlor Harold Lloyd bei Dreharbeiten zwei Finger seiner rechten Hand, als eine angebliche Bomben-Attrappe doch explodierte (Dardis, Lloyd, S. 76, 77). Der berühmte Buster Keaton hat als durchtrainierter Athlet genauso mit vollem Körpereinsatz gearbeitet und sich während der Dreharbeiten zu seinem Klassiker SHERLOCK JR. (1924) sogar einen erst viel später entdeckten Genickbruch zugezogen, der ihn zum Glück nicht das Leben kostete (Dardis, Keaton, S. 107, 108).

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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