Читать книгу Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte - Norbert Aping - Страница 15

Eine Lanze für den US-Slapstick

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Mit seinem wegweisenden Life-Artikel Comedy’s Greatest Era aus dem Jahr 1949 setzte der US-amerikanische Dichter und Filmkritiker James Agee den heutigen Ikonen des US-Slapstickfilms Charlie Chaplin, Buster Keaton, Harold Lloyd und Harry Langdon ein Denkmal als den größten Filmkomikern. Das sind die immer wieder genannten Exponenten einer aber überaus reichen Gattung. Darin haben Laurel und Hardy, das beste Komiker-Duo der Filmgeschichte, erst Jahrzehnte später die ihnen gebührende Anerkennung erfahren. Ausgehend von John McCabes Buch Mr. Laurel and Mr. Hardy von 1961 erkannte man, dass sie auch meisterliche Tonfilme gedreht hatten. Andererseits ist die Rangeinteilung von Komikern ein akademisches Problem. Schließlich kommt es für Freude und Genuss stets auf das eigene Erleben an. 1924 hatte der Schriftsteller und Kritiker Gilbert Seldes mit dem Abschnitt «The Keystone the Builders Rejected» seines Buches The 7 Lively Arts eine Lanze für den Slapstickfilm gebrochen und ihn als Kunst angesehen (S. 13 ff., Neuausgabe 1957). Gerade ihn sah Seldes als die filmtypischste Form der Filmkunst an, dem aber mit der größten Geringschätzung begegnet wird. Er schrieb: «Seit fünfzehn Jahren gibt es in den Vereinigten Staaten, und zwar allein hier, eine Art Unterhaltung, die uns scheinbar ohne jede Herkunft und aus dem Nichts ein beispielloses Lachen geschenkt hat. Diese Unterhaltung ist zufällig entstanden, und sie erhebt keinen Anspruch auf Kunst. Zehn Jahre lang oder länger gab sie dem Leben von Millionen von Menschen eine Note heiteren Wahnsinns. Kulturpäpste und die Intelligenz verachten diese Unterhaltung hingegen. Und dann entwickelte sich plötzlich vor ihren Augen ein großes Genie, sodass diese Leute nicht umhin kamen einzuräumen, dass es doch die Kunst des Slapsticks gab – aber nur in diesem einen besonderen Fall, sodass sie Slapstick weiterhin strikt ablehnten.» Das war auf Chaplin bezogen, womit Seldes sich nicht zufrieden gab und seine Meinung weiter zuspitzte: «Der dramatische Film liegt immer falsch, der Slapstickfilm aber fast immer richtig.» 1961 befand der britische Theaterkritiker Martin Esslin in seinem 1961 erschienenen Buch The Theatre of the Absurd die stummen Filmgrotesken als wesentliche Quelle des absurden Theaters, als «Erscheinung des zwanzigsten Jahrhunderts, die man wahrscheinlich später einmal als seine einzige wahrhaft große Leistung auf dem Gebiet der volkstümlichen Kunst ansehen wird», und darin «eine Menge unsterblicher Darsteller.» Weiter schrieb Esslin: «Der Typus ihrer Gags und die sich überstürzende Abfolge der Ereignisse […] wird […] durch die Zaubermittel des Films noch gesteigert und ins Wunderbare übertrieben. Die Stummfilmkomödie […] hat die traumhafte Fremdartigkeit einer Welt, die man von außen mit den verständnislosen Blicken eines aus dieser Wirklichkeit ausgeschlossenen Menschen betrachtet. Sie hat Albtraum-Charakter und zeigt eine Welt in unaufhörlicher und völlig zielloser Bewegung. Und sie offenbart immer wieder die starke poetische Macht wort- und sinnloser Handlungen. Die Großen dieser Filme, Chaplin und Buster Keaton, sind vollkommene Verkörperungen des Gleichmuts des Menschen angesichts einer Welt mechanischer Apparaturen, die außer Rand und Band geraten sind» (deutsche Übersetzung 1964: Das Theater des Absurden, S. 344, 345).

