Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 14

Europa

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Der Slapstickfilm, um den es in diesem Buch geht, ist vor allem der Slapstickfilm US-amerikanischer Prägung. Besonders in den Produktionen von Mack Sennett ging es recht wild zu. Dennoch ist der Slapstickfilm kein rein US-amerikanisches Genre. Slapstickfilme wurden schon vor Sennetts ersten Schritten im Jahr 1909 in Europa gedreht. Sie unterschieden sich allerdings von ihren US-Verwandten. In Frankreich erfreuten sich die innovativen kurzen Filme von Georges Méliès großer Beliebtheit, ehe er in Vergessenheit geriet und erst viele Jahre später wiederentdeckt wurde. Unter einer Vielzahl von Komikern und Komikerinnen waren zum Beispiel André Deed und Max Linder besonders populär. Deed arbeitete schon seit 1902 mit Méliès, bevor er 1906 in Frankreich mit seinen Slapstickfilmen als Boireau bekannt wurde (später auch als Gribouille). Ab 1909 hieß er in Italien Cretinetti (Gili, S. 203 ff.). Max Linder hatte seine Filmkarriere als Komiker sogar schon 1905 begonnen. Charlie Chaplin, der seine ersten Filme 1914 für Sennett schuf, bezeichnete Linder als seinen Lehrer (Chaplin-Foto mit Widmung für Linder in: Ford, S. 64). Für seine Zeit produzierte der hervorragende Schauspieler Linder ungewöhnlich moderne Filme um seinen dandyhaften Filmcharakter als Frauenheld, der in vertraut erscheinenden Ausgangssituationen wahrhaft Groteskes erlebt. Linder drehte sehr viele kurze Filme, und sicherlich sind ihm nicht nur Meisterwerke gelungen. Frühe Slapstickfilme entstanden von Beginn des Filmwesens an auch in Großbritannien. Der Filmkomiker Fred Evans schuf seine Filmfigur Pimple aber erst etwas später und drehte 1913 und 1914 nicht weniger als 99 Streifen (Burton/Porter, S. 11). Davor war Ferdinand Guillaume ab 1910 in italienischen Tontolini-Streifen zu sehen und später als Polidor in Frankreich (Giusti, S. 237 ff., 250 ff.). Verglichen mit der US-Produktion ist der europäische Slapstick immer noch eine gewisse terra incognita. Aber mittlerweile hat die Literatur über den europäischen Slapstick etwas zugenommen. Auf DVD/Bluray ist kaum etwas zu finden, aber via Internet ist Einiges verfügbar. Die greifbaren Streifen sind mitunter sehr grotesk, ihre europäische Herkunft sieht man ihnen an. Hingegen lässt der US-Slapstickfilm vergleichsweise selten kulturelle Wurzeln erkennen, es sei denn, europäische Künstler wie Charlie Chaplin, Stan Laurel und Max Linder haben sie eingebracht. Der wilde, ungezügelte Slapstick wirkt durch die Loslösung von kultureller Verortung sehr viel verrückter, überdrehter. Das unterscheidet ihn auch von den Filmen des dänischen Erfolgsduos Pat und Patachon, deren Komik sehr viel ruhiger ist und heute zuweilen leicht behäbig wirkt. In den Filmen spiegelt sich unter anderem die dänische Ländlichkeit der damaligen Zeit.

Ob es ausgeprägten wilhelminischen Slapstick gegeben oder langsame, bodenständige deutsche Filmlustspiele (siehe dazu: KINtop 1, S. 58 ff.; Belach/Jacobsen, S. 16 ff.), lässt sich bis auf Weiteres nicht klären. Frühe kurze Streifen mit dem noch kindlichen Curt Bois, mit Ernst Lubitsch und Karl Valentin sind durchaus dem Slapstick verbunden. Zu wenig ist aber erforscht, und zu wenige Streifen sind gesichtet, um eine tragfähige Aussage treffen zu können. Jedenfalls wurden in den umfangreichen Anzeigenteilen von deutschen Film-Branchenblättern während des Ersten Weltkrieges und für kurze Zeit danach sehr viele deutsche Lustspiele oder Humoresken als Beiprogramme angeboten. Das spricht für einige Beliebtheit beim Publikum. Zeitgenössische Kritiker setzten sich auch mit der Qualität solcher Streifen auseinander. Wenn das Publikum 1919 auf den Streifen GALGENHUMOR mit Poltern und Pfeifen reagierte (FK Nr. 38 vom 19. Juli 1919, S. 2), gestattet allein ein solches Beispiel keinen zwingenden Rückschluss auf alle deutschen Lustpielfilme. Das gilt auch, wenn manchmal deutsche Grotesken im Vergleich zu Chaplin-Filmen, die ab 1921 die Kinos der Weimarer Republik im Sturm nahmen (Aping, Chaplin, S. 47 ff., 75), «zum Weinen langweilig» genannt wurden (zum Beispiel: Der deutsche Film in Wort und Bild Nr. 45 vom 11. November 1921, S. 15, 16). Gewiss, kein Geringerer als Ernst Lubitsch beklagte 1919 die Misere des deutschen Filmlustspiels und geißelte «die kunstbarbarische Auffassung, dass das Lustspiel weniger sei als das Drama» (Lichtbildbühne Nr. 28 vom 12. Juli 1919, S. 19, 20). Dass bald Slapstickfilme aus den USA den deutschen Lustspielfilmen den Rang abliefen, kann auch damit zusammenhängen, dass sie sich überholt hatten und etwas Neuem wichen. Allein mit dieser Tatsache wäre kein Urteil über mangelnde Qualität verbunden. Die gelegentlichen Vergleiche deutscher Lustspielfilme mit ihrer US-Konkurrenz und die dabei gewonnenen Erkenntnisse können ebenfalls auch keine Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmen. Einzelfälle sind schließlich Jahre später zwei umstrittene komische deutsche «Großlustspiele» von 1929 mit dem schlanken Siegfried Arno und dem übergewichtigen, gedrungenen Kurt Gerron als Duo Beef und Steak. Sie dürften optisch an Laurel und Hardy angelehnt sein. Während der erste Film AUFRUHR IM JUNGGESELLENHEIM bei Fachpresse und beim Publikum gut ankam (zum Beispiel: FK Nr. 155 vom 2. Juli 1929, RFB Nr. 27 vom 6. Juli 1929, S. 16), bröckelte es beim zweiten Anlauf mit WIR HALTEN FEST UND TREU ZUSAMMEN. Die Serie endete. Das Reichsfilmblatt bezeichnete den Film als «zu gekrampft» in dem Bemühen, US-Vorbilder zu kopieren, weil er dabei «auf Herz und Sinn verzichtet» (Nr. 39 vom 28. September 1929, S. 12, 13).

In den deutschen TV-Serien war europäischer Slapstick selten zu finden. Das bundesdeutsche Fernsehen brachte ab 1963 verteilt über gut 30 Jahre drei Serien mit Max Linder ab 1963, drei Pat-und-Patachon-Serien von 1968 bis 1985, drei Folgen der ersten Staffel der ZDF-Serie OPAS KINO LEBT (1964/65). Im DDR-Fernsehen beschränkte sich das Angebot auf eine Serie mit dem dänischen Duo Pat und Patachon. Nach der deutschen Wende zeigte arte zusammen 20 Folgen FRÜHE KOMIKER (1995) und DER KOMISCHE KINTOPP (1998).

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