Natürlich hat auch das Slapstickgenre Licht und Schatten. In der Anfangszeit stand der wilde, ungezügelte Slapstick nach der Fasson des Slapstickpioniers Mack Sennett im Vordergrund. Sennett hatte die Schnitttechnik des berühmten David Wark Griffith auf die Grotesken übertragen (Turconi, S. 8 ff.; Paulus/King, S. 37 ff.). Er besaß ein Studio, dessen Anlagen sich mit dem heutigen Standard nicht vergleichen lassen. Das Motto des Studiochefs war: «Man braucht eine Anfangsidee, fängt dann an und schaut, wie sich die Dinge entwickeln.» Es wurde gedreht, wenn schönes Wetter war, oder man rückte aus, wenn es irgendwo brannte, um darum herum irgendeine komisch anmutende Situation zu gestalten und die Schauspieler dazu kräftig chargieren zu lassen. Wie im dramatischen Film legten die stark geschminkten Schauspieler die Stirn in Falten, rollten mit den Augen, bleckten die Zähne usw. (zu Sennett und seinem Studio: Mast, S. 48 ff.; Turconi, S. 19 ff.; Walker, S. 25 ff.). Auch der als Genie anerkannte Chaplin hat 1914 so bei Sennett angefangen. Und trotzdem bleibt das Vergnügen bei vielen frühen Streifen nicht auf der Strecke. Der ARD-Pressedienst schrieb 1971 zum Start der Kinderserie PRESTISSIMO, in der stumme Slapstickfilme gezeigt wurden: «Es vermindert nicht den Spaß an diesen Filmen, wenn man weiß, unter welchen Umständen diese frühen Filme entstanden sind. Eher steigt die Hochachtung vor der Leistung jener ersten Kameraleute und Akteure. Chaplin und seine Kollegen arbeiteten ohne richtiges Drehbuch, ohne Scriptgirl, waren Darsteller und Bühnenarbeiter zugleich, mussten die Filme selber schneiden und haben nicht selten die mageren Stories, die ihnen geliefert wurden, erst während der Arbeit durch eigene Ideen aufgeputzt. Das Ganze spielt sich in primitiven Hallen ab, unter der Hitze mörderisch heißer Jupiterlampen. Und doch entstanden dort in ihrer Komik unsterblich gewordene Filmstreifen.»

Die englischen Adjektive «crazy», «screwy» und «zany» umreißen die Welt des Slapsticks durchaus treffend – nichts ist normal, alles ist möglich und (fast) alles erlaubt, eine Spielwiese der Ideen. Aberwitziges Geschehen lebt von Turbulenz, Doppeldeutigkeiten und missverständlichen Situationen, die an sich harmlos sind, und natürlich auch von Schadenfreude. In vielen Streifen blieb bei Verfolgungsjagden kein Stein auf dem anderen. Es wimmelte vor physikalischen und chemischen Unmöglichkeiten, immer wieder wurden Personen deformiert. Sie konnten das aber ganz schnell abschütteln, so wie es später die berühmte Zeichentrickfigur Daffy Duck tat, wenn sie einmal mehr in ihre Einzelteile zerfallen war. Sahnetorten waren häufig zur Hand und flogen Wichtigtuern, Respektspersonen und fein herausgeputzten Damen ins Gesicht. Running Gags kamen hinzu, die sich innerhalb eines Streifens in Variationen oder durch Anspielungen wiederholten. Der berühmte Slow Burn, Laurel und Hardys Markenzeichen, entstand erst in der Endphase der Stummfilmzeit der späten 1920er-Jahre und geht zurück auf ihren Regisseur und Produktionsleiter Leo McCarey. Der atemberaubende, halsbrecherische Slapstick wurde ersetzt durch die Verlangsamung des Tempos. Dadurch wurden groteske Situationen ausgekostet. Hardys Stürze in die Sahnetorte, die er servieren soll, waren in dem Zweiakter FROM SOUP TO NUTS (1928) der Beginn des Slow Burn (Skretvedt, 2016, S. 116). Das geht so weit, dass ein Kontrahent äußerlich seelenruhig alle Erniedrigungen über sich ergehen lässt, bis sein Gegenüber fertig ist. Dann wird der Geschundene aktiv und zahlt es dem anderen heim, der nun ebenfalls alles ruhig hinnimmt. Der Lacherfolg, wie in den herrlichen Laurel-und-Hardy-Streifen THEM THAR HILLS (1934) und TIT FOR TAT (1935), war garantiert. Die anarchistische, respekt- und schonungslose Komik des Slapstickfilms hat sich political correctness bestimmt nicht auf die Fahnen geschrieben, genauso wenig wie später Slapstickepigonen in Cartoons mit Donald Duck, Tex Averys Screwy Squirrel und Foghorn Leghorn aus der Produktion der Warner Brothers. Jedenfalls sind viele Slapstickfilme erfrischend gegen den Strich gebürstet und machen wirklich vor keiner Filmfigur halt. Denn die Komiker waren sich nicht zu schade, sich selbst zum Gespött zu machen. Und das alles in der kleinen Form des Kurzfilms, meistens Ein- und Zweiakter, also mit Spieldauern um die 10 bzw. 20 Minuten.

Es darf gelacht werden Von Männern ohne Nerven und Vätern der Klamotte

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